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1„Du willst wirklich nicht mehr weiter‐2spielen, Else?“ ‐ „Nein, Paul, ich kann3 nicht mehr. Adieu. ‐ Auf Wiedersehen,4 gnädige Frau.“ ‐ „Aber, Else, sagen Sie mir5 doch: Frau Cissy. ‐ Oder lieber noch: Cissy,6 ganz einfach.“ ‐ „Auf Wiedersehen, Frau7 Cissy.“ ‐ „Aber warum gehen Sie denn schon,8 Else? Es sind noch volle zwei Stunden9 bis zum Dinner.“ ‐ „Spielen Sie nur Ihr10 Single mit Paul, Frau Cissy, mit mir ist’s11 doch heut’ wahrhaftig kein Vergnügen.“ ‐12 „Lassen Sie sie, gnädige Frau, sie hat heut’13 ihren ungnädigen Tag. ‐ Steht dir übrigens14 ausgezeichnet zu Gesicht, das Ungnädigsein,15 Else. ‐ Und der rote Sweater noch besser.“16 „Bei Blau wirst du hoffentlich mehr Gnade17 finden, Paul. Adieu.“

18 Das war ein ganz guter Abgang. Hoffentlich19 glauben die Zwei nicht, daß ich eifersüchtig20 bin. ‐ Daß sie was miteinander haben,21 Cousin Paul und Cissy Mohr, darauf schwör’22 ich. Nichts auf der Welt ist mir gleich‐23gültiger. ‐ Nun wende ich mich noch einmal

1 um und winke ihnen zu. Winke und lächle.2 Sehe ich nun gnädig aus? ‐ Ach Gott, sie3 spielen schon wieder. Eigentlich spiele ich4 besser als Cissy Mohr; und Paul ist auch5 nicht gerade ein Matador. Aber gut sieht er6 aus — mit dem offenen Kragen und dem7 Bösen-Jungen-Gesicht. Wenn er nur weniger8 affektiert wäre. Brauchst keine Angst zu9 haben, Tante Emma...

10 Was für ein wundervoller Abend! Heut’11 wär’ das richtige Wetter gewesen für die12 Tour auf die Rosetta-Hütte. Wie herr‐13lich der Cimone in den Himmel ragt!14 ‐ Um fünf Uhr früh wär’ man auf‐15gebrochen. Anfangs wär’ mir natürlich16 übel gewesen, wie gewöhnlich. Aber das17 verliert sich. ‐ Nichts köstlicher als18 das Wandern im Morgengrauen. ‐ Der ein‐19äugige Amerikaner auf der Rosetta hat aus‐20gesehen wie ein Boxkämpfer. Vielleicht hat21 ihn beim Boxen wer das Aug’ ausgeschla‐22gen. Nach Amerika würd’ ich ganz gern23 heiraten, aber keinen Amerikaner. Oder ich24 heirat’ einen Amerikaner und wir leben in25 Europa. Villa an der Riviera. Marmorstufen26 ins Meer. Ich liege nackt auf dem Marmor.27 ‐ Wie lang ist’s her, daß wir in Mentone28 waren? Sieben oder acht Jahre. Ich war

1 dreizehn oder vierzehn. Ach ja, damals2 waren wir noch in besseren Verhältnissen. ‐3 Es war eigentlich ein Unsinn die Partie4 aufzuschieben. Jetzt wären wir jedenfalls5 schon zurück. ‐ Um vier, wie ich zum6 Tennis gegangen bin, war der telegraphisch7 angekündigte Expreßbrief von Mama noch8 nicht da. Wer weiß, ob jetzt. Ich hätt’ noch 9 ganz gut ein Set spielen können. ‐ Warum10 grüßen mich diese zwei jungen Leute? Ich11 kenn’ sie gar nicht. Seit gestern wohnen12 sie im Hotel, sitzen beim Essen links am13 Fenster, wo früher die Holländer gesessen14 sind. Hab’ ich ungnädig gedankt? Oder gar15 hochmütig? Ich bin’s ja gar nicht. Wie16 sagte Fred auf dem Weg vom ‚Coriolan‘ 17 nach Hause? Frohgemut. Nein, hochgemut.18 Hochgemut sind Sie, nicht hochmütig, Else.19 ‐ Ein schönes Wort. Er findet immer schöne20 Worte. ‐ Warum geh’ ich so langsam?21 Fürcht’ ich mich am Ende vor Mamas22 Brief? Nun, Angenehmes wird er wohl23 nicht enthalten. Expreß! Vielleicht muß ich24 wieder zurückfahren. O weh. Was für ein25 Leben — trotz rotem Seidensweater und26 Seidenstrümpfen. Drei Paar! Die arme Ver‐27wandte, von der reichen Tante eingeladen.28 Sicher bereut sie’s schon. Soll ich’s dir

1 schriftlich geben, teuere Tante, daß ich an2 Paul nicht im Traum denke? Ach, an nie‐3manden denke ich. Ich bin nicht verliebt.4 In niemanden. Und war noch nie verliebt.5 Auch in Albert bin ich’s nicht gewesen, ob‐6wohl ich es mir acht Tage lang eingebildet7 habe. Ich glaube, ich kann mich nicht ver‐8lieben. Eigentlich merkwürdig. Denn sinn‐9lich bin ich gewiß. Aber auch hochgemut10 und ungnädig Gott sei Dank. Mit dreizehn11 war ich vielleicht das einzige Mal wirklich12 verliebt. In den Van Dyck oder vielmehr13 in den Abbé Des Grieux, und in die Renard14 auch. Und wie ich sechzehn war, am15 Wörthersee. ‐ Ach nein, das war nichts. Wo‐16zu nachdenken, ich schreibe ja keine Me‐17moiren. Nicht einmal ein Tagebuch wie die18 Bertha. Fred ist mir sympathisch, nicht19 mehr. Vielleicht, wenn er eleganter wäre.20 Ich bin ja doch ein Snob. Der Papa findet’s21 auch und lacht mich aus. Ach, lieber Papa,22 du machst mir viel Sorgen. Ob er die Mama23 einmal betrogen hat? Sicher. Öfters. Mama24 ist ziemlich dumm. Von mir hat sie keine25 Ahnung. Andere Menschen auch nicht.26 Fred? ‐ Aber eben nur eine Ahnung. ‐27 Himmlischer Abend. Wie festlich das28 Hotel aussieht. Man spürt: Lauter Leute,

1 denen es gut geht und die keine Sorgen2 haben. Ich zum Beispiel. Haha! Schad’.3 Ich wär’ zu einem sorgenlosen Leben ge‐4boren. Es könnt’ so schön sein. Schad’. ‐5 Auf dem Cimone liegt ein roter Glanz. Paul6 würde sagen: Alpenglühen. Das ist noch7 lang’ kein Alpenglühen. Es ist zum Weinen8 schön. Ach, warum muß man wieder zu‐9rück in die Stadt!

10„Guten Abend, Fräulein Else.“ ‐ „Küss’ die11 Hand gnädige Frau.“ ‐ „Vom Tennis?“12 Sie sieht’s doch, warum fragt sie? „Ja,13 gnädige Frau. Beinah’ drei Stunden lang14 haben wir gespielt. ‐ Und gnädige Frau15 machen noch einen Spaziergang?“ ‐ „Ja,16 meinen gewohnten Abendspaziergang. Den17 Rolleweg. Der geht so schön zwischen den18 Wiesen, bei Tag ist er beinahe zu sonnig.“19 „Ja, die Wiesen hier sind herrlich. Be‐20sonders im Mondenschein von meinem21 Fenster aus.“ ‐

22„Guten Abend, Fräulein Else. ‐ Küss’ die23 Hand, gnädige Frau.“ ‐ „Guten Abend, Herr24 von Dorsday.“ ‐ „Vom Tennis, Fräulein25 Else?“ ‐ „Was für ein Scharfblick, Herr26 von Dorsday.“ ‐ „Spotten Sie nicht, Else.“27 Warum sagt er nicht ‚Fräulein Else‘?28 „Wenn man mit dem Rakett so gut aus‐

1schaut, darf man es gewissermaßen auch2 als Schmuck tragen.“ ‐ Esel, darauf ant‐3worte ich gar nicht. „Den ganzen Nach‐4mittag haben wir gespielt. Wir waren leider5 nur Drei. Paul, Frau Mohr und ich.“ ‐ „Ich6 war früher ein enragierter Tennisspieler.“7 „Und jetzt nicht mehr?“ ‐ „Jetzt bin ich zu8 alt dazu.“ ‐ „Ach, alt, in Marienlyst, da9 war ein fünfundsechzigjähriger Schwede,10 der spielte jeden Abend von sechs bis acht11 Uhr. Und im Jahr vorher hat er sogar noch12 bei einem Turnier mitgespielt.“ ‐ „Nun,13 fünfundsechzig bin ich Gott sei Dank noch14 nicht, aber leider auch kein Schwede.“15 Warum leider? Das hält er wohl für einen16 Witz. Das Beste, ich lächle höflich und17 gehe. „Küss’ die Hand, gnädige Frau. Adieu,18 Herr von Dorsday.“ Wie tief er sich ver‐19beugt und was für Augen er macht. Kalbs‐20augen. Hab ich ihn am Ende verletzt mit21 dem fünfundsechzigjährigen Schweden?22 Schad’t auch nichts. Frau Winawer muß23 eine unglückliche Frau sein. Gewiß schon24 nah an fünfzig. Diese Tränensäcke, als25 wenn sie viel geweint hätte. Ach wie furcht‐26bar, so alt zu sein. Herr von Dorsday27 nimmt sich ihrer an. Da geht er an ihrer28 Seite. Er sieht noch immer ganz gut aus

1 mit dem graumelierten Spitzbart. Aber2 sympathisch ist er nicht. Schraubt sich3 künstlich hinauf. Was hilft Ihnen Ihr4 erster Schneider, Herr von Dorsday? Dors‐5day! Sie haben sicher einmal anders ge‐6heißen. ‐ Da kommt das süße kleine Mädel7 von Cissy mit ihrem Fräulein. ‐ „Grüß dich8 Gott, Fritzi. Bonsoir, Mademoiselle. Vous9 allez bien?“ ‐ „Merci, Mademoiselle. Et10 vous?“ ‐ „Was seh’ ich, Fritzi, du hast ja11 einen Bergstock. Willst du am End’ den12 Cimone besteigen?“ ‐ „Aber nein, so hoch13 hinauf darf ich noch nicht.“ ‐ „Im nächsten14 Jahr wirst du es schon dürfen. Pah, Fritzi.15 A bientôt, Mademoiselle.“ ‐ Bonsoir,16 Mademoiselle.“

17Eine hübsche Person. Warum ist sie18 eigentlich Bonne? Noch dazu bei Cissy. Ein19 bitteres Los. Ach Gott, kann mir auch noch20 blühen. Nein, ich wüßte mir jedesfalls was21 Besseres. Besseres? ‐ Köstlicher Abend.22 ‚Die Luft ist wie Champagner‘, sagte23 gestern Doktor Waldberg. Vorgestern hat24 es auch einer gesagt. ‐ Warum die Leute25 bei dem wundervollen Wetter in der Halle26 sitzen? Unbegreiflich. Oder wartet jeder27 auf einen Expreßbrief? Der Portier hat28 mich schon gesehen; ‐ wenn ein Expreß‐

1brief für mich da wäre, hätte er mir ihn2 sofort hergebracht. Also keiner da. Gott sei3 Dank. Ich werde mich noch ein bißl hin‐4legen vor dem Diner. Warum sagt Cissy5 ‚Dinner‘? Dumme Affektation. Passen zu‐6sammen, Cissy und Paul. ‐ Ach, wär’ der7 Brief lieber schon da. Am Ende kommt er8 während des ‚Dinner‘. Und wenn er nicht9 kommt, hab’ ich eine unruhige Nacht.10 Auch die vorige Nacht hab’ ich so11 miserabel geschlafen. Freilich, es sind12 gerade diese Tage. Drum hab’ ich auch13 das Ziehen in den Beinen. Dritter Sep‐14tember ist heute. Also wahrscheinlich am15 sechsten. Ich werde heute Veronal nehmen.16 O, ich werde mich nicht daran gewöhnen.17 Nein, lieber Fred, du mußt nicht besorgt18 sein. In Gedanken bin ich immer per Du19 mit ihm. ‐ Versuchen sollte man alles, 20 auch Haschisch. Der Marinefähnrich Bran‐21del hat sich aus China, glaub’ ich, Ha‐22schisch mitgebracht. Trinkt man oder23 raucht man Haschisch? Man soll pracht‐24volle Visionen haben. Brandel hat mich ein‐25geladen mit ihm Haschisch zu trinken oder26 — zu rauchen — Frecher Kerl. Aber27 hübsch. ‐

28„Bitte sehr, Fräulein, ein Brief.“ ‐ Der Por‐

1tier! Also doch! ‐ Ich wende mich ganz un‐2befangen um. Es könnte auch ein Brief3 von der Karoline sein oder von der Bertha oder4 von Fred oder Miß Jackson? „Danke5 schön.“ Doch von Mama. Expreß. Warum6 sagt er nicht gleich: ein Expreßbrief? „O,7 ein Expreß!“ Ich mach’ ihn erst auf dem8 Zimmer auf und les’ ihn in aller Ruhe. ‐9 Die Marchesa. Wie jung sie im Halbdunkel10 aussieht. Sicher fünfundvierzig. Wo werd’11 ich mit fünfundvierzig sein? Vielleicht schon12 tot. Hoffentlich. Sie lächelt mich so nett an,13 wie immer. Ich lasse sie vorbei, nicke ein14 wenig, — nicht als wenn ich mir eine be‐15sondere Ehre daraus machte, daß mich eine16 Marchesa anlächelt. ‐ „Buona sera.“ ‐ Sie17 sagt mir buona sera. Jetzt muß ich mich18 doch wenigstens verneigen. War das zu19 tief? Sie ist ja um so viel älter. Was für20 einen herrlichen Gang sie hat. Ist sie ge‐21schieden? Mein Gang ist auch schön. Aber22 — ich weiß es. Ja, das ist der Unterschied.23 ‐ Ein Italiener könnte mir gefährlich wer‐24den. Schade, daß der schöne Schwarze mit25 dem Römerkopf schon wieder fort ist. ‚Er26 sieht aus wie ein Filou‘, sagte Paul. Ach27 Gott, ich hab’ nichts gegen Filous, im28 Gegenteil. ‐ So, da wär’ ich. Nummer

1 siebenundsiebzig. Eigentlich eine Glücks‐2nummer. Hübsches Zimmer. Zirbelholz.3 Dort steht mein jungfräuliches Bett. ‐ Nun4 ist es richtig ein Alpenglühen geworden.5 Aber Paul gegenüber werde ich es ab‐6streiten. Eigentlich ist Paul schüchtern. Ein7 Arzt, ein Frauenarzt! Vielleicht gerade des‐8halb. Vorgestern im Wald, wie wir so weit9 voraus waren, hätt’ er schon etwas unter‐10nehmender sein dürfen. Aber dann wäre es11 ihm übel ergangen. Wirklich unterneh‐12mend war eigentlich mir gegenüber noch13 niemand. Höchstens am Wörthersee vor14 drei Jahren im Bad. Unternehmend? Nein,15 unanständig war er ganz einfach. Aber16 schön. Apoll vom Belvedere. Ich hab’ es ja17 eigentlich nicht ganz verstanden damals.18 Nun ja mit sechzehn Jahren. Meine19 himmlische Wiese! Meine —! Wenn man20 sich die nach Wien mitnehmen könnte.21 Zarte Nebel. Herbst? Nun ja, dritter Sep‐22tember, Hochgebirge.

23 Nun, Fräulein Else, möchten Sie sich nicht24 doch entschließen, den Brief zu lesen? Er25 muß sich ja gar nicht auf den Papa be‐26ziehen. Könnte es nicht auch etwas mit27 meinem Bruder sein? Vielleicht hat er sich28 verlobt mit einer seiner Flammen? Mit

1 einer Choristin oder einem Handschuh‐2mädel. Ach nein, dazu ist er wohl doch3 zu gescheit. Eigentlich weiß ich ja nicht4 viel von ihm. Wie ich sechzehn war und er5 einundzwanzig, da waren wir eine Zeitlang6 geradezu befreundet. Von einer gewissen7 Lotte hat er mir viel erzählt. Dann hat er8 plötzlich aufgehört. Diese Lotte muß ihm9 irgend etwas angetan haben. Und seitdem10 erzählt er mir nichts mehr. ‐ Nun ist er11 offen, der Brief, und ich hab’ gar nicht be‐12merkt, daß ich ihn aufgemacht habe. Ich13 setze mich aufs Fensterbrett und lese ihn.14 Achtgeben, daß ich nicht hinunterstürze. 15 Wie uns aus San Martino gemeldet wird,16 hat sich dort im Hotel Fratazza ein bekla‐17genswerter Unfall ereignet. Fräulein Else18 T., ein neunzehnjähriges bildschönes Mäd‐19chen, Tochter des bekannten Advokaten... 20 Natürlich würde es heißen, ich hätte mich21 umgebracht aus unglücklicher Liebe oder22 weil ich in der Hoffnung war. Unglück‐23liche Liebe, ah nein.

24 ‚Mein liebes Kind‘ ‐ Ich will mir vor allem25 den Schluß anschaun. ‐ ‚Also nochmals,26 sei uns nicht böse, mein liebes gutes Kind27 und sei tausendmal‘ ‐ Um Gottes willen, sie28 werden sich doch nicht umgebracht haben!

1 Nein, in dem Fall wär’ ein Telegramm2 von Rudi da. ‐ ‚Mein liebes Kind, du3 kannst mir glauben, wie leid es mir tut, daß4 ich dir in deine schönen Ferialwochen‘ ‐5 Als wenn ich nicht immer Ferien hätt’,6 leider ‐ ‚mit einer so unangenehmen Nach‐7richt hineinplatze.‘ ‐ Einen furchtbaren8 Stil schreibt Mama ‐ ‚Aber nach reiflicher9 Überlegung bleibt mir wirklich nichts an‐10deres übrig. Also, kurz und gut, die Sache11 mit Papa ist akut geworden. Ich weiß mir12 nicht zu raten, noch zu helfen.‘ ‐ Wozu13 die vielen Worte? ‐ ‚Es handelt sich um14 eine verhältnismäßig lächerliche Summe —15 dreißigtausend Gulden,‘ ‐ lächerlich? ‐ ‚die16 in drei Tagen herbeigeschafft sein müssen,17 sonst ist alles verloren,‘ Um Gottes willen,18 was heißt das? ‐ ‚Denk’ dir, mein geliebtes19 Kind, daß der Baron Höning‘ ‐ wie, der20 Staatsanwalt? ‐ ‚sich heut’ früh den Papa21 hat kommen lassen. Du weißt ja, wie der22 Baron den Papa hochschätzt, ja geradezu23 liebt. Vor anderthalb Jahren, damals, wie24 es auch an einem Haar gehangen hat, hat25 er persönlich mit den Hauptgläubigern ge‐26sprochen und die Sache noch im letzten27 Moment in Ordnung gebracht. Aber dies‐28mal ist absolut nichts zu machen, wenn das

1 Geld nicht beschafft wird. Und abgesehen2 davon, daß wir alle ruiniert sind, wird es3 ein Skandal, wie er noch nicht da war.4 Denk’ dir, ein Advokat, ein berühmter Ad‐5vokat, — der, — nein, ich kann es gar nicht6 niederschreiben. Ich kämpfe immer mit7 den Tränen. Du weißt ja, Kind, du bist ja8 klug, wir waren ja, Gott sei’s geklagt, schon9 ein paar Mal in einer ähnlichen Situation10 und die Familie hat immer herausgeholfen.11 Zuletzt hat es sich gar um hundertzwanzig‐12tausend gehandelt. Aber damals hat der13 Papa einen Revers unterschreiben müssen,14 daß er niemals wieder an die Verwandten,15 speziell an den Onkel Bernhard, herantreten16 wird.‘ ‐ Na weiter, weiter, wo will denn17 das hin? Was kann denn ich dabei tun? ‐18 ‚Der Einzige, an den man eventuell noch19 denken könnte, wäre der Onkel Viktor, der20 befindet sich aber unglücklicherweise auf21 einer Reise zum Nordkap oder nach Schott‐22land‘ ‐ Ja, der hat’s gut, der ekelhafte23 Kerl ‐ ‚und ist absolut unerreichbar, wenig‐24stens für den Moment. An die Kollegen,25 speziell Dr. Sch., der Papa schon öfter26 ausgeholfen hat,‘ ‐ Herrgott, wie stehn wir27 da ‐ ‚ist nicht mehr zu denken, seit er sich28 wieder verheiratet hat‘ ‐ also was denn,

1 was denn, was wollt ihr denn von mir? ‐2 ‚Und da ist nun dein Brief gekommen,3 mein liebes Kind, wo du unter andern4 Dorsday erwähnst, der sich auch im Fra‐5tazza aufhält, und das ist uns wie ein6 Schicksalswink erschienen. Du weißt ja,7 wie oft Dorsday in früheren Jahren zu8 uns gekommen ist‘ ‐ na, gar so oft ‐ ‚es9 ist der reine Zufall, daß er sich seit zwei,10 drei Jahren seltener blicken läßt; er soll11 in ziemlich festen Banden sein unter12 uns, nichts sehr Feines‘ ‐ warum ‚unter13 uns‘? ‐ ‚Im Residenzklub hat Papa jeden14 Donnerstag noch immer seine Whistpartie15 mit ihm, und im verflossenen Winter hat16 er ihm im Prozeß gegen einen andern Kunst‐17händler ein hübsches Stück Geld gerettet.18 Im übrigen, warum sollst du es nicht19 wissen, er ist schon früher einmal dem Papa20 beigesprungen.‘ ‐ Hab’ ich mir gedacht ‐21 ‚Es hat sich damals um eine Bagatelle ge‐22handelt, achttausend Gulden, aber schließ‐23lich dreißig bedeuten für Dorsday24 auch keinen Betrag. Darum hab’ ich mir25 gedacht, ob du uns nicht die Liebe er‐26weisen und mit Dorsday reden könntest‘ ‐27 Was? ‐ ‚Dich hat er ja immer besonders28 gern gehabt‘ ‐ Hab’ nichts davon gemerkt.

1 Die Wange hat er mir gestreichelt, wie ich2 zwölf oder dreizehn Jahre alt war. ‚Schon3 ein ganzes Fräulein.‘ ‐ ‚Und da Papa seit4 den achttausend glücklicherweise nicht5 mehr an ihn herangetreten ist, so wird er6 ihm diesen Liebesdienst nicht verweigern.7 Neulich soll er an einem Rubens, den er8 nach Amerika verkauft hat, allein achtzig‐9tausend verdient haben. Das darfst du10 selbstverständlich nicht erwähnen.‘ ‐ Hältst11 du mich für eine Gans, Mama? ‐ ‚Aber im12 übrigen kannst du ganz aufrichtig zu ihm13 reden. Auch, daß der Baron Höning sich den14 Papa hat kommen lassen, kannst du er‐15wähnen, wenn es sich so ergeben sollte. Und16 daß mit den dreißigtausend tatsächlich das17 Schlimmste abgewendet ist, nicht nur für18 den Moment, sondern, so Gott will, für19 immer.‘ ‐ Glaubst du wirklich, Mama? ‐20 ‚Denn der Prozeß Erbesheimer, der glän‐21zend steht, trägt dem Papa sicher hundert‐22tausend, aber selbstverständlich kann er ge‐23rade in diesem Stadium von den Erbes‐24heimers nichts verlangen. Also, ich bitte25 dich, Kind, sprich mit Dorsday. Ich ver‐26sichere dich, es ist nichts dabei. Papa hätte27 ihm ja einfach telegraphieren können, wir28 haben es ernstlich überlegt, aber es ist

1 doch etwas ganz anderes, Kind, wenn man2 mit einem Menschen persönlich spricht. Am3 sechsten um zwölf muß das Geld da sein,4 Doktor F.‘ ‐ Wer ist Doktor F.? Ach ja,5 Fiala. ‐ ‚ist unerbittlich. Natürlich ist da6 auch persönliche Rancune dabei. Aber da es7 sich unglücklicherweise um Mündelgelder8 handelt,‘ ‐ Um Gottes willen! Papa, was hast9 du getan? ‐ ‚kann man nichts machen. Und10 wenn das Geld am fünften um zwölf Uhr11 mittags nicht in Fialas Händen ist, wird der12 Haftbefehl erlassen, vielmehr so lange hält13 der Baron Höning ihn noch zurück. Also14 Dorsday müßte die Summe telegraphisch15 durch seine Bank an Doktor F. überweisen16 lassen. Dann sind wir gerettet. Im andern17 Fall weiß Gott was geschieht. Glaub’ mir,18 du vergibst dir nicht das Geringste, mein ge‐19liebtes Kind. Papa hatte ja anfangs Be‐20denken gehabt. Er hat sogar noch Versuche21 gemacht auf zwei verschiedenen Seiten.22 Aber er ist ganz verzweifelt nach Hause ge‐23kommen.‘ ‐ Kann Papa überhaupt ver‐24zweifelt sein? ‐ ‚Vielleicht nicht einmal so25 sehr wegen des Geldes, als darum, weil die26 Leute sich so schändlich gegen ihn be‐27nehmen. Der eine von ihnen war einmal28 Papas bester Freund. Du kannst dir denken,

1 wen ich meine.‘ ‐ Ich kann mir gar nichts2 denken. Papa hat so viel beste Freunde ge‐3habt und in Wirklichkeit keinen. Warns‐4dorf vielleicht? ‐ ‚Um ein Uhr ist Papa5 nach Hause gekommen, und jetzt ist es vier6 Uhr früh. Jetzt schläft er endlich, Gott sei7 Dank.‘ ‐ Wenn er lieber nicht aufwachte,8 das wär’ das beste für ihn. ‐ ‚Ich gebe den9 Brief in aller Früh selbst auf die Post, ex‐10preß, da mußt du ihn vormittag am dritten11 haben.‘ ‐ Wie hat sich Mama das vor‐12gestellt? Sie kennt sich doch in diesen Din‐13gen nie aus. ‐ ‚Also sprich sofort mit Dors‐14day, ich beschwöre dich, und telegraphiere15 sofort, wie es ausgefallen ist. Vor Tante16 Emma laß dir um Gottes willen nichts17 merken, es ist ja traurig genug, daß man18 sich in einem solchen Fall an die eigene19 Schwester nicht wenden kann, aber da20 könnte man ja ebensogut zu einem Stein21 reden. Mein liebes, liebes Kind, mir tut es22 ja so leid, daß du in deinen jungen Jahren23 solche Dinge mitmachen mußt, aber glaub’24 mir, der Papa ist zum geringsten Teil selber25 daran schuld.‘ ‐ Wer denn, Mama? ‐ ‚Nun,26 hoffen wir zu Gott, daß der Prozeß Erbes‐27heimer in jeder Hinsicht einen Abschnitt28 in unserer Existenz bedeutet. Nur über diese

1 paar Wochen müssen wir hinaus sein. Es2 wäre doch ein wahrer Hohn, wenn wegen3 der dreißigtausend Gulden ein Unglück ge‐4schähe?‘ ‐ Sie meint doch nicht im Ernst,5 daß Papa sich selber... Aber wäre das6 andere nicht noch schlimmer? ‐ ‚Nun7 schließe ich, mein Kind, ich hoffe, du8 wirst unter allen Umständen‘ ‐ Unter9 allen Umständen? ‐ ‚noch über die10 Feiertage, wenigstens bis neunten oder11 zehnten in San Martino bleiben können.12 Unseretwegen mußt du keineswegs zurück.13 Grüße die Tante, sei nur weiter nett mit ihr.14 Also nochmals, sei uns nicht böse, mein15 liebes gutes Kind, und sei tausendmal‘ ‐ ja,16 das weiß ich schon.

17 Also, ich soll Herrn Dorsday anpumpen...18 Irrsinnig. Wie stellt sich Mama das vor?19 Warum hat sich Papa nicht einfach auf die20 Bahn gesetzt und ist hergefahren? ‐ Wär’21 grad’ so geschwind gegangen wie der22 Expreßbrief. Aber vielleicht hätten sie ihn23 auf dem Bahnhof wegen Fluchtverdacht24 ‐ ‐ Furchtbar, furchtbar! Auch mit den25 dreißigtausend wird uns ja nicht geholfen26 sein. Immer diese Geschichten! Seit sieben27 Jahren! Nein länger. Wer möcht’ mir28 das ansehen? Niemand sieht mir was an,

1 auch dem Papa nicht. Und doch wissen es2 alle Leute. Rätselhaft, daß wir uns immer3 noch halten. Wie man alles gewöhnt! Dabei4 leben wir eigentlich ganz gut. Mama ist5 wirklich eine Künstlerin. Das Souper am6 letzten Neujahrstag für vierzehn Personen7 unbegreiflich. Aber dafür meine zwei8 Paar Ballhandschuhe, die waren eine Affäre.9 Und wie der Rudi neulich dreihundert Gul‐10den gebraucht hat, da hat die Mama beinah’11 geweint. Und der Papa ist dabei immer gut12 aufgelegt. Immer? Nein. O nein. In der13 Oper neulich bei Figaro sein Blick, plötz‐14lich ganz leer ich bin erschrocken. Da15 war er wie ein ganz anderer Mensch. Aber16 dann haben wir im Grand Hotel soupiert17 und er war so glänzend aufgelegt wie18 nur je.

19 Und da halte ich den Brief in der Hand. Der20 Brief ist ja irrsinnig. Ich soll mit Dorsday21 sprechen? Zu Tod’ würde ich mich schä‐22men. ‐ ‐ Schämen, ich mich? Warum?23 Ich bin ja nicht schuld. ‐ Wenn ich doch24 mit Tante Emma spräche? Unsinn. Sie hat25 wahrscheinlich gar nicht so viel Geld zur26 Verfügung. Der Onkel ist ja ein Geizkragen.27 Ach Gott, warum habe ich kein Geld?28 Warum hab’ ich mir noch nichts verdient?

1 Warum habe ich nichts gelernt? O, ich habe2 was gelernt! Wer darf sagen, daß ich nichts3 gelernt habe? Ich spiele Klavier, ich kann4 Französisch, Englisch, auch ein bißl Italie‐5nisch, habe kunstgeschichtliche Vorlesungen6 besucht ‐ Haha! Und wenn ich schon was7 Gescheiteres gelernt hätte, was hülfe es mir?8 Dreißigtausend Gulden hätte ich mir keines‐9wegs erspart. ‐ ‐

10 Aus ist es mit dem Alpenglühen. Der Abend11 ist nicht mehr wunderbar. Traurig ist die12 Gegend. Nein, nicht die Gegend, aber das13 Leben ist traurig. Und ich sitz’ da ruhig auf14 dem Fensterbrett. Und der Papa soll einge‐15sperrt werden. Nein. Nie und nimmer. Es16 darf nicht sein. Ich werde ihn retten. Ja,17 Papa, ich werde dich retten. Es ist ja ganz18 einfach. Ein paar Worte ganz nonchalant,19 das ist ja mein Fall, ‚hochgemut‘, ‐ haha,20 ich werde Herrn Dorsday behandeln, als21 wenn es eine Ehre für ihn wäre, uns Geld22 zu leihen. Es ist ja auch eine. ‐ Herr von23 Dorsday, haben Sie vielleicht einen Moment24 Zeit für mich? Ich bekomme da eben einen25 Brief von Mama, sie ist in augenblicklicher26 Verlegenheit, vielmehr der Papa ‐ ‐27 ‚Aber selbstverständlich, mein Fräulein,28 mit dem größten Vergnügen. Um wie‐

1viel handelt es sich denn?‘ ‐ Wenn er2 mir nur nicht so unsympathisch wäre.3 Auch die Art, wie er mich ansieht.4 Nein, Herr Dorsday, ich glaube Ihnen5 Ihre Eleganz nicht und nicht Ihr Mo‐6nokel und nicht Ihre Noblesse. Sie7 könnten ebensogut mit alten Kleidern han‐8deln wie mit alten Bildern. ‐ Aber Else! Else,9 was fällt dir denn ein. ‐ O, ich kann mir10 das erlauben. Mir sieht’s niemand an. Ich11 bin sogar blond, rötlichblond, und Rudi12 sieht absolut aus wie ein Aristokrat. Bei der13 Mama merkt man es freilich gleich,14 wenigstens im Reden. Beim Papa wieder15 gar nicht. Übrigens sollen sie es merken.16 Ich verleugne es durchaus nicht und Rudi17 erst recht nicht. Im Gegenteil. Was täte der18 Rudi, wenn der Papa eingesperrt würde?19 Würde er sich erschießen? Aber Unsinn!20 Erschießen und Kriminal, all die Sachen21 gibt’s ja gar nicht, die stehn nur in der22 Zeitung.

23 Die Luft ist wie Champagner. In einer24 Stunde ist das Diner, das ‚Dinner‘. Ich25 kann die Cissy nicht leiden. Um ihr Mäderl26 kümmert sie sich überhaupt nicht. Was27 zieh’ ich an? Das blaue oder das schwarze?28 Heut’ wär vielleicht das schwarze richtiger.

1 Zu dekolletiert? Toilette de circonstance2 heißt es in den französischen Romanen.3 Jedesfalls muß ich berückend aussehen,4 wenn ich mit Dorsday rede. Nach dem5 Dinner, nonchalant. Seine Augen werden6 sich in meinen Ausschnitt bohren. Wider‐7licher Kerl. Ich hasse ihn. Alle Menschen8 hasse ich. Muß es gerade Dorsday sein?9 Gibt es denn wirklich nur diesen Dorsday10 auf der Welt, der dreißigtausend Gulden11 hat? Wenn ich mit Paul spräche? Wenn er12 der Tante sagte, er hat Spielschulden, da13 würde sie sich das Geld sicher verschaffen14 können. ‐

15 Beinah’ schon dunkel. Nacht. Grabesnacht.16 Am liebsten möcht’ ich tot sein. ‐ Es ist ja17 gar nicht wahr. Wenn ich jetzt gleich hin‐18unterginge, Dorsday noch vor dem Diner19 spräche? Ah, wie entsetzlich! ‐ Paul, wenn20 du mir die dreißigtausend verschaffst,21 kannst du von mir haben, was du willst.22 Das ist ja schon wieder aus einem Roman.23 Die edle Tochter verkauft sich für den ge‐24liebten Vater, und hat am End’ noch ein25 Vergnügen davon. Pfui Teufel! Nein, Paul,26 auch für dreißigtausend kannst du von mir27 nichts haben. Niemand. Aber für eine Mil‐28lion? ‐ Für ein Palais? Für eine Perlen‐

1schnur? Wenn ich einmal heirate, werde2 ich es wahrscheinlich billiger tun. Ist es3 denn gar so schlimm? Die Fanny hat sich4 am Ende auch verkauft. Sie hat mir selber5 gesagt, daß sie sich vor ihrem Manne6 graust. Nun, wie wär’s, Papa, wenn ich7 mich heute Abend versteigerte? Um dich8 vor dem Zuchthaus zu retten. Sensation —!9 Ich habe Fieber, ganz gewiß. Oder bin ich10 schon unwohl? Nein, Fieber habe ich. Viel‐11leicht von der Luft. Wie Champagner. ‐12 Wenn Fred hier wäre, könnte er mir raten?13 Ich brauche keinen Rat. Es gibt ja auch14 nichts zu raten. Ich werde mit Herrn15 Dorsday aus Eperies sprechen, werde ihn16 anpumpen, ich die Hochgemute, die Aristo‐17kratin, die Marchesa, die Bettlerin, die18 Tochter des Defraudanten. Wie komm’ ich19 dazu? Wie komm’ ich dazu? Keine klettert20 so gut wie ich, keine hat so viel Schneid, 21 sporting girl, in England hätte ich auf die22 Welt kommen sollen, oder als Gräfin.

23 Da hängen die Kleider im Kasten! Ist das24 grüne Loden überhaupt schon bezahlt,25 Mama? Ich glaube nur eine Anzahlung. Das26 schwarze zieh’ ich an. Sie haben mich27 gestern alle angestarrt. Auch der blasse28 kleine Herr mit dem goldenen Zwicker.

1 Schön bin ich eigentlich nicht, aber inter‐2essant. Zur Bühne hätte ich gehen sollen.3 Bertha hat schon drei Liebhaber, keiner4 nimmt es ihr übel... In Düsseldorf war es5 der Direktor. Mit einem verheirateten6 Manne war sie in Hamburg und hat im7 Atlantic gewohnt, Appartement mit Bade‐8zimmer. Ich glaub’ gar, sie ist stolz darauf.9 Dumm sind sie alle. Ich werde hundert Ge‐10liebte haben, tausend, warum nicht? Der11 Ausschnitt ist nicht tief genug; wenn ich12 verheiratet wäre, dürfte er tiefer sein. ‐ Gut,13 daß ich Sie treffe, Herr von Dorsday, ich14 bekomme da eben einen Brief aus Wien...15 Den Brief stecke ich für alle Fälle zu mir.16 Soll ich dem Stubenmädchen läuten? Nein,17 ich mache mich allein fertig. Zu dem18 schwarzen Kleid brauche ich niemanden.19 Wäre ich reich, würde ich nie ohne20 Kammerjungfer reisen.

21 Ich muß Licht machen. Kühl wird es.22 Fenster zu. Vorhang herunter? ‐ Überflüssig.23 Steht keiner auf dem Berg drüben mit24 einem Fernrohr. Schade. ‐ Ich bekomme25 da eben einen Brief, Herr von Dorsday. ‐26 Nach dem Dinner wäre es doch vielleicht27 besser. Man ist in leichterer Stimmung.28 Auch Dorsday ich könnt’ ja ein Glas Wein

1 vorher trinken. Aber wenn die Sache vor2 dem Diner abgetan wäre, würde mir das3 Essen besser schmecken. Pudding à la mer‐4veille, fromage et fruits divers. Und wenn5 Herr von Dorsday Nein sagt? ‐ Oder wenn6 er gar frech wird? Ah nein, mit mir ist noch7 keiner frech gewesen. Das heißt, der8 Marineleutnant Brandl, aber es war nicht9 bös gemeint. ‐ Ich bin wieder etwas schlan‐10ker geworden. Das steht mir gut. ‐ Die11 Dämmerung starrt herein. Wie ein Gespenst12 starrt sie herein. Wie hundert Gespenster.13 Aus meiner Wiese herauf steigen die Ge‐14spenster. Wie weit ist Wien? Wie lange bin15 ich schon fort? Wie allein bin ich da! Ich16 habe keine Freundin, ich habe auch keinen17 Freund. Wo sind sie alle? Wen werd’ ich18 heiraten? Wer heiratet die Tochter eines19 Defraudanten? ‐ Eben erhalte ich einen20 Brief, Herr von Dorsday. ‐ ‚Aber es ist doch21 gar nicht der Rede wert, Fräulein Else,22 gestern erst habe ich einen Rembrandt ver‐23kauft, Sie beschämen mich, Fräulein Else.‘ 24 Und jetzt reißt er ein Blatt aus seinem25 Scheckbuch und unterschreibt mit seiner26 goldenen Füllfeder; und morgen früh fahr’27 ich mit dem Scheck nach Wien. Jedenfalls;28 auch ohne Scheck. Ich bleibe nicht mehr

1 hier. Ich könnte ja gar nicht, ich dürfte ja2 gar nicht. Ich lebe hier als elegante junge3 Dame und Papa steht mit einem Fuß im4 Grab nein im Kriminal. Das vorletzte5 Paar Seidenstrümpfe. Den kleinen Riß grad’6 unterm Knie merkt niemand. Niemand?7 Wer weiß. Nicht frivol sein, Else. ‐ Bertha8 ist einfach ein Luder. Aber ist die Christine9 um ein Haar besser? Ihr künftiger Mann10 kann sich freuen. Mama war gewiß immer11 eine treue Gattin. Ich werde nicht treu sein.12 Ich bin hochgemut, aber ich werde nicht13 treu sein. Die Filous sind mir gefährlich.14 Die Marchesa hat gewiß einen Filou zum15 Liebhaber. Wenn Fred mich wirklich16 kennte, dann wäre es aus mit seiner Ver‐17ehrung. ‐ ‚Aus Ihnen hätte alles Mögliche18 werden können, Fräulein, eine Pianistin,19 eine Buchhalterin, eine Schauspielerin, es20 stecken so viele Möglichkeiten in Ihnen.21 Aber es ist Ihnen immer zu gut gegangen.‘ 22 Zu gut gegangen. Haha. Fred überschätzt23 mich. Ich hab’ ja eigentlich zu nichts24 Talent. ‐ Wer weiß? So weit wie Bertha25 hätte ich es auch noch gebracht. Aber mir26 fehlt es an Energie. Junge Dame aus guter27 Familie. Ha, gute Familie. Der Vater ver‐28untreut Mündelgelder. Warum tust du mir

1 das an, Papa? Wenn du noch etwas davon2 hättest! Aber an der Börse verspielt! Ist das3 der Mühe wert? Und die dreißigtausend4 werden dir auch nichts helfen. Für ein5 Vierteljahr vielleicht. Endlich wird er doch6 durchgehen müssen. Vor anderthalb Jahren7 war es ja fast schon so weit. Da kam noch8 Hilfe. Aber einmal wird sie nicht kommen9 und was geschieht dann mit uns? Rudi10 wird nach Rotterdam gehen zu Vanderhulst11 in die Bank. Aber ich? Reiche Partie. O,12 wenn ich es darauf anlegte! Ich bin heute13 wirklich schön. Das macht wahrscheinlich14 die Aufregung. Für wen bin ich schön?15 Wäre ich froher, wenn Fred hier wäre?16 Ach Fred ist im Grunde nichts für mich.17 Kein Filou! Aber ich nähme ihn, wenn er18 Geld hätte. Und dann käme ein Filou und19 das Malheur wäre fertig. ‐ Sie möchten20 wohl gern ein Filou sein, Herr von Dors‐21day? ‐ Von weitem sehen Sie manchmal22 auch so aus. Wie ein verlebter Vicomte,23 wie ein Don Juan mit Ihrem blöden24 Monocle und Ihrem weißen Flanellanzug.25 Aber ein Filou sind Sie noch lange nicht. ‐26 Habe ich alles? Fertig zum ‚Dinner‘? ‐27 Was tue ich aber eine Stunde lang, wenn28 ich Dorsday nicht treffe? Wenn er mit der

1 unglücklichen Frau Winawer spazieren2 geht? Ach, sie ist gar nicht unglücklich, sie3 braucht keine dreißigtausend Gulden. Also4 ich werde mich in die Halle setzen, groß‐5artig in einen Fauteuil, schau mir die6 Illustrated News an und die Vie parisienne,7 schlage die Beine übereinander, den Riß8 unter dem Knie wird man nicht sehen. Viel‐9leicht ist gerade ein Milliardär ange10kommen. ‐ Sie oder keine. ‐ Ich nehme den11 weißen Schal, der steht mir gut. Ganz unge‐12zwungen lege ich ihn um meine herrlichen13 Schultern. Für wen habe ich sie denn, die14 herrlichen Schultern? Ich könnte einen15 Mann sehr glücklich machen. Wäre nur der16 rechte Mann da. Aber Kind will ich keines17 haben. Ich bin nicht mütterlich. Marie18 Weil ist mütterlich. Mama ist mütterlich,19 Tante Irene ist mütterlich. Ich habe eine20 edle Stirn und eine schöne Figur. ‐ ‚Wenn21 ich Sie malen dürfte, wie ich wollte, Fräu‐22lein Else.‘ ‐ Ja, das möchte Ihnen passen.23 Ich weiß nicht einmal seinen Namen mehr.24 Tizian hat er keineswegs geheißen, also war25 es eine Frechheit. ‐ Eben erhalte ich einen26 Brief, Herr von Dorsday. ‐ Noch etwas27 Puder auf den Nacken und Hals, einen28 Tropfen Verveine ins Taschentuch, Kasten

1 zusperren, Fenster wieder auf, ah, wie2 wunderbar! Zum Weinen. Ich bin nervös.3 Ach, soll man nicht unter solchen Umstän‐4den nervös sein. Die Schachtel mit dem5 Veronal hab’ ich bei den Hemden. Auch6 neue Hemden brauchte ich. Das wird wieder7 eine Affäre sein. Ach Gott.

8 Unheimlich, riesig der Cimone, als wenn er9 auf mich herunterfallen wollte! Noch kein10 Stern am Himmel. Die Luft ist wie Cham‐11pagner. Und der Duft von den Wiesen! Ich12 werde auf dem Land leben. Einen Guts‐13besitzer werde ich heiraten und Kinder14 werde ich haben. Doktor Froriep war viel‐15leicht der Einzige, mit dem ich glücklich16 geworden wäre. Wie schön waren die17 beiden Abende hintereinander, der erste bei18 Kniep, und dann der auf dem Künstlerball.19 Warum ist er plötzlich verschwunden 20 wenigstens für mich? Wegen Papa viel‐21leicht? Wahrscheinlich. Ich möchte einen22 Gruß in die Luft hinausrufen, ehe ich23 wieder hinuntersteige unter das Gesindel.24 Aber zu wem soll der Gruß gehen? Ich bin25 ja ganz allein. Ich bin ja so furchtbar allein,26 wie es sich niemand vorstellen kann. Sei27 gegrüßt, mein Geliebter. Wer? Sei gegrüßt,28 mein Bräutigam! Wer? Sei gegrüßt, mein

1 Freund! Wer? ‐ Fred? ‐ Aber keine Spur.2 So, das Fenster bleibt offen. Wenn’s auch3 kühl wird. Licht abdrehen. So. ‐ Ja richtig,4 den Brief. Ich muß ihn zu mir nehmen für5 alle Fälle. Das Buch aufs Nachtkastel, ich6 lese heut’ Nacht noch weiter in ‚Notre7 Coeur‘, unbedingt, was immer geschieht. 8 Guten Abend, schönstes Fräulein im Spie‐9gel, behalten Sie mich in gutem Angedenken,10 auf Wiedersehen...

11 Warum sperre ich die Tür zu? Hier wird12 nichts gestohlen. Ob Cissy in der Nacht ihre13 Türe offen läßt? Oder sperrt sie ihm erst14 auf, wenn er klopft? Ist es denn ganz sicher?15 Aber natürlich. Dann liegen sie zusammen16 im Bett. Unappetitlich. Ich werde kein ge‐17meinsames Schlafzimmer haben mit meinem18 Mann und mit meinen tausend Geliebten. ‐19 Leer ist das ganze Stiegenhaus! Immer um20 diese Zeit. Meine Schritte hallen. Drei Wo‐21chen bin ich jetzt da. Am zwölften August22 bin ich von Gmunden abgereist. Gmunden23 war langweilig. Woher hat der Papa das24 Geld gehabt, Mama und mich aufs Land zu25 schicken? Und Rudi war sogar vier Wochen26 auf Reisen. Weiß Gott wo. Nicht zweimal27 hat er geschrieben in der Zeit. Nie werde28 ich unsere Existenz verstehen. Schmuck hat

1 die Mama freilich keinen mehr. ‐ Warum2 war Fred nur zwei Tage in Gmunden? Hat3 sicher auch eine Geliebte! Vorstellen kann4 ich es mir zwar nicht. Ich kann mir über‐5haupt gar nichts vorstellen. Acht Tage sind6 es, daß er mir nicht geschrieben hat. Er7 schreibt schöne Briefe. ‐ Wer sitzt denn8 dort an dem kleinen Tisch? Nein, Dorsday9 ist es nicht. Gott sei Dank. Jetzt vor dem10 Diner wäre es doch unmöglich, ihm etwas11 zu sagen. ‐ Warum schaut mich der Portier12 so merkwürdig an? Hat er am Ende den13 Expreßbrief von der Mama gelesen? Mir14 scheint, ich bin verrückt. Ich muß ihm15 nächstens wieder ein Trinkgeld geben. ‐ Die16 Blonde da ist auch schon zum Diner ange‐17zogen. Wie kann man so dick sein! ‐ Ich18 werde noch vor’s Hotel hinaus und ein19 bißchen auf und abgehen. Oder ins Musik‐20zimmer? Spielt da nicht wer? Eine Beet‐21hovensonate! Wie kann man hier eine Beet‐22hovensonate spielen! Ich vernachlässige23 mein Klavierspiel. In Wien werde ich wieder24 regelmäßig üben. Überhaupt ein anderes25 Leben anfangen. Das müssen wir alle. So26 darf es nicht weitergehen. Ich werde einmal27 ernsthaft mit Papa sprechen wenn noch28 Zeit dazu sein sollte. Es wird, es wird.

1 Warum habe ich es noch nie getan? Alles2 in unserem Haus wird mit Scherzen er‐3ledigt, und keinem ist scherzhaft zu Mut.4 Jeder hat eigentlich Angst vor dem Andern,5 jeder ist allein. Die Mama ist allein, weil sie6 nicht gescheit genug ist und von nieman‐7dem was weiß, nicht von mir, nicht von Rudi8 und nicht vom Papa. Aber sie spürt es9 nicht und Rudi spürt es auch nicht.10 Er ist ja ein netter eleganter Kerl, aber mit11 einundzwanzig hat er mehr versprochen. Es12 wird gut für ihn sein, wenn er nach Holland13 geht. Aber wo werde ich hingehen? Ich14 möchte fortreisen und tun können was ich15 will. Wenn Papa nach Amerika durchgeht,16 begleite ich ihn. Ich bin schon ganz17 konfus... Der Portier wird mich für18 wahnsinnig halten, wie ich da auf der19 Lehne sitze und in die Luft starre. Ich20 werde mir eine Zigarette anzünden. Wo ist21 meine Zigarettendose? Oben. Wo nur? Das22 Veronal habe ich bei der Wäsche. Aber wo23 habe ich die Dose? Da kommen Cissy und24 Paul. Ja, sie muß sich endlich umkleiden25 zum ‚Dinner‘, sonst hätten sie noch im26 Dunkeln weitergespielt. ‐ Sie sehen mich27 nicht. Was sagt er ihr denn? Warum lacht28 sie so blitzdumm? Wär’ lustig, ihrem Gatten

1 einen anonymen Brief nach Wien zu2 schreiben. Wäre ich so was imstande? Nie.3 Wer weiß? Jetzt haben sie mich gesehen.4 Ich nicke ihnen zu. Sie ärgert sich, daß ich5 so hübsch aussehe. Wie verlegen sie ist.

6„Wie, Else, Sie sind schon fertig zum7 Diner?“ ‐ Warum sagt sie jetzt Diner und8 nicht Dinner. Nicht einmal konsequent ist9 sie. ‐ „Wie Sie sehen, Frau Cissy.“ ‐ „Du10 siehst wirklich entzückend aus, Else, ich11 hätte große Lust, dir den Hof zu machen.“12 „Erspar’ dir die Mühe, Paul, gib mir lieber13 eine Zigarette.“ ‐ „Aber mit Wonne.“14 „Dank’ schön. Wie ist das Single ausgefal‐15len?“ ‐ „Frau Cissy hat mich dreimal hinter‐16einander geschlagen.“„Er war nämlich17 zerstreut. Wissen Sie übrigens, Else, daß18 morgen der Kronprinz von Griechenland19 hier ankommt?“ ‐ Was kümmert mich der20 Kronprinz von Griechenland? „So, wirk‐21lich?“ O Gott, Dorsday mit Frau Wina‐22wer! Sie grüßen. Sie gehen weiter. Ich habe23 zu höflich zurückgegrüßt. Ja, ganz anders24 als sonst. O, was bin ich für eine Person. ‐25 „Deine Zigarette brennt ja nicht, Else?“26 „Also, gib mir noch einmal Feuer. Danke.“ ‐27 „Ihr Schal ist sehr hübsch, Else, zu dem28 schwarzen Kleid steht er Ihnen fabelhaft.

1 Übrigens muß ich mich jetzt auch um‐2ziehen.“ ‐ Sie soll lieber nicht weggehen,3 ich habe Angst vor Dorsday. ‐ „Und für4 sieben habe ich mir die Friseurin bestellt,5 sie ist famos. Im Winter ist sie in Mailand.6 Also adieu, Else, adieu, Paul.“„Küss’ die7 Hand, gnädige Frau.“ „Adieu, Frau Cissy.“ ‐8 Fort ist sie. Gut, daß Paul wenigstens da9 bleibt. „Darf ich mich einen Moment zu10 dir setzen, Else, oder stör’ ich dich in deinen11 Träumen?“ ‐ „Warum in meinen Träumen?12 Vielleicht in meinen Wirklichkeiten.“ Das13 heißt eigentlich gar nichts. Er soll lieber14 fortgehen. Ich muß ja doch mit Dorsday15 sprechen. Dort steht er noch immer mit16 der unglücklichen Frau Winawer, er lang‐17weilt sich, ich seh’ es ihm an, er möchte zu18 mir herüberkommen. ‐ „Gibt es denn19 solche Wirklichkeiten, in denen du nicht20 gestört sein willst?“ ‐ Was sagt er da? Er21 soll zum Teufel gehen. Warum lächle ich22 ihn so kokett an? Ich mein’ ihn ja gar23 nicht. Dorsday schielt herüber. Wo bin ich?24 Wo bin ich? „Was hast du denn heute,25 Else?“ ‐ „Was soll ich denn haben?“ ‐26 „Du bist geheimnisvoll, dämonisch, ver‐27führerisch.“ ‐ „Red’ keinen Unsinn, Paul.“28 „Man könnte geradezu toll werden, wenn

1 man dich ansieht.“ Was fällt ihm2 denn ein? Wie redet er denn zu3 mir? Hübsch ist er. Der Rauch meiner4 Zigarette verfängt sich in seinen Haaren.5 Aber ich kann ihn jetzt nicht brauchen. ‐6 „Du siehst so über mich hinweg.7 Warum denn, Else?“ ‐ Ich antworte8 gar nichts. Ich kann ihn jetzt nicht9 brauchen. Ich mache mein unaussteh‐10lichstes Gesicht. Nur keine Konversation11 jetzt. ‐ „Du bist mit deinen Gedanken ganz12 wo anders.“ ‐ „Das dürfte stimmen.“ Er13 ist Luft für mich. Merkt Dorsday, daß ich14 ihn erwarte? Ich sehe nicht hin, aber ich15 weiß, daß er hersieht. ‐ „Also, leb’ wohl,16 Else.“ ‐ Gott sei Dank. Er küßt mir die17 Hand. Das tut er sonst nie. „Adieu, Paul.“18 Wo hab’ ich die schmelzende Stimme her?19 Er geht, der Schwindler. Wahrscheinlich20 muß er noch etwas abmachen mit Cissy21 wegen heute Nacht. Wünsche viel Ver‐22gnügen. Ich ziehe den Schal um meine23 Schulter und stehe auf und geh’ vors Hotel24 hinaus. Wird freilich schon etwas kühl25 sein. Schad’, daß ich meinen Mantel Ah,26 ich habe ihn ja heute früh in die Portier‐27loge hineingehängt. Ich fühle den Blick von28 Dorsday auf meinem Nacken, durch den

1 Schal. Frau Winawer geht jetzt hinauf in2 ihr Zimmer. Wieso weiß ich denn das?3 Telepathie. „Ich bitte Sie, Herr Portier —“ ‐4 „Fräulein wünschen den Mantel?“ ‐ „Ja,5 bitte.“ ‐ „Schon etwas kühl die Abende,6 Fräulein. Das kommt bei uns so plötzlich.“7 ‐ „Danke.“ Soll ich wirklich vors Hotel?8 Gewiß, was denn? Jedesfalls zur Türe hin.9 Jetzt kommt einer nach dem andern. Der10 Herr mit dem goldenen Zwicker. Der lange11 Blonde mit der grünen Weste. Alle sehen12 sie mich an. Hübsch ist diese kleine Gen‐13ferin. Nein, aus Lausanne ist sie. Es ist14 eigentlich gar nicht so kühl.

15 „Guten Abend, Fräulein Else.“ ‐ Um16 Gotteswillen, er ist es. Ich sage nichts von17 Papa. Kein Wort. Erst nach dem Essen.18 Oder ich reise morgen nach Wien. Ich gehe19 persönlich zu Doktor Fiala. Warum ist mir20 das nicht gleich eingefallen? Ich wende21 mich um mit einem Gesicht, als wüßte ich22 nicht, wer hinter mir steht. „Ah, Herr23 von Dorsday.“ ‐ „Sie wollen noch einen Spazier‐24gang machen, Fräulein Else?“ ‐ „Ach, nicht25 gerade einen Spaziergang, ein bißchen auf26 und abgehen vor dem Diner.“ ‐ „Es ist27 fast noch eine Stunde bis dahin.“ ‐ „Wirk‐28lich?“ Es ist gar nicht so kühl. Blau sind

1 die Berge. Lustig wär’s, wenn er plötzlich2 um meine Hand anhielte. ‐ „Es gibt doch auf3 der Welt keinen schöneren Fleck als4 diesen hier.“ ‐ „Finden Sie, Herr von5 Dorsday? Aber bitte, sagen Sie nicht, daß6 die Luft hier wie Champagner ist.“ ‐ „Nein,7 Fräulein Else, das sage ich erst von zwei‐8tausend Metern an. Und hier stehen wir9 kaum sechzehnhundertfünfzig über dem10 Meeresspiegel.“ ‐ „Macht das einen solchen11 Unterschied?“ ‐ „Aber selbstverständlich.12 Waren Sie schon einmal im Engadin?“13 „Nein, noch nie. Also dort ist die Luft14 wirklich wie Champagner?“ ‐ „Man könnte15 es beinah’ sagen. Aber Champagner ist nicht16 mein Lieblingsgetränk. Ich ziehe diese Ge‐17gend vor. Schon wegen der wundervollen18 Wälder.“ ‐ Wie langweilig er ist. Merkt er19 das nicht? Er weiß offenbar nicht recht,20 was er mit mir reden soll. Mit einer21 verheirateten Frau wäre es einfacher.22 Man sagt eine kleine Unanständigkeit23 und die Konversation geht weiter. ‐24 „Bleiben Sie noch längere Zeit hier in San25 Martino, Fräulein Else?“ ‐ Idiotisch.26 Warum schau’ ich ihn so kokett an? Und27 schon lächelt er in der gewissen Weise.28 Nein, wie dumm die Männer sind. „Das

1 hängt zum Teil von den Dispositionen2 meiner Tante ab.“ Ist ja gar nicht wahr.3 Ich kann ja allein nach Wien fahren.4 „Wahrscheinlich bis zum zehnten.“ ‐ „Die5 Mama ist wohl noch in Gmunden?“6 „Nein, Herr von Dorsday. Sie ist schon in7 Wien. Schon seit drei Wochen. Papa ist8 auch in Wien. Er hat sich heuer kaum acht9 Tage Urlaub genommen. Ich glaube, der10 Prozeß Erbesheimer macht ihm sehr viel11 Arbeit.“ ‐ „Das kann ich mir denken. Aber12 Ihr Papa ist wohl der Einzige, der Erbes‐13heimer herausreißen kann... Es bedeutet14 ja schon einen Erfolg, daß es überhaupt15 eine Zivilsache geworden ist.“ ‐ Das ist gut,16 das ist gut. „Es ist mir angenehm zu hören,17 daß auch Sie ein so günstiges Vorgefühl18 haben.“ ‐ „Vorgefühl? Inwiefern?“ ‐ „Ja,19 daß der Papa den Prozeß für Erbesheimer20 gewinnen wird.“ ‐ „Das will ich nicht ein‐21mal mit Bestimmtheit behauptet haben.“22 Wie, weicht er schon zurück? Das soll23 ihm nicht gelingen. „O, ich halte etwas24 von Vorgefühlen und von Ahnungen.25 Denken Sie, Herr von Dorsday, gerade26 heute habe ich einen Brief von zu Hause27 bekommen.“ Das war nicht sehr geschickt.28 Er macht ein etwas verblüfftes Gesicht. Nur

1 weiter, nicht schlucken. Er ist ein guter2 alter Freund von Papa. Vorwärts. Vor‐3wärts. Jetzt oder nie. „Herr von Dorsday,4 Sie haben eben so lieb von Papa ge‐5sprochen, es wäre geradezu häßlich von6 mir, wenn ich nicht ganz aufrichtig zu7 Ihnen wäre.“ Was macht er denn für Kalbs‐8augen? O weh, er merkt was. Weiter,9 weiter. „Nämlich in dem Brief ist auch von10 Ihnen die Rede, Herr von Dorsday. Es ist11 nämlich ein Brief von Mama.“ ‐ „So.“12 „Eigentlich ein sehr trauriger Brief. Sie13 kennen ja die Verhältnisse in unserem14 Haus, Herr von Dorsday.“ Um Himmels15 willen, ich habe ja Tränen in der16 Stimme. Vorwärts, vorwärts, jetzt gibt17 es kein Zurück mehr. Gott sei Dank.18 „Kurz und gut, Herr von Dorsday,19 wir wären wieder einmal so weit.“ 20 Jetzt möchte er am liebsten verschwinden.21 „Es handelt sich um eine Bagatelle.22 Wirklich nur um eine Bagatelle, Herr von23 Dorsday. Und doch, wie Mama schreibt,24 steht alles auf dem Spiel.“ Ich rede so blöd’25 daher wie eine Kuh. ‐ „Aber beruhigen Sie26 sich doch, Fräulein Else.“ ‐ Das hat er27 nett gesagt. Aber meinen Arm brauchte er28 darum nicht zu berühren. ‐ „Also, was gibt’s

1 denn eigentlich, Fräulein Else? Was steht2 denn in dem traurigen Brief von Mama!“3 „Herr von Dorsday, der Papa —“ Mir zittern4 die Knie. „Die Mama schreibt mir, daß der5 Papa“ ‐ „Aber um Gottes willen, Else, was6 ist Ihnen denn? Wollen Sie nicht lieber 7 hier ist eine Bank. Darf ich Ihnen den8 Mantel umgeben? Es ist etwas kühl.“9 „Danke, Herr von Dorsday, o, es ist nichts,10 gar nichts Besonderes.“ So, da sitze ich11 nun plötzlich auf der Bank. Wer ist die12 Dame, die da vorüber kommt? Kenn’ ich13 gar nicht. Wenn ich nur nicht weiterreden14 müßte. Wie er mich ansieht! Wie konntest15 du das von mir verlangen, Papa? Das war16 nicht recht von dir, Papa. Nun ist es ein‐17mal geschehen. Ich hätte bis nach dem18 Diner warten sollen. ‐ „Nun, Fräulein19 Else?“ ‐ Sein Monokel baumelt. Dumm20 sieht das aus. Soll ich ihm antworten? Ich21 muß ja. Also geschwind, damit ich es hinter22 mir habe. Was kann mir denn passieren?23 Er ist ein Freund von Papa. „Ach Gott,24 Herr von Dorsday, Sie sind ja ein alter25 Freund unseres Hauses.“ Das habe ich sehr26 gut gesagt. „Und es wird Sie wahrschein‐27lich nicht wundern, wenn ich Ihnen erzähle,28 daß Papa sich wieder einmal in einer recht

1 fatalen Situation befindet.“ Wie merk‐2würdig meine Stimme klingt. Bin das ich,3 die da redet? Träume ich vielleicht? Ich4 habe gewiß jetzt auch ein ganz anderes5 Gesicht als sonst. ‐ „Es wundert mich aller‐6dings nicht übermäßig. Da haben Sie schon7 recht, liebes Fräulein Else, ‐ wenn ich es8 auch lebhaft bedauere.“ ‐ Warum sehe ich9 denn so flehend zu ihm auf? Lächeln,10 lächeln. Geht schon. ‐ „Ich empfinde für11 Ihren Papa eine so aufrichtige Freund‐12schaft, für Sie alle.“ ‐ Er soll mich nicht so13 ansehen, es ist unanständig. Ich will anders14 zu ihm reden und nicht lächeln. Ich muß15 mich würdiger benehmen. „Nun, Herr von16 Dorsday, jetzt hätten Sie Gelegenheit, Ihre17 Freundschaft für meinen Vater zu be‐18weisen.“ Gott sei Dank, ich habe meine19 alte Stimme wieder. „Es scheint nämlich,20 Herr von Dorsday, daß alle unsere Ver‐21wandten und Bekannten die Mehrzahl22 ist noch nicht in Wien sonst wäre Mama23 wohl nicht auf die Idee gekommen. ‐ Neu‐24lich habe ich nämlich zufällig in einem25 Brief an Mama Ihrer Anwesenheit hier in26 Martino Erwähnung getan unter anderm27 natürlich.“ „Ich vermutete gleich, Fräulein28 Else, daß ich nicht das einzige Thema Ihrer

1 Korrespondenz mit Mama vorstelle.“2 Warum drückt er seine Knie an meine,3 während er da vor mir steht. Ach, ich lasse4 es mir gefallen. Was tut’s! Wenn man5 einmal so tief gesunken ist. „Die Sache6 verhält sich nämlich so. Doktor Fiala ist7 es, der diesmal dem Papa besondere8 Schwierigkeiten zu bereiten scheint.“ ‐9 „Ach, Doktor Fiala.“ ‐ Er weiß offenbar10 auch, was er von diesem Fiala zu halten11 hat. „Ja, Doktor Fiala. Und die Summe,12 um die es sich handelt, soll am fünften,13 das ist übermorgen um zwölf Uhr Mittag,14 vielmehr, sie muß in seinen Händen15 sein, wenn nicht der Baron Höning ja,16 denken Sie, der Baron hat Papa zu sich17 bitten lassen, privat, er liebt ihn nämlich18 sehr.“ Warum red’ ich denn von Höning,19 das wär’ ja gar nicht notwendig gewesen.20„Sie wollen sagen, Else, daß andernfalls21 eine Verhaftung unausbleiblich wäre?“22 Warum sagt er das so hart? Ich antworte23 nicht, ich nicke nur. „Ja.“ Nun habe ich24 doch Ja gesagt. ‐ „Hm, das ist ja —25 schlimm, das ist ja wirklich sehr — dieser26 hochbegabte geniale Mensch. ‐ Und um27 welchen Betrag handelt es sich denn eigent‐28lich, Fräulein Else?“ ‐ Warum lächelt er

1 denn? Er findet es schlimm und er lächelt.2 Was meint er mit seinem Lächeln? Daß es3 gleichgültig ist wieviel? Und wenn er Nein4 sagt! Ich bring’ mich um, wenn er Nein5 sagt. Also, ich soll die Summe nennen.6 „Wie, Herr von Dorsday, ich habe noch7 nicht gesagt, wieviel? Eine Million.“8 Warum sag’ ich das? Es ist doch jetzt nicht9 der Moment zum Spaßen? Aber wenn ich10 ihm dann sage, um wieviel weniger es11 in Wirklichkeit ist, wird er sich freuen. Wie12 er die Augen aufreißt? Hält er es am Ende13 wirklich für möglich, daß ihn der Papa14 um eine Million „Entschuldigen Sie, Herr15 von Dorsday, daß ich in diesem Augen‐16blick scherze. Es ist mir wahrhaftig nicht17 scherzhaft zumute.“ Ja, ja, drück’ die18 Knie nur an, du darfst es dir ja erlauben.19 „Es handelt sich natürlich nicht um eine20 Million, es handelt sich im ganzen um21 dreißigtausend Gulden, Herr von Dorsday,22 die bis übermorgen Mittag um zwölf Uhr23 in den Händen des Herrn Doktor Fiala24 sein müssen. Ja. Mama schreibt mir, daß25 Papa alle möglichen Versuche gemacht hat,26 aber wie gesagt, die Verwandten, die in27 Betracht kämen, befinden sich nicht in28 Wien.“ O, Gott, wie ich mich erniedrige.

1 „Sonst wäre es dem Papa natürlich nicht2 eingefallen, sich an Sie zu wenden, Herr3 von Dorsday, respektive mich zu bitten —“4 Warum schweigt er? Warum bewegt er5 keine Miene? Warum sagt er nicht Ja?6 Wo ist das Scheckbuch und die Füllfeder?7 Er wird doch um Himmels willen nicht8 Nein sagen? Soll ich mich auf die Knie9 vor ihm werfen? O Gott! O Gott ‐

10„Am fünften sagten Sie, Fräulein Else?“11 Gott sei Dank, er spricht. „Jawohl über‐12morgen, Herr von Dorsday, um zwölf Uhr13 mittags. Es wäre also nötig ich glaube,14 brieflich ließe sich das kaum mehr er‐15ledigen.“ ‐ „Natürlich nicht, Fräulein Else,16 das müßten wir wohl auf telegraphischem17 Wege“ ‐ ‚Wir‘, das ist gut, das ist sehr18 gut. ‐ „Nun, das wäre das wenigste. Wie‐19viel sagten Sie, Else?“ ‐ Aber er hat es ja20 gehört, warum quält er mich denn? „Drei‐21ßigtausend, Herr von Dorsday. Eigentlich22 eine lächerliche Summe.“ Warum habe ich23 das gesagt? Wie dumm. Aber er lächelt.24 Dummes Mädel, denkt er. Er lächelt ganz25 liebenswürdig. Papa ist gerettet. Er hätte26 ihm auch fünfzigtausend geliehen, und wir27 hätten uns allerlei anschaffen können. Ich28 hätte mir neue Hemden gekauft. Wie ge‐

1mein ich bin. So wird man. ‐ „Nicht ganz2 so lächerlich, liebes Kind,“ ‐ Warum sagt3 er ‚liebes Kind‘? Ist das gut oder schlecht?4„wie Sie sich das vorstellen. Auch dreißig‐5tausend Gulden wollen verdient sein.“6 „Entschuldigen Sie, Herr von Dorsday,7 nicht so habe ich es gemeint. Ich dachte8 nur, wie traurig es ist, daß Papa wegen9 einer solchen Summe, wegen einer solchen10 Bagatelle —“ Ach Gott, ich verhasple mich11 ja schon wieder. „Sie können sich gar12 nicht denken, Herr von Dorsday, wenn13 Sie auch einen gewissen Einblick in unsere14 Verhältnisse haben, wie furchtbar es für15 mich und besonders für Mama ist“ ‐ Er16 stellt den einen Fuß auf die Bank. Soll das17 elegant sein oder was? ‐ „O, ich kann18 mir schon denken, liebe Else.“ ‐ Wie seine19 Stimme klingt, ganz anders, merkwürdig.20„Und ich habe mir selbst schon manches‐21mal gedacht: schade, schade um diesen22 genialen Menschen.“ ‐ Warum sagt er23 ‚schade‘? Will er das Geld nicht hergeben?24 Nein, er meint es nur im allgemeinen.25 Warum sagt er nicht endlich Ja? Oder26 nimmt er das als selbstverständlich an?27 Wie er mich ansieht! Warum spricht er28 nicht weiter? Ah, weil die zwei Ungarinnen

1 vorbeigehen. Nun steht er wenigstens2 wieder anständig da, nicht mehr mit dem3 Fuß auf der Bank. Die Krawatte ist zu grell4 für einen älteren Herrn. Sucht ihm die5 seine Geliebte aus? Nichts besonders Feines6 ‚unter uns‘, schreibt Mama. Dreißig‐7tausend Gulden! Aber ich lächle ihn ja an.8 Warum lächle ich denn? O, ich bin feig. ‐ 9 „Und wenn man wenigstens annehmen10 dürfte, mein liebes Fräulein Else, daß mit11 dieser Summe wirklich etwas getan wäre?12 Aber Sie sind doch ein so kluges Geschöpf,13 Else, was wären diese dreißigtausend14 Gulden? Ein Tropfen auf einen heißen15 Stein.“ ‐ Um Gottes willen, er will das16 Geld nicht hergeben? Ich darf kein so17 erschrockenes Gesicht machen. Alles steht auf18 dem Spiel. Jetzt muß ich etwas Vernünf‐19tiges sagen und energisch. „O nein, Herr20 von Dorsday, diesmal wäre es kein Tropfen21 auf einen heißen Stein. Der Prozeß Erbes‐22heimer steht bevor, vergessen Sie das nicht,23 Herr von Dorsday, und der ist schon heute24 so gut wie gewonnen. Sie hatten ja selbst25 diese Empfindung, Herr von Dorsday. Und26 Papa hat auch noch andere Prozesse. Und27 außerdem habe ich die Absicht, Sie dürfen28 nicht lachen, Herr von Dorsday, mit Papa

1 zu sprechen, sehr ernsthaft. Er hält etwas2 auf mich. Ich darf sagen, wenn jemand3 einen gewissen Einfluß auf ihn zu nehmen4 imstande ist, so bin es noch am ehesten5 ich“ ‐ „Sie sind ja ein rührendes, ein ent‐6zückendes Geschöpf, Fräulein Else.“ ‐ Seine7 Stimme klingt schon wieder. Wie zuwider8 ist mir das, wenn es so zu klingen anfängt9 bei den Männern. Auch bei Fred mag ich10 es nicht. ‐ „Ein entzückendes Geschöpf in11 der Tat.“ ‐ Warum sagt er ‚in der Tat‘?12 Das ist abgeschmackt. Das sagt man doch13 nur im Burgtheater. ‐ „Aber so gern ich14 Ihren Optimismus teilen möchte wenn15 der Karren einmal so verfahren ist.“ ‐ „Das16 ist er nicht, Herr von Dorsday. Wenn ich17 an Papa nicht glauben würde, wenn ich18 nicht ganz überzeugt wäre, daß diese drei‐19ßigtausend Gulden —“ Ich weiß nicht, was20 ich weiter sagen soll. Ich kann ihn doch21 nicht geradezu anbetteln. Er überlegt.22 Offenbar. Vielleicht weiß er die Adresse23 von Fiala nicht? Unsinn. Die Situation ist24 unmöglich. Ich sitze da wie eine arme25 Sünderin. Er steht vor mir und bohrt mir26 das Monokel in die Stirn und schweigt. Ich27 werde jetzt aufstehen, das ist das beste. Ich28 lasse mich nicht so behandeln. Papa soll

1 sich umbringen. Ich werde mich auch um‐2bringen. Eine Schande dieses Leben. Am3 besten wär’s, sich dort von dem Felsen4 hinunterzustürzen und aus wär’s. Geschähe5 euch recht, allen. Ich stehe auf. ‐ „Fräulein6 Else“ ‐ „Entschuldigen Sie, Herr von Dors‐7day, daß ich Sie unter diesen Umständen8 überhaupt bemüht habe. Ich kann Ihr ab‐9lehnendes Verhalten natürlich vollkommen10 verstehen“ ‐ So, aus, ich gehe. ‐ „Bleiben11 Sie, Fräulein Else.“ ‐ Bleiben Sie, sagt er?12 Warum soll ich bleiben? Er gibt das Geld13 her. Ja. Ganz bestimmt. Er muß ja. Aber14 ich setze mich nicht noch einmal nieder.15 Ich bleibe stehen, als wär’ es nur für eine16 halbe Sekunde. Ich bin ein bißchen größer17 als er. ‐ „Sie haben meine Antwort noch18 nicht abgewartet, Else. Ich war ja schon19 einmal, verzeihen Sie, Else, daß ich das in20 diesem Zusammenhang erwähne, ‐ Er21 müßte nicht so oft Else sagen ‐ „in der22 Lage, dem Papa aus einer Verlegenheit zu23 helfen. Allerdings mit einer noch lächer‐24licheren Summe als diesmal, und schmei‐25chelte mir keineswegs mit der Hoffnung,26 diesen Betrag jemals wiedersehen zu dürfen,27 und so wäre eigentlich kein Grund28 vorhanden, meine Hilfe diesmal zu ver‐

1weigern. Und gar wenn ein junges Mädchen2 wie Sie, Else, wenn Sie selbst als Für‐3bitterin vor mich hintreten —“ ‐ Worauf will4 er hinaus? Seine Stimme ‚klingt‘ nicht5 mehr. Oder anders! Wie sieht er mich denn6 an? Er soll acht geben!! ‐ „Also, Else, ich7 bin bereit Doktor Fiala soll übermorgen8 um zwölf Uhr mittags die dreißigtausend9 Gulden haben unter einer Bedingung“10 Er soll nicht weiterreden, er soll nicht.11 „Herr von Dorsday, ich, ich persönlich12 übernehme die Garantie, daß mein Vater13 diese Summe zurückerstatten wird, sobald14 er das Honorar von Erbesheimer erhalten15 hat. Erbesheimers haben bisher überhaupt16 noch nichts gezahlt. Noch nicht einmal17 einen Vorschuß Mama selbst schreibt mir“18„Lassen Sie doch, Else, man soll niemals19 eine Garantie für einen anderen Menschen20 übernehmen, nicht einmal für sich21 selbst.“ ‐ Was will er? Seine Stimme klingt22 schon wieder. Nie hat mich ein Mensch so23 angeschaut. Ich ahne, wo er hinaus will.24 Wehe ihm! ‐ „Hätte ich es vor einer Stunde25 für möglich gehalten, daß ich in einem26 solchen Falle überhaupt mir jemals ein‐27fallen lassen würde, eine Bedingung zu28 stellen? Und nun tue ich es doch. Ja, Else,

1 man ist eben nur ein Mann, und es ist nicht2 meine Schuld, daß Sie so schön sind, Else.“3 ‐ Was will er? Was will er ? ‐ „Viel‐4leicht hätte ich heute oder morgen das5 Gleiche von Ihnen erbeten, was ich jetzt er‐6bitten will, auch wenn Sie nicht eine7 Million, pardon dreißigtausend Gulden8 von mir gewünscht hätten. Aber freilich,9 unter anderen Umständen hätten Sie mir10 wohl kaum Gelegenheit vergönnt, so lange11 Zeit unter vier Augen mit Ihnen zu reden“12 ‐ „O, ich habe Sie wirklich allzu lange13 in Anspruch genommen, Herr von Dors‐14day.“ Das habe ich gut gesagt. Fred wäre15 zufrieden. Was ist das? Er faßt nach16 meiner Hand? Was fällt ihm denn ein? ‐17 „Wissen Sie es denn nicht schon lange,18 Else.“ ‐ Er soll meine Hand loslassen! Nun,19 Gott sei Dank, er läßt sie los. Nicht so nah,20 nicht so nah. ‐ „Sie müßten keine Frau21 sein, Else, wenn Sie es nicht gemerkt22 hätten. Je vous désire.“ ‐ Er hätte es auch23 deutsch sagen können, der Herr Vicomte.24„Muß ich noch mehr sagen?“ ‐ „Sie haben25 schon zu viel gesagt, Herr Dorsday.“ Und26 ich stehe noch da. Warum denn? Ich gehe,27 ich gehe ohne Gruß. ‐ „Else! Else!“ ‐ Nun28 ist er wieder neben mir. ‐ „Verzeihen Sie

1 mir, Else. Auch ich habe nur einen Scherz2 gemacht, geradeso wie Sie vorher mit der 3 Million. Auch meine Forderung stelle ich4 nicht so hoch als Sie gefürchtet haben, wie5 ich leider sagen muß, so daß die geringere6 Sie vielleicht angenehm überraschen wird.7 Bitte, bleiben Sie doch stehen, Else.“ ‐ Ich8 bleibe wirklich stehen. Warum denn? Da9 stehen wir uns gegenüber. Hätte ich ihm10 nicht einfach ins Gesicht schlagen sollen?11 Wäre nicht noch jetzt Zeit dazu? Die zwei12 Engländer kommen vorbei. Jetzt wäre der13 Moment. Gerade darum. Warum tu’ ich es14 denn nicht? Ich bin feig, ich bin zer‐15brochen, ich bin erniedrigt. Was wird er16 nun wollen statt der Million? Einen Kuß17 vielleicht? Darüber ließe sich reden. Eine18 Million zu dreißigtausend verhält sich wie19 ‐ ‐ Komische Gleichungen gibt es. ‐20 „Wenn Sie wirklich einmal eine Million21 brauchen sollten, Else, ‐ ich bin zwar kein22 reicher Mann, dann wollen wir sehen. Aber23 für diesmal will ich genügsam sein, wie Sie.24 Und für diesmal will ich nichts anderes,25 Else, als Sie sehen.“ ‐ Ist er verrückt? Er26 sieht mich doch. Ah, so meint er das, so!27 Warum schlage ich ihm nicht ins Gesicht,28 dem Schuften! Bin ich rot geworden oder

1 blaß? Nackt willst du mich sehen? Das2 möchte mancher. Ich bin schön, wenn ich3 nackt bin. Warum schlage ich ihm nicht4 ins Gesicht? Riesengroß ist sein Gesicht.5 Warum so nah, du Schuft? Ich will deinen6 Atem nicht auf meinen Wangen. Warum7 lasse ich ihn nicht einfach stehen? Bannt8 mich sein Blick? Wir schauen uns ins Auge9 wie Todfeinde. Ich möchte ihm Schuft10 sagen, aber ich kann nicht. Oder will11 ich nicht? ‐ „Sie sehen mich an, Else, als12 wenn ich verrückt wäre. Ich bin es viel‐13leicht ein wenig, denn es geht ein Zauber14 von Ihnen aus, Else, den Sie selbst wohl15 nicht ahnen. Sie müssen fühlen, Else, daß16 meine Bitte keine Beleidigung bedeutet. Ja,17 ‚Bitte‘ sage ich, wenn sie auch einer Er‐18pressung zum Verzweifeln ähnlich sieht.19 Aber ich bin kein Erpresser, ich bin nur20 ein Mensch, der mancherlei Erfahrungen21 gemacht hat, ‐ unter andern die, daß alles22 auf der Welt seinen Preis hat und daß23 einer, der sein Geld verschenkt, wenn er24 in der Lage ist, einen Gegenwert dafür zu25 bekommen, ein ausgemachter Narr ist. Und26 was ich mir diesmal kaufen will, Else,27 so viel es auch ist, Sie werden nicht ärmer28 dadurch, daß Sie es verkaufen. Und daß es

1 ein Geheimnis bleiben würde zwischen2 Ihnen und mir, das schwöre ich Ihnen,3 Else, bei bei all den Reizen, durch deren4 Enthüllung Sie mich beglücken würden.“5 ‐ Wo hat er so reden gelernt? Es klingt6 wie aus einem Buch. ‐ „Und ich schwöre7 Ihnen auch, daß ich von der Situation8 keinen Gebrauch machen werde, der in9 unserem Vertrag nicht vorgesehen war.10 Nichts anderes verlange ich von Ihnen, als11 eine Viertelstunde dastehen dürfen in An‐12dacht vor Ihrer Schönheit. Mein Zimmer13 liegt im gleichen Stockwerk wie das Ihre,14 Else, Nummer fünfundsechzig, leicht zu15 merken. Der schwedische Tennisspieler,16 von dem Sie heut’ sprachen, war doch17 gerade fünfundsechzig Jahre alt?“ ‐ Er ist18 verrückt! Warum lasse ich ihn weiter‐19reden? Ich bin gelähmt. ‐ „Aber wenn es20 Ihnen aus irgendeinem Grunde nicht paßt,21 mich auf Zimmer Nummer fünfundsechzig22 zu besuchen, Else, so schlage ich Ihnen23 einen kleinen Spaziergang nach dem Diner24 vor. Es gibt eine Lichtung im Walde, ich25 habe sie neulich ganz zufällig entdeckt,26 kaum fünf Minuten weit von unserem27 Hotel. ‐ Es wird eine wundervolle Sommer‐28nacht heute, beinahe warm, und das

1 Sternenlicht wird Sie herrlich kleiden.“2 Wie zu einer Sklavin spricht er. Ich3 spucke ihm ins Gesicht. ‐ „Sie sollen mir4 nicht gleich antworten, Else. Überlegen5 Sie. Nach dem Diner werden Sie mir6 gütigst Ihre Entscheidung kundtun.“7 Warum sagt er denn ‚kundtun‘. Was für8 ein blödes Wort: kundtun. ‐ „Überlegen9 Sie in aller Ruhe. Sie werden vielleicht10 spüren, daß es nicht einfach ein Handel11 ist, den ich Ihnen vorschlage.“ ‐ Was denn,12 du klingender Schuft! ‐ „Sie werden mög‐13licherweise ahnen, daß ein Mann zu Ihnen14 spricht, der ziemlich einsam und nicht be‐15sonders glücklich ist und der vielleicht16 einige Nachsicht verdient.“ ‐ Affektierter17 Schuft. Spricht wie ein schlechter Schau‐18spieler. Seine gepflegten Finger sehen aus19 wie Krallen. Nein, nein, ich will nicht.20 Warum sag’ ich es denn nicht. Bring’ dich21 um, Papa! Was will er denn mit meiner22 Hand? Ganz schlaff ist mein Arm. Er führt23 meine Hand an seine Lippen. Heiße24 Lippen. Pfui! Meine Hand ist kalt. Ich25 hätte Lust, ihm den Hut herunter zu blasen.26 Ha, wie komisch wär’ das. Bald ausgeküßt,27 du Schuft? ‐ Die Bogenlampen vor dem28 Hotel brennen schon. Zwei Fenster stehen

1 offen im dritten Stock. Das, wo sich der2 Vorhang bewegt, ist meines. Oben auf dem3 Schrank glänzt etwas. Nichts liegt oben,4 es ist nur der Messingbeschlag. ‐ „Also auf5 Wiedersehen, Else.“ ‐ Ich antworte nichts.6 Regungslos stehe ich da. Er sieht mir ins7 Auge. Mein Gesicht ist undurchdringlich.8 Er weiß gar nichts. Er weiß nicht, ob ich9 kommen werde oder nicht. Ich weiß es10 auch nicht. Ich weiß nur, daß alles aus ist.11 Ich bin halbtot. Da geht er. Ein wenig ge‐12bückt. Schuft! Er fühlt meinen Blick auf13 seinem Nacken. Wen grüßt er denn? Zwei14 Damen. Als wäre er ein Graf, so grüßt er.15 Paul soll ihn fordern und ihn totschießen.16 Oder Rudi. Was glaubt er denn eigentlich?17 Unverschämter Kerl! Nie und nimmer. Es18 wird dir nichts anderes übrig bleiben, Papa,19 du mußt dich umbringen. ‐ Die Zwei20 kommen offenbar von einer Tour. Beide21 hübsch, er und sie. Haben sie noch Zeit,22 sich vor dem Diner umzukleiden? Sind ge‐23wiß auf der Hochzeitsreise oder vielleicht24 gar nicht verheiratet. Ich werde nie auf25 einer Hochzeitsreise sein. Dreißigtausend26 Gulden. Nein, nein, nein! Gibt es keine27 dreißigtausend Gulden auf der Welt? Ich28 fahre zu Fiala. Ich komme noch zu‐

1recht. Gnade, Gnade, Herr Doktor2 Fiala. Mit Vergnügen, mein Fräulein.3 Bemühen Sie sich in mein Schlafzimmer.4 ‐ Tu mir doch den Gefallen, Paul, ver‐5lange dreißigtausend Gulden von deinem6 Vater. Sage, du hast Spielschulden, du7 mußt dich sonst erschießen. Gern, liebe8 Kusine. Ich habe Zimmer Nummer sound‐9soviel, um Mitternacht erwarte ich dich.10 O, Herr von Dorsday, wie bescheiden sind11 Sie. Vorläufig. Jetzt kleidet er sich um.12 Smoking. Also entscheiden wir uns. Wiese13 im Mondenschein oder Zimmer Nummer14 fünfundsechzig? Wird er mich im Smoking15 in den Wald begleiten?

16 Es ist noch Zeit bis zum Diner. Ein biß‐17chen spazierengehen und die Sache in18 Ruhe überlegen. Ich bin ein einsamer19 alter Mann, haha. Himmlische Luft, wie20 Champagner. Gar nicht mehr kühl 21 dreißigtausend... dreißigtausend... Ich22 muß mich jetzt sehr hübsch ausnehmen in23 der weiten Landschaft. Schade, daß keine24 Leute mehr im Freien sind. Dem Herrn25 dort am Waldesrand gefalle ich offenbar26 sehr gut. O, mein Herr, nackt bin ich noch27 viel schöner, und es kostet einen Spottpreis,28 dreißigtausend Gulden. Vielleicht bringen

1 Sie Ihre Freunde mit, dann kommt es2 billiger. Hoffentlich haben Sie lauter3 hübsche Freunde, hübschere und jüngere4 als Herr von Dorsday? Kennen Sie Herrn5 von Dorsday? Ein Schuft ist er ein6 klingender Schuft...

7 Also überlegen, überlegen... Ein Men‐8schenleben steht auf dem Spiel. Das Leben9 von Papa. Aber nein, er bringt sich nicht10 um, er wird sich lieber einsperren lassen.11 Drei Jahre schwerer Kerker oder fünf. In12 dieser ewigen Angst lebt er schon fünf13 oder zehn Jahre... Mündelgelder... Und14 Mama geradeso. Und ich doch auch. ‐ Vor15 wem werde ich mich das nächste Mal16 nackt ausziehen müssen? Oder bleiben wir17 der Einfachheit wegen bei Herrn Dorsday?18 Seine jetzige Geliebte ist ja nichts Feines19 ‚unter uns gesagt‘. Ich wäre ihm gewiß20 lieber. Es ist gar nicht so ausgemacht, ob21 ich viel feiner bin. Tun Sie nicht vornehm,22 Fräulein Else, ich könnte Geschichten von23 Ihnen erzählen... einen gewissen Traum24 zum Beispiel, den Sie schon dreimal gehabt25 haben von dem haben Sie nicht einmal26 Ihrer Freundin Bertha erzählt. Und die27 verträgt doch was. Und wie war denn das28 heuer in Gmunden in der Früh um sechs

1 auf dem Balkon, mein vornehmes Fräulein2 Else? Haben Sie die zwei jungen Leute im3 Kahn vielleicht gar nicht bemerkt, die Sie4 angestarrt haben? Mein Gesicht haben sie5 vom See aus freilich nicht genau aus‐6nehmen können, aber daß ich im Hemd7 war, das haben sie schon bemerkt. Und8 ich hab’ mich gefreut. Ah, mehr als ge‐9freut. Ich war wie berauscht. Mit beiden10 Händen hab’ ich mich über die Hüften ge‐11strichen und vor mir selber hab’ ich getan,12 als wüßte ich nicht, daß man mich sieht.13 Und der Kahn hat sich nicht vom Fleck14 bewegt. Ja, so bin ich, so bin ich. Ein15 Luder, ja. Sie spüren es ja alle. Auch Paul16 spürt es. Natürlich, er ist ja Frauenarzt.17 Und der Marineleutnant hat es ja auch ge‐18spürt und der Maler auch. Nur Fred, der19 dumme Kerl spürt es nicht. Darum liebt20 er mich ja. Aber gerade vor ihm möchte21 ich nicht nackt sein, nie und nimmer. Ich22 hätte gar keine Freude davon. Ich möchte23 mich schämen. Aber vor dem Filou mit24 dem Römerkopf wie gern. Am allerliebsten25 vor dem. Und wenn ich gleich nachher26 sterben müßte. Aber es ist ja nicht not‐27wendig gleich nachher zu sterben. Man28 überlebt es. Die Bertha hat mehr überlebt.

1 Cissy liegt sicher auch nackt da, wenn2 Paul zu ihr schleicht durch die Hotelgänge,3 wie ich heute Nacht zu Herrn von Dorsday4 schleichen werde.

5 Nein, nein. Ich will nicht. Zu jedem andern6 aber nicht zu ihm. Zu Paul meinetwegen.7 Oder ich such’ mir einen aus heute abend8 beim Diner. Es ist ja alles egal. Aber ich9 kann doch nicht jedem sagen, daß ich10 dreißigtausend Gulden dafür haben will!11 Da wäre ich ja wie ein Frauenzimmer von12 der Kärntnerstraße. Nein, ich verkaufe13 mich nicht. Niemals. Nie werde ich mich14 verkaufen. Ich schenke mich her. Ja, wenn15 ich einmal den Rechten finde, schenke ich16 mich her. Aber ich verkaufe mich nicht.17 Ein Luder will ich sein, aber nicht eine18 Dirne. Sie haben sich verrechnet, Herr von19 Dorsday. Und der Papa auch. Ja, ver‐20rechnet hat er sich. Er muß es ja vorher ge‐21sehen haben. Er kennt ja die Menschen. Er22 kennt doch den Herrn von Dorsday. Er hat23 sich doch denken können, daß der Herr24 Dorsday nicht für nichts und wieder nichts —.25 Sonst hätte er doch telegraphieren oder26 selber herreisen können. Aber so war es27 bequemer und sicherer, nicht wahr, Papa?28 Wenn man eine so hübsche Tochter hat,

1 wozu braucht man ins Zuchthaus zu2 spazieren? Und die Mama, dumm wie sie3 ist, setzt sich hin und schreibt den Brief.4 Der Papa hat sich nicht getraut. Da hätte5 ich es ja gleich merken müssen. Aber es6 soll Euch nicht glücken. Nein, du hast zu7 sicher auf meine kindliche Zärtlichkeit8 spekuliert, Papa, zu sicher darauf ge‐9rechnet, daß ich lieber jede Gemeinheit10 erdulden würde als dich die Folgen deines11 verbrecherischen Leichtsinns tragen zu12 lassen. Ein Genie bist du ja. Herr von Dors‐13day sagt es, alle Leute sagen es. Aber was14 hilft mir das. Fiala ist eine Null, aber er15 unterschlägt keine Mündelgelder, sogar16 Waldheim ist nicht in einem Atem mit dir17 zu nennen... Wer hat das nur gesagt? Der18 Doktor Froriep. Ein Genie ist Ihr Papa. ‐ 19 Und ich hab’ ihn erst einmal reden gehört!20 ‐ Im vorigen Jahr im Schwurgerichtssaal21 ‐ ‐ zum ersten- und letztenmal! Herrlich!22 Die Tränen sind mir über die Wangen ge‐23laufen. Und der elende Kerl, den er ver‐24teidigt hat, ist freigesprochen worden. Er25 war vielleicht gar kein so elender Kerl. Er26 hat jedenfalls nur gestohlen, keine Mündel‐27gelder veruntreut, um Bakkarat zu spielen28 und auf der Börse zu spekulieren. Und jetzt

1 wird der Papa selber vor den Geschworenen2 stehen. In allen Zeitungen wird man es3 lesen. Zweiter Verhandlungstag, dritter4 Verhandlungstag; der Verteidiger erhob5 sich zu einer Replik. Wer wird denn sein6 Verteidiger sein? Kein Genie. Nichts wird7 ihm helfen. Einstimmig schuldig. Verur‐8teilt auf fünf Jahre. Stein, Sträflingskleid,9 geschorene Haare. Einmal im Monat darf10 man ihn besuchen. Ich fahre mit Mama11 hinaus, dritter Klasse. Wir haben ja kein12 Geld. Keiner leiht uns was. Kleine13 Wohnung in der Lerchenfelderstraße, so14 wie die, wo ich die Nähterin besucht habe15 vor zehn Jahren. Wir bringen ihm etwas16 zu essen mit. Woher denn? Wir haben ja17 selber nichts. Onkel Viktor wird uns eine18 Rente aussetzen. Dreihundert Gulden19 monatlich. Rudi wird in Holland sein bei20 Vanderhulst wenn man noch auf ihn21 reflektiert. Die Kinder des Sträflings!22 Roman von Temme in drei Bänden. Der23 Papa empfängt uns im gestreiften Sträf‐24lingsanzug. Er schaut nicht bös drein, nur25 traurig. Er kann ja gar nicht bös drein‐26schauen. ‐ Else, wenn du mir damals das27 Geld verschafft hättest, das wird er sich28 denken, aber er wird nichts sagen. Er wird

1 nicht das Herz haben, mir Vorwürfe zu2 machen. Er ist ja seelengut, nur leichtsinnig3 ist er. Sein Verhängnis ist die Spielleiden‐4schaft. Er kann ja nichts dafür, es ist eine5 Art von Wahnsinn. Vielleicht spricht man6 ihn frei, weil er wahnsinnig ist. Auch den7 Brief hat er vorher nicht überlegt. Es ist8 ihm vielleicht gar nicht eingefallen, daß9 Dorsday die Gelegenheit benützen könnte,10 und so eine Gemeinheit von mir verlangen11 wird. Er ist ein guter Freund unseres12 Hauses, er hat dem Papa schon einmal acht‐13tausend Gulden geliehen. Wie soll man so14 was von einem Menschen denken. Zuers‐15t hat der Papa sicher alles andere versucht.16 Was muß er durchgemacht haben, ehe er17 die Mama veranlaßt hat, diesen Brief zu18 schreiben? Von einem zum andern ist er19 gelaufen, von Warsdorf zu Burin, von20 Burin zu Wertheimstein und weiß Gott21 noch zu wem. Bei Onkel Karl war er gewiß22 auch. Und alle haben sie ihn im Stich ge‐23lassen. Alle die sogenannten Freunde. Und24 nun ist Dorsday seine Hoffnung, seine25 letzte Hoffnung. Und wenn das Geld nicht26 kommt, so bringt er sich um. Natürlich27 bringt er sich um. Er wird sich doch nicht28 einsperren lassen. Untersuchungshaft, Ver‐

1handlung, Schwurgericht, Kerker, Sträfl‐2ingsgewand. Nein, nein! Wenn der Haft‐3befehl kommt, erschießt er sich oder hängt4 sich auf. Am Fensterkreuz wird er hängen.5 Man wird herüberschicken vom Haus6 vis‐à‐vis, der Schlosser wird aufsperren7 müssen und ich bin schuld gewesen. Und8 jetzt sitzt er zusammen mit Mama im selben9 Zimmer, wo er übermorgen hängen wird,10 und raucht eine Havannazigarre. Woher11 hat er immer noch Havannazigarren? Ich12 höre ihn sprechen, wie er die Mama be‐13ruhigt. Verlaß dich drauf, Dorsday weist14 das Geld an. Bedenke doch, ich habe ihm15 heuer im Winter eine große Summe durch16 meine Intervention gerettet. Und dann17 kommt der Prozeß Erbesheimer... ‐18 Wahrhaftig. ‐ Ich höre ihn sprechen. Tele‐19pathie! Merkwürdig. Auch Fred seh ich in20 diesem Moment. Er geht mit einem Mädel21 im Stadtpark am Kursalon vorbei. Sie hat22 eine hellblaue Bluse und lichte Schuhe und23 ein bißl heiser ist sie. Das weiß ich alles24 ganz bestimmt. Wenn ich nach Wien25 komme, werde ich Fred fragen, ob er am26 dritten September zwischen halb acht und27 acht Uhr abends mit seiner Geliebten im28 Stadtpark war.

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2 Wohin denn noch? Was ist denn mit mir?3 Beinahe ganz dunkel. Wie schön und4 ruhig. Weit und breit kein Mensch. Nun5 sitzen sie alle schon beim Diner. Tele‐6pathie? Nein, das ist noch keine Telepathie.7 Ich habe ja früher das Tamtam gehört. Wo8 ist die Else? wird sich Paul denken. Es9 wird allen auffallen, wenn ich zur Vor‐10speise noch nicht da bin. Sie werden zu mir11 heraufschicken. Was ist das mit Else? Sie12 ist doch sonst so pünktlich? Auch die zwei13 Herren am Fenster werden denken: Wo ist14 denn heute das schöne junge Mädel mit15 dem rötlich blonden Haar? Und Herr von16 Dorsday wird Angst bekommen. Er ist17 sicher feig. Beruhigen Sie sich, Herr von18 Dorsday, es wird Ihnen nichts geschehen.19 Ich verachte Sie ja so sehr. Wenn ich20 wollte, morgen abend wären Sie ein toter21 Mann. ‐ Ich bin überzeugt, Paul würde ihn22 fordern, wenn ich ihm die Sache erzählte.23 Ich schenke Ihnen das Leben, Herr von24 Dorsday.

25 Wie ungeheuer weit die Wiesen und wie26 riesig schwarz die Berge. Keine Sterne bei‐27nahe. Ja doch, drei, vier, es werden schon28 mehr. Und so still der Wald hinter mir.29 Schön hier auf der Bank am Waldesrand

1 zu sitzen. So fern, so fern das Hotel und2 so märchenhaft leuchtet es her. Und was3 für Schufte sitzen drin. Ach nein, Men‐4schen, arme Menschen, sie tun mir alle5 so leid. Auch die Marchesa tut mir leid,6 ich weiß nicht warum, und die Frau7 Winawer und die Bonne von Cissys8 kleinem Mädel. Sie sitzt nicht an der Table9 d’hôtes, sie hat schon früher mit Fritzi ge‐10gessen. Was ist das nur mit Else, fragt11 Cissy. Wie, auf ihrem Zimmer ist sie auch12 nicht? Alle haben sie Angst um mich, ganz13 gewiß. Nur ich habe keine Angst. Ja, da14 bin ich in Martino di Castrozza, sitze auf15 einer Bank am Waldesrand und die Luft16 ist wie Champagner und mir scheint gar,17 ich weine. Ja, warum weine ich denn? Es18 ist doch kein Grund zu weinen. Das sind19 die Nerven. Ich muß mich beherrschen.20 Ich darf mich nicht so gehen lassen. Aber21 das Weinen ist gar nicht unangenehm. Das22 Weinen tut mir immer wohl. Wie ich23 unsere alte Französin besucht habe im24 Krankenhaus, die dann gestorben ist, habe25 ich auch geweint. Und beim Begräbnis von26 der Großmama, und wie die Bertha nach27 Nürnberg gereist ist, und wie das Kleine von28 der Agathe gestorben ist, und im Theater

1 bei der Kameliendame hab’ ich auch ge‐2weint. Wer wird weinen, wenn ich tot bin?3 O, wie schön wäre das tot zu sein. Auf‐4gebahrt liege ich im Salon, die Kerzen5 brennen. Lange Kerzen. Zwölf lange6 Kerzen. Unten steht schon der Leichen‐7wagen. Vor dem Haustor stehen Leute. 8 Wie alt war sie denn? Erst neunzehn.9 Wirklich erst neunzehn? ‐ Denken Sie sich,10 ihr Papa ist im Zuchthaus. Warum hat sie11 sich denn umgebracht? Aus unglücklicher12 Liebe zu einem Filou. Aber was fällt Ihnen13 denn ein? Sie hätte ein Kind kriegen sollen.14 Nein, sie ist vom Cimone heruntergestürzt.15 Es ist ein Unglücksfall. Guten Tag, Herr16 Dorsday, Sie erweisen der kleinen Else17 auch die letzte Ehre? Kleine Else, sagt das18 alte Weib. ‐ Warum denn? Natürlich, ich19 muß ihr die letzte Ehre erweisen. Ich habe20 ihr ja auch die erste Schande erwiesen. O,21 es war der Mühe wert, Frau Winawer, ich22 habe noch nie einen so schönen Körper23 gesehen. Es hat mich nur dreißig Millionen24 gekostet. Ein Rubens kostet dreimal so viel.25 Mit Haschisch hat sie sich vergiftet. Sie26 wollte nur schöne Visionen haben, aber sie27 hat zu viel genommen und ist nicht mehr28 aufgewacht. Warum hat er denn ein rotes

1 Monokel der Herr Dorsday? Wem winkt2 er denn mit dem Taschentuch? Die Mama3 kommt die Treppe herunter und küßt ihm4 die Hand. Pfui, pfui. Jetzt flüstern sie mit‐5einander. Ich kann nichts verstehen, weil ich6 aufgebahrt bin. Der Veilchenkranz um7 meine Stirn ist von Paul. Die Schleifen8 fallen bis auf den Boden. Kein Mensch9 traut sich ins Zimmer. Ich stehe lieber auf10 und schaue zum Fenster hinaus. Was für11 ein großer blauer See! Hundert Schiffe mit12 gelben Segeln . Die Wellen glitzern. So13 viel Sonne. Regatta. Die Herren haben alle14 Ruderleibchen. Die Damen sind im15 Schwimmkostüm. Das ist unanständig. Sie16 bilden sich ein, ich bin nackt. Wie dumm17 sie sind. Ich habe ja schwarze Trauer‐18kleider an, weil ich tot bin. Ich werde es19 euch beweisen. Ich lege mich gleich wieder20 auf die Bahre hin. Wo ist sie denn? Fort21 ist sie. Man hat sie davongetragen. Man hat22 sie unterschlagen. Darum ist der Papa im23 Zuchthaus. Und sie haben ihn doch frei‐24gesprochen auf drei Jahre. Die Ge‐25schworenen sind alle bestochen von Fiala.26 Ich werde jetzt zu Fuß auf den Friedhof27 gehen, da erspart die Mama das Begräbnis.28 Wir müssen uns einschränken. Ich gehe so

1 schnell, daß mir keiner nachkommt. Ah,2 wie schnell ich gehen kann. Da bleiben sie3 alle auf den Straßen stehen und wundern4 sich. Wie darf man jemanden so anschaun,5 der tot ist! Das ist zudringlich. Ich gehe6 lieber übers Feld, das ist ganz blau von7 Vergißmeinnicht und Veilchen. Die Marine‐8offiziere stehen Spalier. Guten Morgen,9 meine Herren. Öffnen Sie das Tor, Herr10 Matador. Erkennen Sie mich nicht? Ich bin11 ja die Tote... Sie müssen mir darum nicht12 die Hand küssen... Wo ist denn meine13 Gruft? Hat man die auch unterschlagen?14 Gott sei Dank, es ist gar nicht der Fried‐15hof. Das ist ja der Park in Mentone. Der16 Papa wird sich freuen, daß ich nicht be‐17graben bin. Vor den Schlangen habe ich18 keine Angst. Wenn mich nur keine in den19 Fuß beißt. O weh.

20 Was ist denn? Wo bin ich denn? Habe ich21 geschlafen? Ja. Geschlafen habe ich. Ich22 muß sogar geträumt haben. Mir ist so kalt23 in den Füßen. Im rechten Fuß ist mir kalt.24 Wieso denn? Da ist am Knöchel ein kleiner25 Riß im Strumpf. Warum sitze ich denn26 noch im Wald? Es muß ja längst geläutet27 haben zum Diner. Dinner.

28 O Gott, wo war ich denn? So weit war ich

1 fort. Was hab ich denn geträumt? Ich2 glaube ich war schon tot. Und keine Sorgen3 habe ich gehabt und mir nicht den4 Kopf zerbrechen müssen. Dreißigtausend,5 dreißigtausend... ich habe sie noch nicht.6 Ich muß sie mir erst verdienen. Und da sitz’ 7 ich allein am Waldesrand. Das Hotel8 leuchtet bis her. Ich muß zurück. Es ist9 schrecklich, daß ich zurück muß. Aber es10 ist keine Zeit mehr zu verlieren. Herr von11 Dorsday erwartet meine Entscheidung.12 Entscheidung. Entscheidung! Nein. Nein,13 Herr von Dorsday, kurz und gut, nein. Sie14 haben gescherzt, Herr von Dorsday, selbst‐15verständlich. Ja, das werde ich ihm sagen.16 O, das ist ausgezeichnet. Ihr Scherz war17 nicht sehr vornehm, Herr von Dorsday,18 aber ich will Ihnen verzeihen. Ich tele‐19graphiere morgen früh an Papa, Herr von20 Dorsday, daß das Geld pünktlich in Doktor21 Fialas Händen sein wird. Wunderbar. Das22 sage ich ihm. Da bleibt ihm nichts übrig,23 er muß das Geld abschicken. Muß? Muß24 er? Warum muß er denn? Und wenn er’s25 täte, so würde er sich dann rächen irgend‐26wie. Er würde es so einrichten, daß das27 Geld zu spät kommt. Oder er würde das28 Geld schicken und dann überall erzählen,

1 daß er mich gehabt hat. Aber er schickt ja2 das Geld gar nicht ab. Nein, Fräulein Else,3 so haben wir nicht gewettet. Telegraphieren4 Sie dem Papa, was Ihnen beliebt, ich5 schicke das Geld nicht ab. Sie sollen nicht6 glauben, Fräulein Else, daß ich mich von7 so einem kleinen Mädel übertölpeln lasse,8 ich der Vicomte von Eperies.

9 Ich muß vorsichtig gehen. Der Weg ist10 ganz dunkel. Sonderbar, es ist mir wohler11 als vorher. Es hat sich doch gar nichts ge‐12ändert und mir ist wohler. Was habe ich13 denn nur geträumt? Von einem Matador?14 Was war denn das für ein Matador? Es ist15 doch weiter zum Hotel, als ich gedacht16 habe. Sie sitzen gewiß noch alle beim Diner.17 Ich werde mich ruhig an den Tisch setzen18 und sagen, daß ich Migräne gehabt habe19 und lasse mir nachservieren. Herr von20 Dorsday wird am Ende selbst zu mir21 kommen und mir sagen, daß das Ganze nur22 ein Scherz war. Entschuldigen Sie, Fräu‐23lein Else, entschuldigen Sie den schlechten24 Spaß, ich habe schon an meine Bank tele‐25graphiert. Aber er wird es nicht sagen. Er26 hat nicht telegraphiert. Es ist alles noch27 genau so wie früher. Er wartet. Herr von28 Dorsday wartet. Nein, ich will ihn nicht

1 sehen. Ich kann ihn nicht mehr sehen. Ich2 will niemanden mehr sehen. Ich will nicht3 mehr ins Hotel, ich will nicht mehr nach4 Hause, ich will nicht nach Wien, zu5 niemandem will ich, zu keinem Menschen,6 nicht zu Papa und nicht zu Mama, nicht7 zu Rudi und nicht zu Fred, nicht zu Berta8 und nicht zu Tante Irene. Die ist noch die9 beste, die würde alles verstehen. Aber ich10 habe nichts mehr mit ihr zu tun und mit11 niemandem mehr. Wenn ich zaubern12 könnte, wäre ich ganz wo anders in der13 Welt. Auf irgendeinem herrlichen Schiff14 im Mittelländischen Meer, aber nicht allein.15 Mit Paul zum Beispiel. Ja, das könnte ich16 mir ganz gut vorstellen. Oder ich wohnte17 in einer Villa am Meer, und wir lägen auf18 den Marmorstufen, die ins Wasser führen,19 und er hielte mich fest in seinen Armen20 und bisse mich in die Lippen, wie es21 Albert vor zwei Jahren getan hat beim22 Klavier, der unverschämte Kerl. Nein.23 Allein möchte ich am Meer liegen auf den24 Marmorstufen und warten. Und endlich25 käme Einer oder mehrere, und ich hätte26 die Wahl und die Andern, die ich ver‐27schmähe, die stürzen sich aus Verzweiflung28 alle ins Meer. Oder sie müßten Geduld

1 haben bis zum nächsten Tag. Ach, was2 wäre das für ein köstliches Leben. Wozu3 habe ich denn meine herrlichen Schultern4 und meine schönen schlanken Beine? Und5 wozu bin ich denn überhaupt auf der Welt?6 Und es geschähe ihnen ganz recht, ihnen7 allen, sie haben mich ja doch nur darauf‐8hin erzogen, daß ich mich verkaufe, so9 oder so. Vom Theaterspielen haben sie10 nichts wissen wollen. Da haben sie mich11 ausgelacht. Und es wäre ihnen ganz recht12 gewesen im vorigen Jahr, wenn ich den13 Direktor Wilomitzer geheiratet hätte, der14 bald fünfzig ist. Nur daß sie mir nicht zu‐15geredet haben. Da hat sich der Papa doch16 geniert. Aber die Mama hat ganz deutliche17 Anspielungen gemacht.

18 Wie riesig es dasteht das Hotel, wie eine19 ungeheuere beleuchtete Zauberburg. Alles20 ist so riesig. Die Berge auch. Man könnte21 sich fürchten. Noch nie waren sie so22 schwarz. Der Mond ist noch nicht da. Der23 geht erst zur Vorstellung auf, zur großen24 Vorstellung auf der Wiese, wenn der Herr25 von Dorsday seine Sklavin nackt tanzen26 läßt. Was geht mich denn der Herr Dors‐27day an? Nun, Mademoiselle Else, was28 machen Sie denn für Geschichten? Sie

1 waren doch schon bereit auf und davon zu2 gehen, die Geliebte von fremden Männern3 zu werden, von einem nach dem andern.4 Und auf die Kleinigkeit, die Herr von Dors‐5day von Ihnen verlangt, kommt es Ihnen6 an? Für einen Perlenschmuck, für schöne7 Kleider, für eine Villa am Meer sind Sie8 bereit sich zu verkaufen? Und das Leben9 Ihres Vaters ist Ihnen nicht so viel wert?10 Es wäre gerade der richtige Anfang. Es11 wäre dann gleich die Rechtfertigung für12 alles andere. Ihr wart es, könnt’ ich sagen,13 Ihr habt mich dazu gemacht, Ihr alle seid14 schuld, daß ich so geworden bin, nicht nur15 Papa und Mama. Auch der Rudi ist schuld16 und der Fred und alle, alle, weil sich ja17 niemand um einen kümmert. Ein bißchen18 Zärtlichkeit, wenn man hübsch aussieht,19 und ein bißl Besorgtheit, wenn man Fieber20 hat, und in die Schule schicken sie einen,21 und zu Hause lernt man Klavier und Fran‐22zösisch, und im Sommer geht man auf’s23 Land und zum Geburtstag kriegt man Ge‐24schenke und bei Tisch reden sie über25 allerlei. Aber was in mir vorgeht und was26 in mir wühlt und Angst hat, habt ihr euch27 darum je gekümmert? Manchmal im Blick28 von Papa war eine Ahnung davon, aber

1 ganz flüchtig. Und dann war gleich wieder2 der Beruf da, und die Sorgen und das3 Börsenspiel und wahrscheinlich irgendein4 Frauenzimmer ganz im geheimen, ‚nichts5 sehr Feines unter uns‘, und ich war6 wieder allein. Nun, was tätst du Papa, was7 tätst du heute, wenn ich nicht da wäre?

8 Da stehe ich, ja da stehe ich vor dem Hotel.9 ‐ Furchtbar da hineingehen zu müssen, alle10 die Leute sehen, den Herrn von Dorsday,11 die Tante, Cissy. Wie schön war das früher12 auf der Bank am Waldesrand, wie ich13 schon tot war. Matador wenn ich nur14 drauf käm’, was eine Regatta war es,15 richtig und ich habe vom Fenster aus zu‐16gesehen. Aber wer war der Matador? ‐ 17 Wenn ich nur nicht so müd’ wäre, so furcht‐18bar müde. Und da soll ich bis Mitternacht19 aufbleiben und mich dann ins Zimmer von20 Herrn von Dorsday schleichen? Vielleicht21 begegne ich der Cissy auf dem Gang. Hat22 sie was an unter dem Schlafrock, wenn sie23 zu ihm kommt? Es ist schwer, wenn man24 in solchen Dingen nicht geübt ist. Soll ich25 sie nicht um Rat fragen, die Cissy? Natür‐26lich würde ich nicht sagen, daß es sich um27 Dorsday handelt, sondern sie müßte sich28 denken, ich habe ein nächtliches Rendez‐

1vous mit einem von den hübschen jungen2 Leuten hier im Hotel. Zum Beispiel mit3 dem langen blonden Menschen, der die4 leuchtenden Augen hat. Aber der ist ja5 nicht mehr da. Plötzlich war er ver‐6schwunden. Ich habe doch gar nicht an ihn7 gedacht bis zu diesem Augenblick. Aber es8 ist leider nicht der lange blonde Mensch9 mit den leuchtenden Augen, auch der Paul10 ist es nicht, es ist der Herr von Dorsday.11 Also wie mach’ ich es denn? Was sage ich12 ihm? Einfach Ja? Ich kann doch nicht zu13 Herrn Dorsday ins Zimmer kommen. Er14 hat sicher lauter elegante Flakons auf dem15 Waschtisch, und das Zimmer riecht nach16 französischem Parfüm. Nein, nicht um die17 Welt zu ihm. Lieber im Freien. Da geht er18 mich nichts an. Der Himmel ist so hoch19 und die Wiese ist so groß. Ich muß gar20 nicht an den Herrn Dorsday denken. Ich21 muß ihn nicht einmal anschauen. Und22 wenn er es wagen würde, mich anzurühren,23 einen Tritt bekäme er mit meinen nackten24 Füßen. Ach, wenn es doch ein anderer25 wäre, irgendein anderer. Alles, alles könnte26 er von mir haben heute Nacht, jeder27 andere, nur Dorsday nicht. Und gerade der!28 Gerade der! Wie seine Augen stechen und

1 bohren werden. Mit dem Monokel wird er2 dastehen und grinsen. Aber nein, er wird3 nicht grinsen. Er wird ein vornehmes Ge‐4sicht schneiden. Elegant. Er ist ja solche5 Dinge gewohnt. Wie viele hat er schon so6 gesehen? Hundert oder tausend? Aber war7 schon eine darunter wie ich? Nein, gewiß8 nicht. Ich werde ihm sagen, daß er nicht9 der Erste ist, der mich so sieht. Ich werde10 ihm sagen, daß ich einen Geliebten habe.11 Aber erst, wenn die dreißigtausend Gulden12 an Fiala abgesandt sind. Dann werde ich13 ihm sagen, daß er ein Narr war, daß er14 mich auch hätte haben können um das‐15selbe Geld. ‐ Daß ich schon zehn Liebhaber16 gehabt habe, zwanzig, hundert. ‐ Aber das17 wird er mir ja alles nicht glauben. ‐ Und18 wenn er es mir glaubt, was hilft es mir? ‐ 19 Wenn ich ihm nur irgendwie die Freude20 verderben könnte. Wenn noch einer dabei21 wäre? Warum nicht? Er hat ja nicht ge‐22sagt, daß er mit mir allein sein muß. Ach,23 Herr von Dorsday, ich habe solche Angst24 vor Ihnen. Wollen Sie mir nicht freund‐25lichst gestatten, einen guten Bekannten mit‐26zubringen? O, das ist keineswegs gegen die27 Abrede, Herr von Dorsday. Wenn es mir28 beliebte, dürfte ich das ganze Hotel dazu

1 einladen, und Sie wären trotzdem ver‐2pflichtet, die dreißigtausend Gulden ab‐3zuschicken. Aber ich begnüge mich damit,4 meinen Vetter Paul mitzubringen. Oder5 ziehen Sie etwa einen andern vor? Der6 lange blonde Mensch ist leider nicht mehr7 da und der Filou mit dem Römerkopf8 leider auch nicht. Aber ich find’ schon9 noch wen andern. Sie fürchten Indis‐10kretion? Darauf kommt es ja nicht an. Ich11 lege keinen Wert auf Diskretion. Wenn12 man einmal so weit ist wie ich, dann ist13 alles ganz egal. Das ist heute ja nur der14 Anfang. Oder denken Sie, aus diesem Aben‐15teuer fahre ich wieder nach Hause als an‐16ständiges Mädchen aus guter Familie?17 Nein, weder gute Familie noch anständiges18 junges Mädchen. Das wäre erledigt. Ich19 stelle mich jetzt auf meine eigenen Beine.20 Ich habe schöne Beine, Herr von Dorsday,21 wie Sie und die übrigen Teilnehmer des22 Festes bald zu bemerken Gelegenheit haben23 werden. Also die Sache ist in Ordnung,24 Herr von Dorsday. Um zehn Uhr, während25 alles noch in der Halle sitzt, wandern wir26 im Mondenschein über die Wiese, durch27 den Wald nach Ihrer berühmten selbst‐28entdeckten Lichtung. Das Telegramm an

1 die Bank bringen Sie für alle Fälle gleich2 mit. Denn eine Sicherheit darf ich doch3 wohl verlangen von einem solchen Spitz‐4buben wie Sie. Und um Mitternacht können5 Sie wieder nach Hause gehen, und ich6 bleibe mit meinem Vetter oder sonst wem7 auf der Wiese im Mondenschein. Sie haben8 doch nichts dagegen, Herr von Dorsday?9 Das dürfen Sie gar nicht. Und wenn ich10 morgen früh zufällig tot sein sollte, so11 wundern sie sich weiter nicht. Dann wird12 eben Paul das Telegramm aufgeben. Dafür13 wird schon gesorgt sein. Aber bilden Sie14 sich dann um Gottes willen nicht ein, daß15 Sie, elender Kerl, mich in den Tod ge‐16trieben haben. Ich weiß ja schon lange, daß17 es so mit mir enden wird. Fragen Sie doch18 nur meinen Freund Fred, ob ich es ihm19 nicht schon öfters gesagt habe. Fred, das20 ist nämlich Herr Friedrich Wenkheim,21 nebstbei der einzige anständige Mensch,22 den ich in meinem Leben kennengelernt23 habe. Der einzige, den ich geliebt hätte,24 wenn er nicht ein gar so anständiger Mensch25 wäre. Ja, ein so verworfenes Geschöpf bin26 ich. Bin nicht geschaffen für eine bürger‐27liche Existenz, und Talent habe ich auch28 keines. Für unsere Familie wäre es sowieso

1 das Beste, sie stürbe aus. Mit dem Rudi2 wird auch schon irgendein Malheur ge‐3schehen. Der wird sich in Schulden stürzen4 für eine holländische Chansonette und bei5 Vanderhulst defraudieren. Das ist schon so6 in unserer Familie. Und der jüngste7 Bruder von meinem Vater, der hat sich er‐8schossen, wie er fünfzehn Jahre alt war.9 Kein Mensch weiß warum. Ich habe ihn10 nicht gekannt. Lassen Sie sich die Photo‐11graphie zeigen, Herr von Dorsday. Wir12 haben sie in einem Album... Ich soll ihm13 ähnlich sehen. Kein Mensch weiß, warum14 er sich umgebracht hat. Und von mir wird15 es auch keiner wissen. Ihretwegen keines‐16falls, Herr von Dorsday. Die Ehre tue ich17 Ihnen nicht an. Ob mit neunzehn oder ein‐18undzwanzig, das ist doch egal. Oder soll19 ich Bonne werden oder Telephonistin oder20 einen Herrn Wilomitzer heiraten oder mich21 von Ihnen aushalten lassen? Es ist alles22 gleich ekelhaft, und ich komme überhaupt23 gar nicht mit Ihnen auf die Wiese. Nein,24 das ist alles viel zu anstrengend und zu25 dumm und zu widerwärtig. Wenn ich tot26 bin, werden Sie schon die Güte haben und27 die paar tausend Gulden für den Papa ab‐28senden, denn es wäre doch zu traurig, wenn

1 er gerade an dem Tage verhaftet würde, an2 dem man meine Leiche nach Wien bringt.3 Aber ich werde einen Brief hinterlassen4 mit testamentarischer Verfügung: Herr von5 Dorsday hat das Recht, meinen Leichnam6 zu sehen. Meinen schönen nackten7 Mädchenleichnam. So können Sie sich8 nicht beklagen, Herr von Dorsday, daß ich9 Sie übers Ohr gehaut habe. Sie haben doch10 was für Ihr Geld. Daß ich noch lebendig11 sein muß, das steht nicht in unserem Kon‐12trakt. O nein. Das steht nirgends ge‐13schrieben. Also den Anblick meines Leich‐14nams vermache ich dem Kunsthändler15 Dorsday, und Herrn Fred Wenkheim ver‐16mache ich mein Tagebuch aus meinem17 siebzehnten Lebensjahr weiter habe ich18 nicht geschrieben und dem Fräulein bei19 Cissy vermache ich die fünf Zwanzigfranks‐20Stücke, die ich vor Jahren aus der Schweiz21 mitgebracht habe. Sie liegen im Schreib‐22tisch neben den Briefen. Und Bertha ver‐23mache ich das schwarze Abendkleid. Und24 Agathe meine Bücher. Und meinem Vetter25 Paul, dem vermache ich einen Kuß auf26 meine blassen Lippen. Und der Cissy ver‐27mache ich mein Rakett, weil ich edel bin.28 Und man soll mich gleich hier begraben

1 in San Martino di Castrozza auf dem2 schönen kleinen Friedhof. Ich will nicht3 mehr zurück nach Hause. Auch als Tote4 will ich nicht mehr zurück. Und Papa und5 Mama sollen sich nicht kränken, mir geht6 es besser als ihnen. Und ich verzeihe ihnen.7 Es ist nicht schade um mich. ‐ Haha, was8 für ein komisches Testament. Ich bin wirk‐9lich gerührt. Wenn ich denke, daß ich10 morgen um die Zeit, während die andern11 beim Diner sitzen, schon tot bin? ‐ Die12 Tante Emma wird natürlich nicht zum13 Diner herunterkommen und Paul auch14 nicht. Sie werden sich auf dem Zimmer15 servieren lassen. Neugierig bin ich, wie16 sich Cissy benehmen wird. Nur werde ich17 es leider nicht erfahren. Gar nichts mehr18 werde ich erfahren. Oder vielleicht weiß19 man noch alles, so lange man nicht be‐20graben ist? Und am Ende bin ich nur21 scheintot. Und wenn der Herr von Dors‐22day an meinen Leichnam tritt, so erwache23 ich und schlage die Augen auf, da läßt er24 vor Schreck das Monokel fallen.

25 Aber es ist ja leider alles nicht wahr. Ich26 werde nicht scheintot sein und tot auch27 nicht. Ich werde mich überhaupt gar nicht28 umbringen, ich bin ja viel zu feig. Wenn

1 ich auch eine couragierte Kletterin bin,2 feig bin ich doch. Und vielleicht habe ich3 nicht einmal genug Veronal. Wieviel Pulver4 braucht man denn? Sechs glaube ich. Aber5 zehn ist sicherer. Ich glaube, es sind noch6 zehn. Ja, das werden genug sein.

7 Zum wievielten Mal lauf’ ich jetzt eigent‐8lich um das Hotel herum? Also was jetzt?9 Da steh’ ich vor dem Tor. In der Halle10 ist noch niemand. Natürlich sie sitzen ja11 noch alle beim Diner. Seltsam sieht die12 Halle aus so ganz ohne Menschen. Auf dem13 Sessel dort liegt ein Hut, ein Touristenhut,14 ganz fesch. Hübscher Gemsbart. Dort im15 Fauteuil sitzt ein alter Herr. Hat wahr‐16scheinlich keinen Appetit mehr. Liest17 Zeitung. Dem geht’s gut. Er hat keine18 Sorgen. Er liest ruhig Zeitung, und ich19 muß mir den Kopf zerbrechen, wie ich dem20 Papa dreißigtausend Gulden verschaffen21 soll. Aber nein. Ich weiß ja wie. Es ist22 ja so furchtbar einfach. Was will ich denn?23 Was will ich denn? Was tu’ ich denn da24 in der Halle? Gleich werden sie alle25 kommen vom Diner. Was soll ich denn tun?26 Herr von Dorsday sitzt gewiß auf Nadeln.27 Wo bleibt sie, denkt er sich. Hat sie sich28 am Ende umgebracht? Oder engagiert sie

1 jemanden, daß er mich umbringt? Oder2 hetzt sie ihren Vetter Paul auf mich? Haben3 Sie keine Angst, Herr von Dorsday, ich bin4 keine so gefährliche Person. Ein kleines5 Luder bin ich, weiter nichts. Für die Angst,6 die Sie ausgestanden haben, sollen Sie auch7 Ihren Lohn haben. Zwölf Uhr, Zimmer8 Nummer fünfundsechzig. Im Freien wäre9 es mir doch zu kühl. Und von Ihnen aus,10 Herr von Dorsday, begebe ich mich direkt11 zu meinem Vetter Paul. Sie haben doch12 nichts dagegen, Herr von Dorsday?

13 „Else! Else!“

14 Wie? Was? Das ist ja Pauls Stimme. Das15 Diner schon aus? ‐ „Else!“ ‐ „Ach, Paul,16 was gibt’s denn, Paul?“ Ich stell’ mich17 ganz unschuldig. ‐ „Ja, wo steckst du denn,18 Else?“ ‐ „Wo soll ich denn stecken? Ich19 bin spazieren gegangen.“ ‐ „Jetzt, während20 des Diners?“ ‐ „Na, wann denn? Es ist doch21 die schönste Zeit dazu.“ Ich red’ Blödsinn.22„Die Mama hat sich schon alles Mögliche23 eingebildet. Ich war an deiner Zimmertür,24 hab’ geklopft.“ ‐ „Hab’ nichts gehört.“ ‐ 25 „Aber im Ernst, Else, wie kannst du26 uns in eine solche Unruhe versetzen! Du27 hättest Mama doch wenigstens verständigen28 können, daß du nicht zum Diner kommst.“

1 ‐ „Du hast ja recht, Paul, aber wenn du2 eine Ahnung hättest, was ich für Kopf‐3schmerzen gehabt habe.“ Ganz schmelzend4 red’ ich. O, ich Luder. ‐ „Ist dir jetzt5 wenigstens besser?“ ‐ „Könnt’ ich eigentlich6 nicht sagen.“ ‐ „Ich will vor allem der7 Mama“ ‐ „Halt Paul, noch nicht. Ent‐8schuldige mich bei der Tante, ich will nur9 für ein paar Minuten auf mein Zimmer,10 mich ein bißl herrichten. Dann komme ich11 gleich herunter und werde mir eine Kleinig‐12keit nachservieren lassen.“ ‐ „Du bist so13 blaß, Else? ‐ Soll ich dir die Mama hinauf‐14schicken?“ ‐ „Aber mach’ doch keine solchen15 Geschichten mit mir, Paul, und schau’ mich16 nicht so an. Hast du noch nie ein weib‐17liches Wesen mit Kopfschmerzen gesehen?18 Ich komme bestimmt noch herunter. In19 zehn Minuten spätestens. Grüß dich Gott,20 Paul.“ ‐ „Also auf Wiedersehen, Else.“21 Gott sei Dank, daß er geht. Dummer Bub’,22 aber lieb. Was will denn der Portier von23 mir? Wie, ein Telegramm? „Danke. Wann24 ist denn die Depesche gekommen, Herr25 Portier?“ ‐ „Vor einer Viertelstunde,26 Fräulein.“ ‐ Warum schaut er mich denn27 so an, so — bedauernd. Um Himmels28 willen, was wird denn da drin stehn? Ich

1 mach’ sie erst oben auf, sonst fall’ ich viel‐2leicht in Ohnmacht. Am Ende hat sich der3 Papa — Wenn der Papa tot ist, dann ist4 ja alles in Ordnung, dann muß ich nicht5 mehr mit Herrn von Dorsday auf die Wiese6 gehn... O, ich elende Person. Lieber Gott,7 mach’, daß in der Depesche nichts Böses8 steht. Lieber Gott, mach’, daß der Papa9 lebt. Verhaftet meinetwegen, nur nicht tot.10 Wenn nichts Böses drin steht, dann will11 ich ein Opfer bringen. Ich werde Bonne,12 ich nehme eine Stellung in einem Bureau13 an. Sei nicht tot, Papa. Ich bin ja bereit.14 Ich tue ja alles, was du willst...

15Gott sei Dank, daß ich oben bin. Licht ge‐16macht, Licht gemacht. Kühl ist es ge‐17worden. Das Fenster war zu lange offen.18 Courage, Courage. Ha, vielleicht steht drin,19 daß die Sache geordnet ist. Vielleicht hat20 der Onkel Bernhard das Geld hergegeben21 und sie telegraphieren mir: Nicht mit Dors‐22day reden. Ich werde es ja gleich sehen.23 Aber wenn ich auf den Plafond schaue, kann24 ich natürlich nicht lesen, was in der25 Depesche steht. Trala, trala, Courage. Es26 muß ja sein. ‚Wiederhole flehentliche Bitte27 mit Dorsday reden. Summe nicht dreißig,28 sondern fünfzig. Sonst alles vergeblich.

1 Adresse bleibt Fiala.‘ ‐ Sondern fünfzig.2 Sonst alles vergeblich. Trala, trala. Fünf‐3zig. Adresse bleibt Fiala. Aber gewiß, ob4 fünfzig oder dreißig, darauf kommt es ja5 nicht an. Auch dem Herrn von Dorsday6 nicht. Das Veronal liegt unter der Wäsche,7 für alle Fälle. Warum habe ich nicht gleich8 gesagt: fünfzig. Ich habe doch daran ge‐9dacht! Sonst alles vergeblich. Also hinunter,10 geschwind, nicht da auf dem Bett sitzen11 bleiben. Ein kleiner Irrtum, Herr von Dors‐12day, verzeihen Sie. Nicht dreißig, sondern13 fünfzig, sonst alles vergeblich. Adresse14 bleibt Fiala. ‐ ‚Sie halten mich wohl für15 einen Narren, Fräulein Else?‘ Keineswegs,16 Herr Vicomte, wie sollte ich. ‚Für fünfzig17 müßte ich jedesfalls entsprechend mehr18 fordern, Fräulein.‘ Sonst alles vergeblich,19 Adresse bleibt Fiala. Wie Sie wünschen,20 Herr von Dorsday. Bitte, befehlen Sie nur.21 Vor allem aber, schreiben Sie die Depesche22 an Ihr Bankhaus, natürlich, sonst habe ich23 ja keine Sicherheit. ‐

24 Ja, so mach’ ich es. Ich komme zu ihm25 ins Zimmer und erst, wenn er vor meinen26 Augen die Depesche geschrieben ziehe ich27 mich aus. Und die Depesche behalte ich in28 der Hand. Ha, wie unappetitlich. Und wo

1 soll ich denn meine Kleider hinlegen? Nein,2 nein, ich ziehe mich schon hier aus und3 nehme den großen schwarzen Mantel um,4 der mich ganz einhüllt. So ist es am be‐5quemsten. Für beide Teile. Adresse bleibt6 Fiala. Mir klappern die Zähne. Das Fenster7 ist noch offen. Zugemacht. Im Freien? Den8 Tod hätte ich davon haben können. Schuft!9 Fünfzigtausend. Er kann nicht Nein sagen.10 Zimmer fünfundsechzig. Aber vorher sag’ 11 ich Paul, er soll in seinem Zimmer auf mich12 warten. Von Dorsday geh’ ich direkt zu13 Paul und erzähle ihm alles. Und dann soll14 Paul ihn ohrfeigen. Ja, noch heute Nacht.15 Ein reichhaltiges Programm. Und dann16 kommt das Veronal. Nein, wozu denn?17 Warum denn sterben? Keine Spur. Lustig,18 lustig, jetzt fängt ja das Leben erst an. Ihr19 sollt Euere Freude haben. Ihr sollt stolz20 werden auf Euer Töchterlein. Ein Luder will21 ich werden, wie es die Welt noch nicht ge‐22sehen hat. Adresse bleibt Fiala. Du sollst23 deine fünfzigtausend Gulden haben, Papa.24 Aber die nächsten, die ich mir verdiene,25 um die kaufe ich mir neue Nachthemden26 mit Spitzen besetzt, ganz durchsichtig und27 köstliche Seidenstrümpfe. Man lebt nur28 einmal. Wozu schaut man denn so aus wie

1 ich. Licht gemacht, ‐ die Lampe über dem2 Spiegel schalt’ ich ein. Wie schön meine3 blondroten Haare sind, und meine4 Schultern; meine Augen sind auch nicht5 übel. Hu, wie groß sie sind. Es wär’ schad’ 6 um mich. Zum Veronal ist immer noch7 Zeit. ‐ Aber ich muß ja hinunter. Tief8 hinunter. Herr Dorsday wartet, und er weiß9 noch nicht einmal, daß es indes fünfzig‐10tausend geworden sind. Ja, ich bin im11 Preis gestiegen, Herr von Dorsday. Ich12 muß ihm das Telegramm zeigen, sonst13 glaubt er mir am Ende nicht und denkt,14 ich will ein Geschäft bei der Sache machen.15 Ich werde die Depesche auf sein Zimmer16 schicken und etwas dazu schreiben. Zu17 meinem lebhaften Bedauern sind es nun18 fünfzigtausend geworden, Herr von Dors‐19day, das kann Ihnen ja ganz egal sein.20 Und ich bin überzeugt, Ihre Gegenforderung21 war gar nicht ernst gemeint. Denn Sie sind22 ein Vicomte und ein Gentleman. Morgen23 früh werden Sie die fünfzigtausend, an24 denen das Leben meines Vaters hängt, ohne25 weiters an Fiala senden. Ich rechne darauf.26 ‐ ‚Selbstverständlich, mein Fräulein, ich27 sende für alle Fälle gleich hunderttausend,28 ohne jede Gegenleistung und verpflichte

1 mich überdies, von heute an für den Lebens‐2unterhalt Ihrer ganzen Familie zu sorgen,3 die Börsenschulden Ihres Herrn Papas zu4 zahlen und sämtliche veruntreute Mündel‐5gelder zu ersetzen.‘ Adresse bleibt Fiala.6 Hahaha! Ja, genau so ist der Vicomte von7 Eperies. Das ist ja alles Unsinn. Was bleibt8 mir denn übrig? Es muß ja sein, ich muß9 es ja tun, alles, alles muß ich tun, was Herr10 von Dorsday verlangt, damit der Papa11 morgen das Geld hat, damit er nicht ein‐12gesperrt wird, damit er sich nicht umbringt.13 Und ich werde es auch tun. Ja, ich werde14 es tun, obzwar doch alles für die Katz’ ist.15 In einem halben Jahr sind wir wieder16 gerade so weit wie heute! In vier Wochen!17 ‐ Aber dann geht es mich nichts mehr an.18 Das eine Opfer bringe ich und dann19 keines mehr. Nie, nie, niemals wieder. Ja,20 das sage ich dem Papa, sobald ich nach21 Wien komme. Und dann fort aus dem22 Haus, wo immer hin. Ich werde mich mit23 Fred beraten. Er ist der einzige, der mich24 wirklich gern hat. Aber so weit bin ich ja25 noch nicht. Ich bin nicht in Wien, ich bin26 noch in Martino di Castrozza. Noch nichts27 ist geschehen. Also wie, wie, was? Da ist28 das Telegramm. Was tue ich denn mit dem

1 Telegramm? Ich habe es ja schon gewußt.2 Ich muß es ihm auf sein Zimmer schicken.3 Aber was sonst? Ich muß ihm etwas dazu4 schreiben. Nun ja, was soll ich ihm5 schreiben? Erwarten Sie mich um zwölf.6 Nein, nein, nein! Den Triumph soll er nicht7 haben. Ich will nicht, will nicht, will nicht.8 Gott sei Dank, daß ich die Pulver da habe.9 Das ist die einzige Rettung. Wo sind sie10 denn? Um Gottes willen, man wird sie mir11 doch nicht gestohlen haben. Aber nein, da12 sind sie ja. Da in der Schachtel. Sind sie13 noch alle da? Ja, da sind sie. Eins, zwei,14 drei, vier, fünf, sechs. Ich will sie ja nur15 ansehen, die lieben Pulver. Es verpflichtet16 ja zu nichts. Auch daß ich sie ins Glas17 schütte, verpflichtet ja zu nichts. Eins,18 zwei, aber ich bringe mich ja sicher nicht19 um. Fällt mir gar nicht ein. Drei, vier,20 fünf davon stirbt man auch noch lange21 nicht. Es wäre schrecklich, wenn ich das22 Veronal nicht mit hätte. Da müßte ich mich23 zum Fenster hinunterstürzen und dazu24 hätt’ ich doch nicht den Mut. Aber das25 Veronal, man schläft langsam ein, wacht26 nicht mehr auf, keine Qual, kein Schmerz.27 Man legt sich ins Bett; in einem Zuge28 trinkt man es aus, träumt, und alles ist

1 vorbei. Vorgestern habe ich auch ein Pul‐2ver genommen und neulich sogar zwei.3 Pst, niemandem sagen. Heut’ werden es halt4 ein bißl mehr sein. Es ist ja nur für alle5 Fälle. Wenn es mich gar gar zu sehr6 grausen sollte. Aber warum soll es mich7 denn grausen? Wenn er mich anrührt, so8 spucke ich ihm ins Gesicht. Ganz ein‐9fach.

10 Aber wie soll ich ihm denn den Brief zu‐11kommen lassen? Ich kann doch nicht dem12 Herrn von Dorsday durch das Stuben‐13mädchen einen Brief schicken. Das Beste,14 ich gehe hinunter und rede mit ihm und15 zeige ihm das Telegramm. Hinunter muß16 ich ja jedenfalls. Ich kann doch nicht da17 heroben im Zimmer bleiben. Ich hielte es18 ja gar nicht aus, drei Stunden lang bis19 der Moment kommt. Auch wegen der Tante20 muß ich hinunter. Ha, was geht mich denn21 die Tante an. Was gehen mich die Leute22 an? Sehen Sie, meine Herrschaften, da23 steht das Glas mit dem Veronal. So, jetzt24 nehme ich es in die Hand. So, jetzt führe25 ich es an die Lippen. Ja, jeden Moment26 kann ich drüben sein, wo es keine Tanten27 gibt und keinen Dorsday und keinen Vater,28 der Mündelgelder defraudiert...

1 Aber ich werde mich nicht umbringen. Das2 habe ich nicht notwendig. Ich werde3 auch nicht zu Herrn von Dorsday ins Zimmer4 gehen. Fällt mir gar nicht ein. Ich werde5 mich doch nicht um fünfzigtausend6 Gulden nackt hinstellen vor einen alten7 Lebemann, um einen Lumpen vor dem8 Kriminal zu retten. Nein, nein, entweder9 oder. Wie kommt denn der Herr von Dors‐10day dazu? Gerade der? Wenn einer mich11 sieht, dann sollen mich auch andere sehen.12 Ja! ‐ Herrlicher Gedanke! ‐ Alle sollen13 sie mich sehen. Die ganze Welt soll mich14 sehen. Und dann kommt das Veronal. Nein,15 nicht das Veronal, wozu denn?! dann16 kommt die Villa mit den Marmorstufen17 und die schönen Jünglinge und die Frei‐18heit und die weite Welt! Guten Abend,19 Fräulein Else, so gefallen Sie mir. Haha.20 Da unten werden sie meinen, ich bin ver‐21rückt geworden. Aber ich war noch nie so22 vernünftig. Zum erstenmal in meinem23 Leben bin ich wirklich vernünftig. Alle,24 alle sollen sie mich sehen! ‐ Dann gibt es25 kein Zurück, kein nach Hause zu Papa und26 Mama, zu den Onkeln und Tanten. Dann27 bin ich nicht mehr das Fräulein Else, das28 man an irgendeinen Direktor Wilomitzer

1 verkuppeln möchte; alle hab’ ich sie so2 zum Narren; den Schuften Dorsday vor3 allem und komme zum zweitenmal auf4 die Welt... sonst alles vergeblich 5 Adresse bleibt Fiala. Haha!

6 Keine Zeit mehr verlieren, nicht wieder7 feig werden. Herunter das Kleid. Wer wird8 der Erste sein? Wirst du es sein, Vetter9 Paul? Dein Glück, daß der Römerkopf10 nicht mehr da ist. Wirst du diese schönen11 Brüste küssen heute Nacht? Ah, wie bin12 ich schön. Bertha hat ein schwarzes Seiden‐13hemd. Raffiniert. Ich werde noch viel14 raffinierter sein. Herrliches Leben. Fort15 mit den Strümpfen, das wäre unanständig.16 Nackt, ganz nackt. Wie wird mich Cissy17 beneiden! Und andere auch. Aber sie18 trauen sich nicht. Sie möchten ja alle so19 gern. Nehmt Euch ein Beispiel. Ich, die20 Jungfrau, ich traue mich. Ich werde mich21 ja zu Tod lachen über Dorsday. Da bin22 ich, Herr von Dorsday. Rasch auf die Post.23 Fünfzigtausend. So viel ist es doch24 wert?

25Schön, schön bin ich! Schau’ mich an,26 Nacht! Berge schaut mich an! Himmel27 schau’ mich an, wie schön ich bin. Aber28 ihr seid ja blind. Was habe ich von euch.

1 Die da unten haben Augen. Soll ich mir2 die Haare lösen? Nein. Da säh ich aus wie3 eine Verrückte. Aber Ihr sollt mich nicht4 für verrückt halten. Nur für schamlos sollt5 Ihr mich halten. Für eine Kanaille. Wo ist6 das Telegramm? Um Gottes willen, wo7 habe ich denn das Telegramm? Da liegt8 es ja, friedlich neben dem Veronal.9 ‚Wiederhole flehentlich ‐ fünfzigtausend10 ‐ sonst alles vergeblich. Adresse bleibt11 Fiala.‘ Ja, das ist das Telegramm. Das ist12 ein Stück Papier und da stehen Worte dar‐13auf. Aufgegeben in Wien vier Uhr dreißig.14 Nein, ich träume nicht, es ist alles wahr.15 Und zu Hause warten sie auf die fünfzig‐16tausend Gulden. Und Herr von Dorsday17 wartet auch. Er soll nur warten. Wir haben18 ja Zeit. Ah, wie hübsch ist es, so nackt im19 Zimmer auf und abzuspazieren. Bin ich20 wirklich so schön wie im Spiegel? Ach,21 kommen Sie doch näher, schönes Fräulein.22 Ich will Ihre blutroten Lippen küssen. Ich23 will Ihre Brüste an meine Brüste pressen.24 Wie schade, daß das Glas zwischen uns25 ist, das kalte Glas. Wie gut würden wir26 uns miteinander vertragen. Nicht wahr?27 Wir brauchten gar niemanden andern. Es28 gibt vielleicht gar keine andern Menschen.

1 Es gibt Telegramme und Hotels und Berge2 und Bahnhöfe und Wälder, aber Menschen3 gibt es nicht. Die träumen wir nur. Nur4 der Doktor Fiala existiert mit der Adresse.5 Es bleibt immer dieselbe. O, ich bin keines‐6wegs verrückt. Ich bin nur ein wenig er‐7regt. Das ist doch ganz selbstverständlich,8 bevor man zum zweitenmal auf die Welt9 kommt. Denn die frühere Else ist schon10 gestorben. Ja, ganz bestimmt bin ich tot.11 Da braucht man kein Veronal dazu. Soll12 ich es nicht weggießen? Das Stubenmädel13 könnte es aus Versehen trinken. Ich werde14 einen Zettel hinlegen und darauf schreiben:15 Gift; nein, lieber: Medizin, damit dem16 Stubenmädel nichts geschieht. So edel bin17 ich. So. Medizin, zweimal unterstrichen und18 drei Ausrufungszeichen. Jetzt kann nichts19 passieren. Und wenn ich dann herauf‐20komme und keine Lust habe mich um‐21zubringen und nur schlafen will, dann22 trinke ich eben nicht das ganze Glas aus,23 sondern nur ein Viertel davon oder noch24 weniger. Ganz einfach. Alles habe ich in25 meiner Hand. Am einfachsten wäre, ich26 liefe hinunter so wie ich bin über Gang27 und Stiegen. Aber nein, da könnte ich auf‐28gehalten werden, ehe ich unten bin und

1 ich muß doch die Sicherheit haben, daß2 der Herr von Dorsday dabei ist! Sonst3 schickt er natürlich das Geld nicht ab, der4 Schmutzian. ‐ Aber ich muß ihm ja noch5 schreiben. Das ist doch das Wichtigste.6 O, kalt ist die Sessellehne, aber angenehm.7 Wenn ich meine Villa am italienischen8 See haben werde, dann werde ich in9 meinem Park immer nackt herum‐10spazieren... Die Füllfeder vermache ich11 Fred, wenn ich einmal sterbe. Aber vor‐12läufig habe ich etwas Gescheiteres zu tun13 als zu sterben. ‚Hochverehrter Herr14 Vicomte‘ ‐ also vernünftig Else, keine Auf‐15schrift, weder hochverehrt, noch hoch‐16verachtet. ‚Ihre Bedingung, Herr von Dors‐17day, ist erfüllt‘ ‐ ‐ ‐ ‚In dem Augen‐18blick, da Sie diese Zeilen lesen, Herr von19 Dorsday, ist ihre Bedingung erfüllt, wenn20 auch nicht ganz in der von Ihnen vor‐21gesehenen Weise.‘ ‐ ‚Nein, wie gut das22 Mädel schreibt‘, möcht’ der Papa sagen. ‐ 23 ‚Und so rechne ich darauf, daß Sie Ihrer‐24seits Ihr Wort halten und die fünfzig‐25tausend Gulden telegraphisch an die be‐26kannte Adresse unverzüglich anweisen27 lassen werden, Else.‘ Nein, nicht Else. Gar28 keine Unterschrift. So. Mein schönes gelbes

1 Briefpapier! Hab’ ich zu Weihnachten be‐2kommen. Schad’ drum. So — und jetzt3 Telegramm und Brief ins Kuvert. ‐ ‚Herrn4 von Dorsday‘, Zimmer Nummer fünfund‐5sechzig. Wozu die Nummer? Ich lege ihm6 den Brief einfach vor die Tür im Vorbei‐7gehen. Aber ich muß nicht. Ich muß über‐8haupt gar nichts. Wenn es mir beliebt,9 kann ich mich jetzt auch ins Bett legen10 und schlafen und mich um nichts mehr11 kümmern. Nicht um den Herrn von Dors‐12day und nicht um den Papa. Ein gestreifter13 Sträflingsanzug ist auch ganz elegant. Und14 erschossen haben sich schon viele. Und15 sterben müssen wir alle.

16 Aber du hast ja das alles vorläufig nicht17 nötig, Papa. Du hast ja deine herrlich ge‐18wachsene Tochter, und Adresse bleibt19 Fiala. Ich werde eine Sammlung einleiten.20 Mit dem Teller werde ich herumgehen.21 Warum sollte nur Herr von Dorsday22 zahlen? Das wäre ein Unrecht. Jeder nach23 seinen Verhältnissen. Wieviel wird Paul24 auf den Teller legen? Und wieviel der Herr25 mit dem goldenen Zwicker? Aber bildet26 Euch nur ja nicht ein, daß das Vergnügen27 lange dauern wird. Gleich hülle ich mich28 wieder ein, laufe die Treppen hinauf in

1 mein Zimmer, sperre mich ein und, wenn2 es mir beliebt, trinke ich das ganze Glas3 auf einen Zug. Aber es wird mir nicht be‐4lieben. Es wäre nur eine Feigheit. Sie ver‐5dienen gar nicht so viel Respekt, die6 Schufte. Schämen vor Euch? Ich mich7 schämen vor irgend wem? Das habe ich8 wirklich nicht nötig. Laß dir noch einmal9 in die Augen sehen, schöne Else. Was du10 für Riesenaugen hast, wenn man näher11 kommt. Ich wollte, es küßte mich einer auf12 meine Augen, auf meinen blutroten Mund.13 Kaum über die Knöchel reicht mein Mantel.14 Man wird sehen, daß meine Füße nackt15 sind. Was tut’s, man wird noch mehr16 sehen! Aber ich bin nicht verpflichtet. Ich17 kann gleich wieder umkehren, noch bevor18 ich unten bin. Im ersten Stock kann ich19 umkehren. Ich muß überhaupt nicht20 hinuntergehen. Aber ich will ja. Ich freue21 mich drauf. Hab’ ich mir nicht mein ganzes22 Leben lang so was gewünscht?

23 Worauf warte ich denn noch? Ich bin ja24 bereit. Die Vorstellung kann beginnen. Den25 Brief nicht vergessen. Eine aristokratische26 Schrift behauptet Fred. Auf Wiedersehen,27 Else. Du bist schön mit dem Mantel. 28 Florentinerinnen haben sich so malen

1 lassen. In den Galerien hängen ihre Bilder2 und es ist eine Ehre für sie. ‐ Man muß3 gar nichts bemerken, wenn ich den Mantel4 um habe. Nur die Füße, nur die Füße. Ich5 nehme die schwarzen Lackschuhe, dann6 denkt man, es sind fleischfarbene Strümpfe.7 So werde ich durch die Halle gehen, und8 kein Mensch wird ahnen, daß unter dem9 Mantel nichts ist, als ich, ich selber. Und10 dann kann ich immer noch herauf... ‐11 Wer spielt denn da unten so schön Klavier?12 Chopin? ‐ Herr von Dorsday wird etwas13 nervös sein. Vielleicht hat er Angst vor14 Paul. Nur Geduld, Geduld, wird sich alles15 finden. Ich weiß noch gar nichts, Herr von16 Dorsday, ich bin selber schrecklich ge‐17spannt. Licht ausschalten! Ist alles in Ord‐18nung in meinem Zimmer? Leb’ wohl,19 Veronal, auf Wiedersehen. Leb’ wohl, mein20 heißgeliebtes Spiegelbild. Wie du im21 Dunkel leuchtest. Ich bin schon ganz ge‐22wohnt, unter dem Mantel nackt zu sein.23 Ganz angenehm. Wer weiß, ob nicht24 manche so in der Halle sitzen und keiner25 weiß es? Ob nicht manche Dame so ins26 Theater geht und so in ihrer Loge sitzt 27 zum Spaß oder aus anderen Gründen.

28 Soll ich zusperren? Wozu? Hier wird ja

1 nichts gestohlen. Und wenn auch ‐ ich2 brauche ja nichts mehr. Schluß... Wo ist3 denn Nummer fünfundsechzig? Niemand4 ist auf dem Gang. Alles noch unten5 beim Diner. Einundsechzig... zweiund‐6sechzig... das sind ja riesige Bergschuhe,7 die da vor der Türe stehen. Da hängt eine8 Hose am Haken. Wie unanständig. Vier‐9undsechzig, fünfundsechzig. So. Da wohnt10 er, der Vicomte... Da unten lehn’ ich den11 Brief hin, an die Tür. Da muß er ihn gleich12 sehen. Es wird ihn doch keiner stehlen?13 So, da liegt er... Macht nichts... Ich kann14 noch immer tun, was ich will. Hab’ ich ihn15 halt zum Narrn gehalten... Wenn ich ihm16 nur jetzt nicht auf der Treppe begegne. Da17 kommt ja... nein, das ist er nicht!... Der18 ist viel hübscher als der Herr von Dorsday,19 sehr elegant, mit dem kleinen schwarzen20 Schnurrbart. Wann ist denn der an‐21gekommen? Ich könnte eine kleine Probe22 veranstalten ein ganz klein wenig den23 Mantel lüften. Ich habe große Lust dazu.24 Schauen Sie mich nur an, mein Herr. Sie25 ahnen nicht, an wem Sie da vorübergehen.26 Schade, daß Sie gerade jetzt sich herauf‐27bemühen. Warum bleiben Sie nicht in der28 Halle? Sie versäumen etwas. Große Vor‐

1stellung. Warum halten Sie mich nicht auf?2 Mein Schicksal liegt in Ihrer Hand. Wenn3 Sie mich grüßen, so kehre ich wieder um.4 So grüßen Sie mich doch. Ich sehe Sie doch5 so liebenswürdig an... Er grüßt nicht. Vor‐6bei ist er. Er wendet sich um, ich spüre7 es. Rufen Sie, grüßen Sie! Retten Sie mich!8 Vielleicht sind Sie an meinem Tode schuld,9 mein Herr! Aber Sie werden es nie erfahren. 10 Adresse bleibt Fiala...

11 Wo bin ich? Schon in der Halle? Wie bin12 ich daher gekommen? So wenig Leute und13 so viele Unbekannte. Oder sehe ich so14 schlecht? Wo ist Dorsday? Er ist nicht da.15 Ist es ein Wink des Schicksals? Ich will16 zurück. Ich will einen andern Brief an Dors‐17day schreiben. Ich erwarte Sie in meinem18 Zimmer um Mitternacht. Bringen Sie die19 Depesche an Ihre Bank mit. Nein. Er20 könnte es für eine Falle halten. Könnte auch21 eine sein. Ich könnte Paul bei mir versteckt22 haben, und er könnte ihn mit dem Revolver23 zwingen, uns die Depesche auszuliefern. Er‐24pressung. Ein Verbrecherpaar. Wo ist Dors‐25day? Dorsday, wo bist du? Hat er sich viel‐26leicht umgebracht aus Reue über meinen27 Tod? Im Spielzimmer wird er sein. Gewiß.28 An einem Kartentisch wird er sitzen. Dann

1 will ich ihm von der Tür aus mit den Augen2 ein Zeichen geben. Er wird sofort auf‐3stehen. ‚Hier bin ich, mein Fräulein.‘ Seine4 Stimme wird klingen. ‚Wollen wir ein5 wenig promenieren, Herr Dorsday?‘ ‚Wie6 es beliebt, Fräulein Else.‘ Wir gehen über7 den Marienweg zum Walde hin. Wir sind8 allein. Ich schlage den Mantel auseinander.9 Die fünfzigtausend sind fällig. Die Luft ist10 kalt, ich bekomme eine Lungenentzündung11 und sterbe... Warum sehen mich die zwei12 Damen an? Merken sie was? Warum bin13 ich denn da? Bin ich verrückt? Ich werde14 zurückgehen in mein Zimmer, mich ge‐15schwind ankleiden, das blaue, drüber den16 Mantel wie jetzt, aber offen, da kann nie‐17mand glauben, daß ich vorher nichts an‐18gehabt habe... Ich kann nicht zurück. Ich19 will auch nicht zurück. Wo ist Paul? Wo20 ist Tante Emma? Wo ist Cissy? Wo sind21 sie denn alle? Keiner wird es merken...22 Man kann es ja gar nicht merken. Wer23 spielt so schön? Chopin? Nein, Schu‐24mann.

25 Ich irre in der Halle umher wie eine Fleder‐26maus. Fünfzigtausend! Die Zeit vergeht. Ich27 muß diesen verfluchten Herrn von Dorsday28 finden. Nein, ich muß in mein Zimmer

1 zurück... Ich werde Veronal trinken. Nur2 einen kleinen Schluck, dann werde ich gut3 schlafen... Nach getaner Arbeit ist gut4 ruhen... Aber die Arbeit ist noch nicht ge‐5tan... Wenn der Kellner den schwarzen6 Kaffee dem alten Herrn dort serviert, so geht7 alles gut aus. Und wenn er ihn dem jungen8 Ehepaar in der Ecke bringt, so ist alles ver‐9loren. Wieso? Was heißt das? Zu dem alten10 Herrn bringt er den Kaffee. Triumph! Alles11 geht gut aus. Ha, Cissy und Paul! Da12 draußen vor dem Hotel gehen sie auf und13 ab. Sie reden ganz vergnügt miteinander.14 Er regt sich nicht sonderlich auf wegen15 meiner Kopfschmerzen. Schwindler!...16 Cissy hat keine so schönen Brüste wie ich.17 Freilich, sie hat ja ein Kind... Was reden18 die Zwei? Wenn man es hören könnte! Was19 geht es mich an, was sie reden? Aber ich20 könnte auch vors Hotel gehen, ihnen guten21 Abend wünschen und dann weiter, weiter‐22flattern über die Wiese, in den Wald,23 hinaufsteigen, klettern, immer höher, bis24 auf den Cimone hinauf, mich hinlegen, ein‐25schlafen, erfrieren. Geheimnisvoller Selbst‐26mord einer jungen Dame der Wiener Ge‐27sellschaft. Nur mit einem schwarzen Abend‐28mantel bekleidet, wurde das schöne

1 Mädchen an einer unzugänglichen Stelle2 des Cimone della Pala tot aufgefunden... 3 Aber vielleicht findet man mich nicht...4 Oder erst im nächsten Jahr. Oder noch5 später. Verwest. Als Skelett. Doch besser,6 hier in der geheizten Halle sein und nicht7 erfrieren. Nun, Herr von Dorsday, wo8 stecken Sie denn eigentlich? Bin ich ver‐9pflichtet zu warten? Sie haben mich zu10 suchen, nicht ich Sie. Ich will noch im Spiel‐11saal nachschauen. Wenn er dort nicht ist,12 hat er sein Recht verwirkt. Und ich schreibe13 ihm: Sie waren nicht zu finden, Herr von14 Dorsday, Sie haben freiwillig verzichtet;15 das entbindet Sie nicht von der Verpflich‐16tung, das Geld sofort abzuschicken. Das17 Geld. Was für ein Geld denn? Was18 kümmert mich das? Es ist mir doch ganz19 gleichgültig, ob er das Geld abschickt oder20 nicht. Ich habe nicht das geringste Mitleid21 mehr mit Papa. Mit keinem Menschen habe22 ich Mitleid. Auch mit mir selber nicht. Mein23 Herz ist tot. Ich glaube, es schlägt gar nicht24 mehr. Vielleicht habe ich das Veronal schon25 getrunken... Warum schaut mich die hol‐26ländische Familie so an? Man kann doch27 unmöglich was merken. Der Portier sieht28 mich auch so verdächtig an. Ist vielleicht

1 noch eine Depesche gekommen? Achtzig‐2tausend? Hunderttausend? Adresse bleibt3 Fiala. Wenn eine Depesche da wäre, würde4 er es mir sagen. Er sieht mich hochach‐5tungsvoll an. Er weiß nicht, daß ich unter6 dem Mantel nichts an habe. Niemand weiß7 es. Ich gehe zurück in mein Zimmer. Zurück,8 zurück, zurück! Wenn ich über die9 Stufen stolperte, das wäre eine nette Ge‐10schichte. Vor drei Jahren auf dem Wörther‐11see ist eine Dame ganz nackt hinaus‐12geschwommen. Aber noch am selben Nach‐13mittag ist sie abgereist. Die Mama hat ge‐14sagt, es ist eine Operettensängerin aus15 Berlin. Schumann? Ja, Karneval. Die oder16 der spielt ganz schön. Das Kartenzimmer17 ist aber rechts. Letzte Möglichkeit, Herr von18 Dorsday. Wenn er dort ist, winke ich ihn19 mit den Augen zu mir her und sage ihm,20 um Mitternacht werde ich bei Ihnen sein,21 Sie Schuft. ‐ Nein, Schuft sage ich ihm nicht.22 Aber nachher sage ich es ihm... Irgendwer23 geht mir nach. Ich wende mich nicht um.24 Nein, nein. ‐

25„Else!“ ‐ Um Gottes willen die Tante. Weiter,26 weiter! „Else!“ ‐ Ich muß mich um‐27drehen, es hilft mir nichts. „O, guten Abend,28 Tante.“ ‐ „Ja, Else, was ist denn mit dir?

1 Grad’ wollte ich zu dir hinaufschauen. Paul2 hat mir gesagt ‐ ‐ Ja, wie schaust du3 denn aus?“ ‐ „Wie schau ich denn aus,4 Tante? Es geht mir schon ganz gut. Ich5 habe auch eine Kleinigkeit gegessen.“ Sie6 merkt was, sie merkt was. ‐ „Else — du7 hast ja — keine Strümpfe an!“ ‐ „Was sagst8 du da, Tante? Meiner Seel, ich habe keine9 Strümpfe an. Nein —!“ ‐ „Ist dir nicht10 wohl, Else? Deine Augen du hast Fieber.“11 ‐ „Fieber? Ich glaub’ nicht. Ich hab’ nur so12 furchtbare Kopfschmerzen gehabt, wie nie13 in meinem Leben noch.“ ‐ „Du mußt sofort14 zu Bett, Kind, du bist totenblaß.“ ‐ „Das15 kommt von der Beleuchtung, Tante. Alle16 Leute sehen hier blaß aus in der Halle.“ Sie17 schaut so sonderbar an mir herab. Sie kann18 doch nichts merken? Jetzt nur die Fassung19 bewahren. Papa ist verloren, wenn ich20 nicht die Fassung bewahre. Ich muß etwas21 reden. „Weißt du, Tante, was mir heuer22 in Wien passiert ist? Da bin ich einmal23 mit einem gelben und einem schwarzen24 Schuh auf die Straße gegangen.“ Kein25 Wort ist wahr. Ich muß weiterreden. Was26 sag’ ich nur? „Weißt du, Tante, nach27 Migräneanfällen habe ich manchmal solche28 Anfälle von Zerstreutheit. Die Mama hat

1 das auch früher gehabt.“ Nicht ein Wort2 ist wahr. ‐ „Ich werde jedenfalls um den3 Doktor schicken.“ ‐ „Aber ich bitte dich,4 Tante, es ist ja gar keiner im Hotel. Man5 müßt’ einen aus einer anderen Ortschaft6 holen. Der würde schön lachen, daß man7 ihn holen läßt, weil ich keine Strümpfe8 anhabe. Haha.“ Ich sollte nicht so laut9 lachen. Das Gesicht von der Tante ist angst‐10verzerrt. Die Sache ist ihr unheimlich. Die11 Augen fallen ihr heraus. ‐ „Sag’, Else, hast12 du nicht zufällig Paul gesehen?“ ‐ Ah, sie13 will sich Sukkurs verschaffen. Fassung, alles14 steht auf dem Spiel. „Ich glaube, er geht15 auf und ab vor dem Hotel mit Cissy Mohr,16 wenn ich nicht irre.“ ‐ „Vor dem Hotel?17 Ich werde sie beide hereinholen. Wir18 wollen noch alle einen Tee trinken, nicht19 wahr?“ ‐ „Gern.“ Was für ein dummes Ge‐20sicht sie macht. Ich nicke ihr ganz freund‐21lich und harmlos zu. Fort ist sie. Ich werde22 jetzt in mein Zimmer gehen. Nein, was soll23 ich denn in meinem Zimmer tun? Es ist24 höchste Zeit, höchste Zeit. Fünfzigtausend,25 fünfzigtausend. Warum laufe ich denn so?26 Nur langsam, langsam... Was will ich27 denn? Wie heißt der Mann? Herr von28 Dorsday. Komischer Name... Da ist ja

1 das Spielzimmer. Grüner Vorhang vor der2 Tür. Man sieht nichts. Ich stelle mich auf3 die Zehenspitzen. Die Whistpartie. Die4 spielen jeden Abend. Dort spielen zwei5 Herren Schach. Herr von Dorsday ist nicht6 da. Viktoria. Gerettet! Wieso denn? Ich7 muß weiter suchen. Ich bin verdammt,8 Herrn von Dorsday zu suchen bis an mein9 Lebensende. Er sucht mich gewiß auch.10 Wir verfehlen uns immerfort. Vielleicht11 sucht er mich oben. Wir werden uns auf12 der Stiege treffen. Die Holländer sehen13 mich wieder an. Ganz hübsch die Tochter.14 Der alte Herr hat eine Brille, eine Brille,15 eine Brille... Fünfzigtausend. Es ist ja16 nicht so viel. Fünfzigtausend, Herr von17 Dorsday. Schumann? Ja, Karneval... Hab’18 ich auch einmal studiert. Schön spielt sie. 19 Warum denn sie? Vielleicht ist es ein Er?20 Vielleicht ist es eine Virtuosin? Ich will21 einen Blick in den Musiksalon tun.

22 Da ist ja die Tür. ‐ ‐ Dorsday! Ich falle

1 um. Dorsday! Dort steht er am Fenster und2 hört zu. Wie ist das möglich? Ich verzehre3 mich ich werde verrückt ich bin tot 4 und er hört einer fremden Dame Klavier5 spielen zu. Dort auf dem Divan sitzen zwei6 Herren. Der Blonde ist erst heute an‐7gekommen. Ich hab’ ihn aus dem Wagen8 steigen sehen. Die Dame ist gar nicht mehr9 jung. Sie ist schon ein paar Tage lang hier.10 Ich habe nicht gewußt, daß sie so schön11 Klavier spielt. Sie hat es gut. Alle Menschen 12 haben es gut... nur ich bin verdammt...13 Dorsday! Dorsday! Ist er das wirklich? Er14 sieht mich nicht. Jetzt schaut er aus wie15 ein anständiger Mensch. Er hört zu. Fünfzig‐16tausend! Jetzt oder nie. Leise die Tür17 aufgemacht. Da bin ich, Herr von Dorsday!18 Er sieht mich nicht. Ich will ihm nur ein19 Zeichen mit den Augen geben, dann werde20 ich den Mantel ein wenig lüften, das ist21 genug. Ich bin ja ein junges Mädchen. Bin22 ein anständiges junges Mädchen aus guter

1 Familie. Bin ja keine Dirne... Ich will2 fort. Ich will Veronal nehmen und schlafen. 3 Sie haben sich geirrt, Herr von Dorsday,4 ich bin keine Dirne. Adieu, adieu!... Ha,5 er schaut auf. Da bin ich, Herr von Dors‐6day. Was für Augen er macht. Seine Lippen7 zittern. Er bohrt seine Augen in meine8 Stirn. Er ahnt nicht, daß ich nackt bin9 unter dem Mantel. Lassen Sie mich fort,10 lassen Sie mich fort! Seine Augen glühen.11 Seine Augen drohen. Was wollen Sie von12 mir? Sie sind ein Schuft. Keiner sieht mich13 als er. Sie hören zu. So kommen Sie doch,14 Herr von Dorsday! Merken Sie nichts? Dort15 im Fauteuil Herrgott, im Fauteuil das16 ist ja der Filou! Himmel, ich danke dir.17 Er ist wieder da, er ist wieder da! Er war18 nur auf einer Tour! Jetzt ist er wieder da.19 Der Römerkopf ist wieder da. Mein Bräuti‐20gam, mein Geliebter. Aber er sieht mich21 nicht. Er soll mich auch nicht sehen. Was22 wollen Sie, Herr von Dorsday? Sie schauen23 mich an, als wenn ich Ihre Sklavin wäre.24 Ich bin nicht Ihre Sklavin. Fünfzigtausend!25 Bleibt es bei unserer Abmachung, Herr von26 Dorsday? Ich bin bereit. Da bin ich. Ich27 bin ganz ruhig. Ich lächle. Verstehen Sie28 meinen Blick? Sein Auge spricht zu mir:

1 komm! Sein Auge spricht: ich will dich2 nackt sehen. Nun, du Schuft, ich bin ja3 nackt. Was willst du denn noch? Schick4 die Depesche ab... Sofort... Es rieselt5 durch meine Haut. Die Dame spielt weiter. 6 Köstlich rieselt es durch meine Haut. Wie7 wundervoll ist es nackt zu sein. Die Dame8 spielt weiter, sie weiß nicht, was hier ge‐9schieht. Niemand weiß es. Keiner noch sieht10 mich. Filou, Filou! Nackt stehe ich da.11 Dorsday reißt die Augen auf. Jetzt endlich12 glaubt er es. Der Filou steht auf. Seine13 Augen leuchten. Du verstehst mich, schöner14 Jüngling. „Haha!“ Die Dame spielt nicht15 mehr. Der Papa ist gerettet. Fünfzigtausend!16 Adresse bleibt Fiala! „Ha, ha, ha!“ Wer

1 lacht denn da? Ich selber? „Ha, ha, ha!“2 Was sind denn das für Gesichter um mich?3 „Ha, ha, ha!“ Zu dumm, daß ich lache.4 Ich will nicht lachen, ich will nicht. „Ha‐5ha!“ ‐ „Else!“ ‐ Wer ruft Else? Das ist Paul.6 Er muß hinter mir sein. Ich spüre einen7 Luftzug über meinen nackten Rücken. Es8 saust in meinen Ohren. Vielleicht bin ich9 schon tot? Was wollen Sie, Herr von Dors‐10day? Warum sind Sie so groß und stürzen11 über mich her? „Ha, ha, ha!“

12Was habe ich denn getan? Was habe ich13 getan? Was habe ich getan? Ich falle um.14 Alles ist vorbei. Warum ist denn keine15 Musik mehr? Ein Arm schlingt sich um16 meinen Nacken. Das ist Paul. Wo ist denn17 der Filou? Da lieg ich. „Ha, ha, ha!“ Der18 Mantel fliegt auf mich herab. Und ich liege19 da. Die Leute halten mich für ohnmächtig.20 Nein, ich bin nicht ohnmächtig. Ich bin21 bei vollem Bewußtsein. Ich bin hundertmal22 wach, ich bin tausendmal wach. Ich muß23 nur immer lachen. „Ha, ha, ha!“ Jetzt24 haben Sie Ihren Willen, Herr von Dorsday,25 Sie müssen das Geld für Papa schicken.26 Sofort. „Haaaah!“ Ich will nicht schreien,27 und ich muß immer schreien. Warum muß28 ich denn schreien. ‐ Meine Augen sind zu.

1 Niemand kann mich sehen. Papa ist ge‐2rettet. ‐ „Else!“ ‐ Das ist die Tante. ‐3 „Else! Else!“ „Ein Arzt, ein Arzt!“„Ge‐4schwind zum Portier!“„Was ist denn5 passiert?“„Das ist ja nicht möglich.“6 „Das arme Kind.“ ‐ Was reden sie denn7 da? Was murmeln sie denn da? Ich bin kein8 armes Kind. Ich bin glücklich. Der Filou9 hat mich nackt gesehen. O, ich schäme mich10 so. Was habe ich getan? Nie wieder werde11 ich die Augen öffnen. ‐ „Bitte, die Türe12 schließen.“ ‐ Warum soll man die Türe13 schließen? Was für Gemurmel. Tausend14 Leute sind um mich. Sie halten mich alle15 für ohnmächtig. Ich bin nicht ohnmächtig.16 Ich träume nur. ‐ „Beruhigen Sie sich doch,17 gnädige Frau.“„Ist schon um den Arzt18 geschickt?“„Es ist ein Ohnmachtsanfall.“19 ‐ Wie weit sie alle weg sind. Sie sprechen20 alle vom Cimone herunter. ‐ „Man kann21 sie doch nicht auf dem Boden liegen22 lassen.“„Hier ist ein Plaid.“„Eine23 Decke.“„Decke oder Plaid, das ist ja24 gleichgültig.“ „Bitte doch um Ruhe.“25 „Auf den Diwan.“„Bitte doch endlich die26 Türe zu schließen.“„Nicht so nervös sein,27 sie ist ja geschlossen.“„Else! Else!“28 Wenn die Tante nur endlich still wär! ‐

1 „Hörst du mich Else?“„Du siehst doch,2 Mama, daß sie ohnmächtig ist.“ ‐ Ja, Gott3 sei Dank, für Euch bin ich ohnmächtig. Und4 ich bleibe auch ohnmächtig. ‐ „Wir müssen5 sie auf ihr Zimmer bringen.“„Was ist6 denn da geschehen? Um Gottes willen!“7 Cissy. Wie kommt denn Cissy auf die Wiese.8 Ach, es ist ja nicht die Wiese. ‐ „Else!“9 „Bitte um Ruhe.“„Bitte ein wenig zurück‐10zutreten.“ ‐ Hände, Hände unter mir. Was11 wollen sie denn? Wie schwer ich bin. Pauls12 Hände. Fort, fort. Der Filou ist in meiner13 Nähe, ich spüre es. Und Dorsday ist fort.14 Man muß ihn suchen. Er darf sich nicht15 umbringen, ehe er die fünfzigtausend ab‐16geschickt hat. Meine Herrschaften, er ist17 mir Geld schuldig. Verhaften Sie ihn.18 „Hast du eine Ahnung, von wem die De‐19pesche war, Paul?“ „Guten Abend,20 meine Herrschaften.“„Else, hörst du21 mich?“ „Lassen Sie sie doch, Frau22 Cissy.“ „Ach Paul.“ „Der Direktor23 sagt, es kann vier Stunden dauern, bis der24 Doktor da ist.“„Sie sieht aus, als wenn25 sie schliefe.“ ‐ Ich liege auf dem Diwan,26 Paul hält meine Hand, er fühlt mir den27 Puls. Richtig, er ist ja Arzt. ‐ „Von Gefahr28 ist keine Rede, Mama. Ein Anfall.“

1 „Keinen Tag länger bleibe ich im Hotel.“2„Bitte dich, Mama.“„Morgen früh reisen3 wir ab.“„Aber einfach über die Diener‐4schaftsstiege. Die Tragbahre wird sofort5 hier sein.“ ‐ Bahre? Bin ich nicht heute6 schon auf einer Bahre gelegen? War ich7 nicht schon tot? Muß ich denn noch ein‐8mal sterben? ‐ „Wollen Sie nicht dafür9 sorgen, Herr Direktor, daß die Leute sich10 endlich von der Türe entfernen.“„Rege11 dich doch nicht auf, Mama.“„Es ist eine12 Rücksichtslosigkeit von den Leuten.“13 Warum flüstern sie denn alle? Wie in14 einem Sterbezimmer. Gleich wird die Bahre15 da sein. Mach’ auf das Tor, Herr Matador!16„Der Gang ist frei.“„Die Leute könnten17 doch wenigstens so viel Rücksicht haben.“18„Ich bitte dich, Mama, beruhige dich19 doch.“„Bitte, gnädige Frau.“„Wollen20 Sie sich nicht ein wenig meiner Mutter21 annehmen, Frau Cissy?“ ‐ Sie ist seine Ge‐22liebte, aber sie ist nicht so schön wie ich.23 Was ist denn schon wieder? Was geschieht24 denn da? Sie bringen die Bahre. Ich sehe25 es mit geschlossenen Augen. Das ist die26 Bahre, auf der sie die Verunglückten tragen.27 Auf der ist auch der Doktor Zigmondi ge‐28legen, der vom Cimone abgestürzt ist. Und

1 jetzt werde ich auf der Bahre liegen. Ich2 bin auch abgestürzt. „Ha!“ Nein, ich will3 nicht noch einmal schreien. Sie flüstern.4 Wer beugt sich über meinen Kopf? Es5 riecht gut nach Zigaretten. Seine Hand ist6 unter meinem Kopf. Hände unter meinem7 Rücken, Hände unter meinen Beinen. Fort,8 fort, rührt mich nicht an. Ich bin ja nackt.9 Pfui, pfui. Was wollt Ihr denn? Laßt mich10 in Ruhe. Es war nur für Papa. ‐ „Bitte vor‐11sichtig, so, langsam.“„Der Plaid?“„Ja,12 danke, Frau Cissy.“ ‐ Warum dankt er ihr?13 Was hat sie denn getan? Was geschieht14 mit mir? Ah, wie gut, wie gut. Ich15 schwebe. Ich schwebe. Ich schwebe16 hinüber. Man trägt mich, man trägt17 mich, man trägt mich zu Grabe. ‐18 „Aber mir sein das g’wohnt, Herr Doktor.19 Da sind schon Schwerere darauf gelegen.20 Im vorigen Herbst einmal zwei zugleich.“21„Pst, pst.“„Vielleicht sind Sie so gut,22 vorauszugehen, Frau Cissy und sehen, ob23 in Elses Zimmer alles in Ordnung ist.“24 Was hat Cissy in meinem Zimmer zu tun?25 Das Veronal, das Veronal! Wenn sie es nur26 nicht weggießen. Dann müßte ich mich27 doch zum Fenster hinunterstürzen. ‐28 „Danke sehr, Herr Direktor, bemühen Sie

1 sich nicht weiter.“„Ich werde mir er‐2lauben, später wieder nachzufragen.“3 Die Treppe knarrt, die Träger haben4 schwere Bergstiefel. Wo sind meine Lack‐5schuhe? Im Musikzimmer geblieben. Man6 wird sie stehlen. Ich habe sie der Agathe7 vermachen wollen. Fred kriegt meine Füll‐8feder. Sie tragen mich, sie tragen mich.9 Trauerzug. Wo ist Dorsday, der Mörder?10 Fort ist er. Auch der Filou ist fort. Er ist11 gleich wieder auf die Wanderschaft ge‐12gangen. Er ist nur zurückgekommen, um13 einmal meine weißen Brüste zu sehen. Und14 jetzt ist er wieder fort. Er geht einen15 schwindligen Weg zwischen Felsen und Ab‐16grund; ‐ leb’ wohl, leb’ wohl. ‐ Ich schwebe,17 ich schwebe. Sie sollen mich nur hinauf‐18tragen, immer weiter, bis zum Dach, bis19 zum Himmel. Das wäre so bequem. ‐ „Ich20 habe es ja kommen gesehen, Paul.“ ‐ Was21 hat die Tante kommen gesehen? ‐ „Schon22 die ganzen letzten Tage habe ich so etwas23 kommen gesehen. Sie ist überhaupt nicht24 normal. Sie muß natürlich in eine Anstalt.“25„Aber Mama, jetzt ist doch nicht der Mo‐26ment davon zu reden.“ ‐ Anstalt —? An‐27stalt —?! „Du denkst doch nicht, Paul,28 daß ich in ein und demselben Coupé mit

1 dieser Person nach Wien fahren werde. Da2 könnte man schöne Sachen erleben.“„Es3 wird nicht das Geringste passieren, Mama.4 Ich garantiere dir, daß du keinerlei Un‐5gelegenheiten haben wirst.“ „Wie kannst6 du das garantieren?“ ‐ Nein, Tante, du sollst7 keine Ungelegenheiten haben. Niemand8 wird Ungelegenheiten haben. Nicht einmal9 Herr von Dorsday. Wo sind wir denn? Wir10 bleiben stehen. Wir sind im zweiten Stock.11 Ich werde blinzeln. Cissy steht in der Tür12 und spricht mit Paul. ‐ „Hieher bitte. So.13 So. Hier. Danke. Rücken Sie die Bahre ganz14 nah ans Bett heran.“ ‐ Sie heben die Bahre.15 Sie tragen mich. Wie gut. Nun bin ich16 wieder zu Hause. Ah! ‐ „Danke. So, es ist17 schon recht. Bitte die Türe zu schließen. ‐18 Wenn Sie so gut sein wollten mir zu helfen,19 Cissy.“„O, mit Vergnügen, Herr Doktor.“20 „Langsam, bitte. Hier, bitte, Cissy, fassen21 Sie sie an. Hier an den Beinen. Vorsichtig.22 Und dann — — Else — —? Hörst du mich,23 Else?“ ‐ Aber natürlich höre ich dich, Paul.24 Ich höre alles. Aber was geht Euch das an.25 Es ist ja so schön, ohnmächtig zu sein. Ach,26 macht, was Ihr wollt. ‐ „Paul!“„Gnädige27 Frau?“„Glaubst du wirklich, daß sie be‐28wußtlos ist, Paul?“ ‐ Du? Sie sagt ihm du.

1 Hab’ ich Euch erwischt! Du sagt sie ihm! ‐2 „Ja, sie ist vollkommen bewußtlos. Das3 kommt nach solchen Anfällen gewöhnlich4 vor.“„Nein, Paul, du bist zum Krank‐5lachen, wenn du dich so erwachsen als6 Doktor benimmst.“ ‐ Hab’ ich Euch,7 Schwindelbande! Hab’ ich Euch? ‐ „Still,8 Cissy.“„Warum denn, wenn sie nichts9 hört?!“ ‐ Was ist denn geschehen? Nackt10 liege ich im Bett unter der Decke. Wie11 haben sie das gemacht? ‐ „Nun, wie geht’s?12 Besser?“ ‐ Das ist ja die Tante. Was will13 sie denn da? ‐ „Noch immer ohnmächtig?“14 ‐ Auf den Zehenspitzen schleicht sie heran.15 Sie soll zum Teufel gehen. Ich laß mich16 in keine Anstalt bringen. Ich bin nicht irr‐17sinnig. ‐ „Kann man sie nicht zum Bewußt‐18sein erwecken?“„Sie wird bald wieder zu19 sich kommen, Mama. Jetzt braucht sie20 nichts als Ruhe. Übrigens du auch, Mama.21 Möchtest du nicht schlafen gehen? Es be‐22steht absolut keine Gefahr. Ich werde zu‐23sammen mit Frau Cissy bei Else Nacht‐24wache halten.“„Jawohl, gnädige Frau, ich25 bin die Gardedame. Oder Else, wie man’s26 nimmt.“ ‐ Elendes Frauenzimmer. Ich liege27 hier ohnmächtig und sie macht Späße. ‐28 „Und ich kann mich darauf verlassen, Paul,

1 daß du mich wecken läßt, sobald der Arzt2 kommt?“„Aber Mama, der kommt nicht3 vor morgen früh.“„Sie sieht aus, als4 wenn sie schliefe. Ihr Atem geht ganz5 ruhig.“„Es ist ja auch eine Art von6 Schlaf, Mama.“„Ich kann mich noch7 immer nicht fassen, Paul, ein solcher Skan‐8dal! ‐ Du wirst sehen, es kommt in die9 Zeitung!“„Mama!“„Aber sie kann doch10 nichts hören, wenn sie ohnmächtig ist. Wir11 reden doch ganz leise.“ „In diesem Zu‐12stand sind die Sinne manchmal unheimlich13 geschärft.“„Sie haben einen so gelehrten14 Sohn, gnädige Frau.“„Bitte dich, Mama,15 geh’ zu Bette.“„Morgen reisen wir ab16 unter jeder Bedingung. Und in Bozen17 nehmen wir eine Wärterin für Else.“18 ‐ Was? Eine Wärterin? Da werdet Ihr19 Euch aber täuschen. ‐ „Über all’ das reden20 wir morgen, Mama. Gute Nacht, Mama.“21 „Ich will mir einen Tee aufs Zimmer22 bringen lassen und in einer Viertelstunde23 schau ich noch einmal her.“„Das ist doch24 absolut nicht notwendig, Mama.“ ‐ Nein,25 notwendig ist es nicht. Du sollst überhaupt26 zum Teufel gehen. Wo ist das Veronal? Ich27 muß noch warten. Sie begleiten die Tante28 zur Türe. Jetzt sieht mich niemand. Auf dem

1 Nachttisch muß es ja stehen, das Glas mit2 dem Veronal. Wenn ich es austrinke ist3 alles vorbei. Gleich werde ich es trinken.4 Die Tante ist fort. Paul und Cissy stehen5 noch an der Tür. Ha. Sie küßt ihn. Sie 6 küßt ihn. Und ich liege nackt unter der7 Decke. Schämt Ihr Euch denn gar nicht?8 Sie küßt ihn wieder. Schämt Ihr Euch9 nicht? ‐ „Siehst du, Paul, jetzt weiß ich,10 daß sie ohnmächtig ist. Sonst wäre sie mir11 unbedingt an die Kehle gesprungen.“ „Möch‐12test du mir nicht den Gefallen tun und13 schweigen, Cissy?“„Aber was willst du14 denn, Paul? Entweder ist sie wirklich be‐15wußtlos. Dann hört und sieht sie nichts.16 Oder sie hält uns zum Narren. Dann ge‐17schieht ihr ganz recht.“„Es hat geklopft,18 Cissy.“„Mir kam es auch so vor.“„Ich19 will leise aufmachen und sehen wer es ist.20 ‐ Guten Abend Herr von Dorsday.“„Ver‐21zeihen Sie, ich wollte nur fragen, wie sich22 die Kranke“ ‐ Dorsday! Dorsday! Wagt er23 es wirklich? Alle Bestien sind losgelassen.24 Wo ist er denn? Ich höre sie flüstern vor25 der Tür. Paul und Dorsday. Cissy stellt sich26 vor den Spiegel hin. Was machen Sie vor27 dem Spiegel dort? Mein Spiegel ist es. Ist28 nicht mein Bild noch drin? Was reden sie

1 draußen vor der Tür, Paul und Dorsday?2 Ich fühle Cissys Blick. Vom Spiegel aus3 sieht sie zu mir her. Was will sie denn?4 Warum kommt sie denn näher? Hilfe!5 Hilfe! Ich schreie doch, und keiner hört6 mich. Was wollen Sie an meinem Bett,7 Cissy?! Warum beugen Sie sich herab?8 wollen Sie mich erwürgen? Ich kann mich9 nicht rühren. ‐ „Else!“ ‐ Was will sie denn?10„Else! Hören Sie mich, Else?“ ‐ Ich höre,11 aber ich schweige. Ich bin ohnmächtig, ich12 muß schweigen. ‐ „Else, Sie haben uns in13 einen schönen Schreck versetzt.“ ‐ Sie14 spricht zu mir. Sie spricht zu mir, als wenn15 ich wach wäre. Was will sie denn? ‐16 „Wissen Sie, was Sie getan haben, Else?17 Denken Sie, nur mit dem Mantel bekleidet18 sind Sie ins Musikzimmer getreten, sind19 plötzlich nackt dagestanden vor allen20 Leuten und dann sind Sie ohnmächtig hin‐21gefallen. Ein hysterischer Anfall wird be‐22hauptet. Ich glaube kein Wort davon. Ich23 glaube auch nicht, daß Sie bewußtlos sind.24 Ich wette, Sie hören jedes Wort, das ich25 rede.“ ‐ Ja, ich höre, ja, ja, ja. Aber sie26 hört mein Ja nicht. Warum denn nicht? Ich27 kann meine Lippen nicht bewegen. Darum28 hört sie mich nicht. Ich kann mich nicht

1 rühren. Was ist denn mit mir? Bin ich tot?2 Bin ich scheintot? Träume ich? Wo ist das3 Veronal? Ich möchte mein Veronal trinken.4 Aber ich kann den Arm nicht ausstrecken.5 Gehen Sie fort, Cissy. Warum sind Sie über6 mich gebeugt? Fort, fort! Nie wird sie7 wissen, daß ich sie gehört habe. Niemand8 wird es je wissen. Nie wieder werde ich9 zu einem Menschen sprechen. Nie wache10 ich wieder auf. Sie geht zur Türe. Sie11 wendet sich noch einmal nach mir um. Sie12 öffnet die Türe. Dorsday! Dort steht er. Ich13 habe ihn gesehen mit geschlossenen Augen.14 Nein, ich sehe ihn wirklich. Ich habe ja die15 Augen offen. Die Türe ist angelehnt. Cissy16 ist auch draußen. Nun flüstern sie alle. Ich17 bin allein. Wenn ich mich jetzt rühren18 könnte.

19Ha, ich kann ja, kann ja. Ich bewege20 die Hand, ich rege die Finger, ich strecke21 den Arm, ich sperre die Augen weit auf. Ich22 sehe, ich sehe. Da steht mein Glas. Ge‐23schwind, ehe sie wieder ins Zimmer24 kommen. Sind es nur Pulver genug?! Nie25 wieder darf ich erwachen. Was ich zu tun26 hatte auf der Welt, habe ich getan. Der Papa27 ist gerettet. Niemals könnte ich wieder unter28 Menschen gehen. Paul guckt durch die Tür‐

1spalte herein. Er denkt, ich bin noch ohn‐2mächtig. Er sieht nicht, daß ich den Arm3 beinahe schon ausgestreckt habe. Nun4 stehen sie wieder alle drei draußen vor der5 Tür, die Mörder! ‐ Alle sind sie Mörder.6 Dorsday und Cissy und Paul, auch Fred7 ist ein Mörder und die Mama ist eine8 Mörderin. Alle haben sie mich gemordet9 und machen sich nichts wissen. Sie hat sich10 selber umgebracht, werden sie sagen. Ihr11 habt mich umgebracht, Ihr Alle, Ihr Alle!12 Hab’ ich es endlich? Geschwind, ge‐13schwind! Ich muß. Keinen Tropfen ver‐14schütten. So. Geschwind. Es schmeckt gut.15 Weiter, weiter. Es ist gar kein Gift. Nie hat16 mir was so gut geschmeckt. Wenn Ihr17 wüßtet, wie gut der Tod schmeckt! Gute18 Nacht, mein Glas. Klirr, klirr! Was19 ist denn das? Auf dem Boden liegt20 das Glas. Unten liegt es. Gute Nacht.21„Else! Else!“ ‐ Was wollt Ihr denn?22„Else!“ ‐ Seid Ihr wieder da? Guten23 Morgen. Da lieg’ ich bewußtlos mit ge‐24schlossenen Augen. Nie wieder sollt Ihr25 meine Augen sehen. ‐ „Sie muß sich bewegt26 haben, Paul, wie hätte es sonst herunter‐27fallen können?“„Eine unwillkürliche Be‐28wegung, das wäre schon möglich.“„Wenn

1 sie nicht wach ist.“„Was fällt dir ein,2 Cissy. Sieh sie doch nur an.“ ‐ Ich habe3 Veronal getrunken. Ich werde sterben.4 Aber es ist geradeso wie vorher. Vielleicht5 war es nicht genug... Paul faßt meine6 Hand. ‐ „Der Puls geht ruhig. Lach’ doch7 nicht, Cissy. Das arme Kind.“„Ob du8 mich auch ein armes Kind nennen würdest,9 wenn ich mich im Musikzimmer nackt hin‐10gestellt hätte?“„Schweig’ doch, Cissy.“11 „Ganz nach Belieben, mein Herr. Vielleicht12 soll ich mich entfernen, dich mit dem13 nackten Fräulein allein lassen. Ach bitte,14 geniere dich nicht. Tu’, als ob ich nicht da15 wäre.“ ‐ Ich habe Veronal getrunken. Es16 ist gut. Ich werde sterben. Gott sei Dank. ‐17 „Übrigens weißt du, was mir vorkommt.18 Daß dieser Herr von Dorsday in das nackte19 Fräulein verliebt ist. Er war so erregt, als20 ginge ihn die Sache persönlich an.“ ‐ Dors‐21day, Dorsday! Das ist ja der — Fünfzig‐22tausend! Wird er sie abschicken? Um23 Gottes willen, wenn er sie nicht abschickt?24 Ich muß es ihnen sagen. Sie müssen ihn25 zwingen. Um Gottes willen, wenn alles um‐26sonst gewesen ist? Aber jetzt kann man27 mich noch retten. Paul! Cissy! Warum hört28 Ihr mich denn nicht? Wißt Ihr denn nicht,

1 daß ich sterbe? Aber ich spüre nichts. Nur2 müde bin ich. Paul! Ich bin müde. Hörst3 du mich denn nicht? Ich bin müde, Paul.4 Ich kann die Lippen nicht öffnen. Ich kann5 die Zunge nicht bewegen, aber ich bin noch6 nicht tot. Das ist das Veronal. Wo seid Ihr7 denn? Gleich schlafe ich ein. Dann wird es8 zu spät sein! Ich höre sie gar nicht reden.9 Sie reden und ich weiß nicht was. Ihre10 Stimmen brausen so. So hilf mir doch,11 Paul! die Zunge ist mir so schwer. ‐ „Ich12 glaube, Cissy, daß sie bald erwachen wird.13 Es ist, als wenn sie sich schon mühte, die14 Augen zu öffnen. Aber Cissy, was tust du15 denn?“„Nun, ich umarme dich. Warum16 denn nicht? Sie hat sich auch nicht ge‐17niert.“ ‐ Nein, ich habe mich nicht geniert.18 Nackt bin ich dagestanden vor allen Leuten.19 Wenn ich nur reden könnte, so würdet Ihr20 verstehen warum. Paul! Paul! Ich will, daß21 Ihr mich hört. Ich habe Veronal getrunken,22 Paul, zehn Pulver, hundert. Ich hab’ es23 nicht tun wollen. Ich war verrückt. Ich will24 nicht sterben. Du sollst mich retten, Paul.25 Du bist ja Doktor. Rette mich! ‐ „Jetzt26 scheint sie wieder ganz ruhig geworden.27 Der Puls der Puls ist ziemlich regel‐28mäßig.“ ‐ Rette mich, Paul. Ich beschwöre

1 dich. Laß mich doch nicht sterben. Jetzt2 ist’s noch Zeit. Aber dann werde ich ein‐3schlafen und Ihr werdet es nicht wissen.4 Ich will nicht sterben. So rette mich doch.5 Es war nur wegen Papa. Dorsday hat es6 verlangt. Paul! Paul! ‐ „Schau mal her7 Cissy, scheint dir nicht, daß sie lächelt?“8„Wie sollte sie nicht lächeln, Paul, wenn9 du immerfort zärtlich ihre Hand hältst.“10 ‐ Cissy, Cissy, was habe ich dir denn ge‐11tan, daß du so böse zu mir bist. Behalte12 deinen Paul aber laßt mich nicht sterben.13 Ich bin noch so jung. Die Mama wird sich14 kränken. Ich will noch auf viele Berge15 klettern. Ich will noch tanzen. Ich will auch16 einmal heiraten. Ich will noch reisen.17 Morgen machen wir die Partie auf den18 Cimone. Morgen wird ein wunderschöner19 Tag sein. Der Filou soll mitkommen. Ich20 lade ihn ergebenst ein. Lauf’ ihm doch21 nach, Paul, er geht einen so schwindligen22 Weg. Er wird dem Papa begegnen. Adresse23 bleibt Fiala, vergiß nicht. Es sind nur24 fünfzigtausend, und dann ist alles in Ord‐25nung. Da marschieren sie alle im Sträf‐26lingsgewand und singen. Mach’ auf das27 Tor, Herr Matador! Das ist ja alles nur ein28 Traum. Da geht auch Fred mit dem

1 heiseren Fräulein und unter dem freien2 Himmel steht das Klavier. Der Klavier‐3stimmer wohnt in der Bartensteinstraße,4 Mama! Warum hast du ihm denn nicht ge‐5schrieben, Kind? Du vergißt aber alles. Sie6 sollten mehr Skalen üben, Else. Ein Mädel7 mit dreizehn Jahren sollte fleißiger sein. ‐8 Rudi war auf dem Maskenball und ist erst9 um acht Uhr früh nach Hause gekommen.10 Was hast du mir mitgebracht, Papa?11 Dreißigtausend Puppen. Da brauch ich ein12 eigenes Haus dazu. Aber sie können auch13 im Garten spazierengehen. Oder auf den14 Maskenball mit Rudi. Grüß dich Gott, Else.15 Ach Bertha, bist du wieder aus Neapel16 zurück? Ja, aus Sizilien. Erlaube, daß ich17 dir meinen Mann vorstelle, Else. Enchanté,18 Monsieur. ‐ „Else, hörst du mich, Else? Ich19 bin es, Paul.“ ‐ Haha, Paul. Warum sitzest20 du denn auf der Giraffe im Ringelspiel? ‐21 „Else, Else!“ ‐ So reit’ mir doch nicht da‐22von. Du kannst mich doch nicht hören,23 wenn du so schnell durch die Hauptallee24 reitest. Du sollst mich ja retten. Ich habe25 Veronalica genommen. Das läuft mir über26 die Beine, rechts und links, wie Ameisen.27 Ja, fang’ ihn nur, den Herrn von Dorsday.28 Dort läuft er. Siehst du ihn denn nicht?

1 Da springt er über den Teich. Er hat ja den2 Papa umgebracht. So lauf’ ihm doch nach.3 Ich laufe mit. Sie haben mir die Bahre auf4 den Rücken geschnallt, aber ich laufe mit.5 Meine Brüste zittern so. Aber ich laufe mit.6 Wo bist du denn, Paul? Fred, wo bist du?7 Mama, wo bist Du? Cissy? Warum laßt Ihr8 mich denn allein durch die Wüste laufen?9 Ich habe ja Angst so allein. Ich werde lieber10 fliegen. Ich habe ja gewußt, daß ich fliegen11 kann.

12 „Else!“...

13 „Else!“...

14 Wo seid Ihr denn? Ich höre Euch, aber ich15 sehe Euch nicht.

16 „Else!“...

17 „Else!“...

18 „Else!“...

19 Was ist denn das? Ein ganzer Chor? Und20 Orgel auch? Ich singe mit. Was ist es denn21 für ein Lied? Alle singen mit. Die Wälder22 auch und die Berge und die Sterne. Nie23 habe ich etwas so Schönes gehört. Noch nie24 habe ich eine so helle Nacht gesehen. Gib25 mir die Hand, Papa. Wir fliegen zusammen. 26 So schön ist die Welt, wenn man fliegen27 kann. Küss’ mir doch nicht die Hand. Ich28 bin ja dein Kind, Papa.

1 „Else! Else!“

2 Sie rufen von so weit! Was wollt Ihr denn?3 Nicht wecken. Ich schlafe ja so gut. 4 Morgen früh. Ich träume und fliege. Ich5 fliege... fliege... fliege... schlafe und6 träume... und fliege... nicht wecken...7 morgen früh...

8 „El...“

9 Ich fliege... ich träume... ich schlafe...10 ich träu... träu — ich flie......

11

12

13

14

15 Ende 16

„Du willst wirklich nicht mehr weiterspielen, Else?“„Nein, Paul, ich kann nicht mehr. Adieu. ‐ Auf Wiedersehen, gnädige Frau.“„Aber, Else, sagen Sie mir doch: Frau Cissy. ‐ Oder lieber noch: Cissy, ganz einfach.“„Auf Wiedersehen, Frau Cissy.“ „Aber warum gehen Sie denn schon, Else? Es sind noch volle zwei Stunden bis zum Dinner.“„Spielen Sie nur Ihr Single mit Paul, Frau Cissy, mit mir ist’s doch heut’ wahrhaftig kein Vergnügen.“„Lassen Sie sie, gnädige Frau, sie hat heut’ ihren ungnädigen Tag. ‐ Steht dir übrigens ausgezeichnet zu Gesicht, das Ungnädigsein, Else. ‐ Und der rote Sweater noch besser.“„Bei Blau wirst du hoffentlich mehr Gnade finden, Paul. Adieu.“

Das war ein ganz guter Abgang. Hoffentlich glauben die Zwei nicht, daß ich eifersüchtig bin. ‐ Daß sie was miteinander haben, Cousin Paul und Cissy Mohr, darauf schwör’ ich. Nichts auf der Welt ist mir gleichgültiger. ‐ Nun wende ich mich noch einmal um und winke ihnen zu. Winke und lächle. Sehe ich nun gnädig aus? ‐ Ach Gott, sie spielen schon wieder. Eigentlich spiele ich besser als Cissy Mohr; und Paul ist auch nicht gerade ein Matador. Aber gut sieht er aus — mit dem offenen Kragen und dem Bösen-Jungen-Gesicht. Wenn er nur weniger affektiert wäre. Brauchst keine Angst zu haben, Tante Emma...

Was für ein wundervoller Abend! Heut’ wär’ das richtige Wetter gewesen für die Tour auf die Rosetta-Hütte. Wie herrlich der Cimone in den Himmel ragt! ‐ Um fünf Uhr früh wär’ man aufgebrochen. Anfangs wär’ mir natürlich übel gewesen, wie gewöhnlich. Aber das verliert sich. ‐ Nichts köstlicher als das Wandern im Morgengrauen. ‐ Der einäugige Amerikaner auf der Rosetta hat ausgesehen wie ein Boxkämpfer. Vielleicht hat ihn beim Boxen wer das Aug’ ausgeschlagen. Nach Amerika würd’ ich ganz gern heiraten, aber keinen Amerikaner. Oder ich heirat’ einen Amerikaner und wir leben in Europa. Villa an der Riviera. Marmorstufen ins Meer. Ich liege nackt auf dem Marmor. ‐ Wie lang ist’s her, daß wir in Mentone waren? Sieben oder acht Jahre. Ich war dreizehn oder vierzehn. Ach ja, damals waren wir noch in besseren Verhältnissen. ‐ Es war eigentlich ein Unsinn die Partie aufzuschieben. Jetzt wären wir jedenfalls schon zurück. ‐ Um vier, wie ich zum Tennis gegangen bin, war der telegraphisch angekündigte Expreßbrief von Mama noch nicht da. Wer weiß, ob jetzt. Ich hätt’ noch ganz gut ein Set spielen können. ‐ Warum grüßen mich diese zwei jungen Leute? Ich kenn’ sie gar nicht. Seit gestern wohnen sie im Hotel, sitzen beim Essen links am Fenster, wo früher die Holländer gesessen sind. Hab’ ich ungnädig gedankt? Oder gar hochmütig? Ich bin’s ja gar nicht. Wie sagte Fred auf dem Weg vom ‚Coriolan‘ nach Hause? Frohgemut. Nein, hochgemut. Hochgemut sind Sie, nicht hochmütig, Else. ‐ Ein schönes Wort. Er findet immer schöne Worte. ‐ Warum geh’ ich so langsam? Fürcht’ ich mich am Ende vor Mamas Brief? Nun, Angenehmes wird er wohl nicht enthalten. Expreß! Vielleicht muß ich wieder zurückfahren. O weh. Was für ein Leben — trotz rotem Seidensweater und Seidenstrümpfen. Drei Paar! Die arme Verwandte, von der reichen Tante eingeladen. Sicher bereut sie’s schon. Soll ich’s dir schriftlich geben, teuere Tante, daß ich an Paul nicht im Traum denke? Ach, an niemanden denke ich. Ich bin nicht verliebt. In niemanden. Und war noch nie verliebt. Auch in Albert bin ich’s nicht gewesen, obwohl ich es mir acht Tage lang eingebildet habe. Ich glaube, ich kann mich nicht verlieben. Eigentlich merkwürdig. Denn sinnlich bin ich gewiß. Aber auch hochgemut und ungnädig Gott sei Dank. Mit dreizehn war ich vielleicht das einzige Mal wirklich verliebt. In den Van Dyck oder vielmehr in den Abbé Des Grieux, und in die Renard auch. Und wie ich sechzehn war, am Wörthersee. ‐ Ach nein, das war nichts. Wozu nachdenken, ich schreibe ja keine Memoiren. Nicht einmal ein Tagebuch wie die Bertha. Fred ist mir sympathisch, nicht mehr. Vielleicht, wenn er eleganter wäre. Ich bin ja doch ein Snob. Der Papa findet’s auch und lacht mich aus. Ach, lieber Papa, du machst mir viel Sorgen. Ob er die Mama einmal betrogen hat? Sicher. Öfters. Mama ist ziemlich dumm. Von mir hat sie keine Ahnung. Andere Menschen auch nicht. Fred? ‐ Aber eben nur eine Ahnung. ‐ Himmlischer Abend. Wie festlich das Hotel aussieht. Man spürt: Lauter Leute, denen es gut geht und die keine Sorgen haben. Ich zum Beispiel. Haha! Schad’. Ich wär’ zu einem sorgenlosen Leben geboren. Es könnt’ so schön sein. Schad’. ‐ Auf dem Cimone liegt ein roter Glanz. Paul würde sagen: Alpenglühen. Das ist noch lang’ kein Alpenglühen. Es ist zum Weinen schön. Ach, warum muß man wieder zurück in die Stadt!

„Guten Abend, Fräulein Else.“„Küss’ die Hand gnädige Frau.“„Vom Tennis?“ ‐ Sie sieht’s doch, warum fragt sie? „Ja, gnädige Frau. Beinah’ drei Stunden lang haben wir gespielt. ‐ Und gnädige Frau machen noch einen Spaziergang?“„Ja, meinen gewohnten Abendspaziergang. Den Rolleweg. Der geht so schön zwischen den Wiesen, bei Tag ist er beinahe zu sonnig.“„Ja, die Wiesen hier sind herrlich. Besonders im Mondenschein von meinem Fenster aus.“

„Guten Abend, Fräulein Else. ‐ Küss’ die Hand, gnädige Frau.“„Guten Abend, Herr von Dorsday.“„Vom Tennis, Fräulein Else?“„Was für ein Scharfblick, Herr von Dorsday.“„Spotten Sie nicht, Else.“ ‐ Warum sagt er nicht ‚Fräulein Else‘?„Wenn man mit dem Rakett so gut ausschaut, darf man es gewissermaßen auch als Schmuck tragen.“ ‐ Esel, darauf antworte ich gar nicht. „Den ganzen Nachmittag haben wir gespielt. Wir waren leider nur Drei. Paul, Frau Mohr und ich.“„Ich war früher ein enragierter Tennisspieler.“„Und jetzt nicht mehr?“„Jetzt bin ich zu alt dazu.“„Ach, alt, in Marienlyst, da war ein fünfundsechzigjähriger Schwede, der spielte jeden Abend von sechs bis acht Uhr. Und im Jahr vorher hat er sogar noch bei einem Turnier mitgespielt.“„Nun, fünfundsechzig bin ich Gott sei Dank noch nicht, aber leider auch kein Schwede.“ ‐ Warum leider? Das hält er wohl für einen Witz. Das Beste, ich lächle höflich und gehe. „Küss’ die Hand, gnädige Frau. Adieu, Herr von Dorsday.“ Wie tief er sich verbeugt und was für Augen er macht. Kalbsaugen. Hab ich ihn am Ende verletzt mit dem fünfundsechzigjährigen Schweden? Schad’t auch nichts. Frau Winawer muß eine unglückliche Frau sein. Gewiß schon nah an fünfzig. Diese Tränensäcke, als wenn sie viel geweint hätte. Ach wie furchtbar, so alt zu sein. Herr von Dorsday nimmt sich ihrer an. Da geht er an ihrer Seite. Er sieht noch immer ganz gut aus mit dem graumelierten Spitzbart. Aber sympathisch ist er nicht. Schraubt sich künstlich hinauf. Was hilft Ihnen Ihr erster Schneider, Herr von Dorsday? Dorsday! Sie haben sicher einmal anders geheißen. ‐ Da kommt das süße kleine Mädel von Cissy mit ihrem Fräulein. ‐ „Grüß dich Gott, Fritzi. Bonsoir, Mademoiselle. Vous allez bien?“„Merci, Mademoiselle. Et vous?“„Was seh’ ich, Fritzi, du hast ja einen Bergstock. Willst du am End’ den Cimone besteigen?“„Aber nein, so hoch hinauf darf ich noch nicht.“„Im nächsten Jahr wirst du es schon dürfen. Pah, Fritzi. A bientôt, Mademoiselle.“Bonsoir, Mademoiselle.“

Eine hübsche Person. Warum ist sie eigentlich Bonne? Noch dazu bei Cissy. Ein bitteres Los. Ach Gott, kann mir auch noch blühen. Nein, ich wüßte mir jedesfalls was Besseres. Besseres? ‐ Köstlicher Abend. ‚Die Luft ist wie Champagner‘, sagte gestern Doktor Waldberg. Vorgestern hat es auch einer gesagt. ‐ Warum die Leute bei dem wundervollen Wetter in der Halle sitzen? Unbegreiflich. Oder wartet jeder auf einen Expreßbrief? Der Portier hat mich schon gesehen; ‐ wenn ein Expreßbrief für mich da wäre, hätte er mir ihn sofort hergebracht. Also keiner da. Gott sei Dank. Ich werde mich noch ein bißl hinlegen vor dem Diner. Warum sagt Cissy ‚Dinner‘? Dumme Affektation. Passen zusammen, Cissy und Paul. ‐ Ach, wär’ der Brief lieber schon da. Am Ende kommt er während des ‚Dinner‘. Und wenn er nicht kommt, hab’ ich eine unruhige Nacht. Auch die vorige Nacht hab’ ich so miserabel geschlafen. Freilich, es sind gerade diese Tage. Drum hab’ ich auch das Ziehen in den Beinen. Dritter September ist heute. Also wahrscheinlich am sechsten. Ich werde heute Veronal nehmen. O, ich werde mich nicht daran gewöhnen. Nein, lieber Fred, du mußt nicht besorgt sein. In Gedanken bin ich immer per Du mit ihm. ‐ Versuchen sollte man alles, auch Haschisch. Der Marinefähnrich Brandel hat sich aus China, glaub’ ich, Haschisch mitgebracht. Trinkt man oder raucht man Haschisch? Man soll prachtvolle Visionen haben. Brandel hat mich eingeladen mit ihm Haschisch zu trinken oder — zu rauchen — Frecher Kerl. Aber hübsch. ‐

„Bitte sehr, Fräulein, ein Brief.“ ‐ Der Portier! Also doch! ‐ Ich wende mich ganz unbefangen um. Es könnte auch ein Brief von der Karoline sein oder von der Bertha oder von Fred oder Miß Jackson? „Danke schön.“ Doch von Mama. Expreß. Warum sagt er nicht gleich: ein Expreßbrief? „O, ein Expreß!“ Ich mach’ ihn erst auf dem Zimmer auf und les’ ihn in aller Ruhe. ‐ Die Marchesa. Wie jung sie im Halbdunkel aussieht. Sicher fünfundvierzig. Wo werd’ ich mit fünfundvierzig sein? Vielleicht schon tot. Hoffentlich. Sie lächelt mich so nett an, wie immer. Ich lasse sie vorbei, nicke ein wenig, — nicht als wenn ich mir eine besondere Ehre daraus machte, daß mich eine Marchesa anlächelt. ‐ „Buona sera.“ ‐ Sie sagt mir buona sera. Jetzt muß ich mich doch wenigstens verneigen. War das zu tief? Sie ist ja um so viel älter. Was für einen herrlichen Gang sie hat. Ist sie geschieden? Mein Gang ist auch schön. Aber — ich weiß es. Ja, das ist der Unterschied. ‐ Ein Italiener könnte mir gefährlich werden. Schade, daß der schöne Schwarze mit dem Römerkopf schon wieder fort ist. ‚Er sieht aus wie ein Filou‘, sagte Paul. Ach Gott, ich hab’ nichts gegen Filous, im Gegenteil. ‐ So, da wär’ ich. Nummer siebenundsiebzig. Eigentlich eine Glücksnummer. Hübsches Zimmer. Zirbelholz. Dort steht mein jungfräuliches Bett. ‐ Nun ist es richtig ein Alpenglühen geworden. Aber Paul gegenüber werde ich es abstreiten. Eigentlich ist Paul schüchtern. Ein Arzt, ein Frauenarzt! Vielleicht gerade deshalb. Vorgestern im Wald, wie wir so weit voraus waren, hätt’ er schon etwas unternehmender sein dürfen. Aber dann wäre es ihm übel ergangen. Wirklich unternehmend war eigentlich mir gegenüber noch niemand. Höchstens am Wörthersee vor drei Jahren im Bad. Unternehmend? Nein, unanständig war er ganz einfach. Aber schön. Apoll vom Belvedere. Ich hab’ es ja eigentlich nicht ganz verstanden damals. Nun ja mit sechzehn Jahren. Meine himmlische Wiese! Meine —! Wenn man sich die nach Wien mitnehmen könnte. Zarte Nebel. Herbst? Nun ja, dritter September, Hochgebirge.

Nun, Fräulein Else, möchten Sie sich nicht doch entschließen, den Brief zu lesen? Er muß sich ja gar nicht auf den Papa beziehen. Könnte es nicht auch etwas mit meinem Bruder sein? Vielleicht hat er sich verlobt mit einer seiner Flammen? Mit einer Choristin oder einem Handschuhmädel. Ach nein, dazu ist er wohl doch zu gescheit. Eigentlich weiß ich ja nicht viel von ihm. Wie ich sechzehn war und er einundzwanzig, da waren wir eine Zeitlang geradezu befreundet. Von einer gewissen Lotte hat er mir viel erzählt. Dann hat er plötzlich aufgehört. Diese Lotte muß ihm irgend etwas angetan haben. Und seitdem erzählt er mir nichts mehr. ‐ Nun ist er offen, der Brief, und ich hab’ gar nicht bemerkt, daß ich ihn aufgemacht habe. Ich setze mich aufs Fensterbrett und lese ihn. Achtgeben, daß ich nicht hinunterstürze. Wie uns aus San Martino gemeldet wird, hat sich dort im Hotel Fratazza ein beklagenswerter Unfall ereignet. Fräulein Else T., ein neunzehnjähriges bildschönes Mädchen, Tochter des bekannten Advokaten... Natürlich würde es heißen, ich hätte mich umgebracht aus unglücklicher Liebe oder weil ich in der Hoffnung war. Unglückliche Liebe, ah nein.

‚Mein liebes Kind‘ ‐ Ich will mir vor allem den Schluß anschaun. ‐ ‚Also nochmals, sei uns nicht böse, mein liebes gutes Kind und sei tausendmal‘ ‐ Um Gottes willen, sie werden sich doch nicht umgebracht haben! Nein, in dem Fall wär’ ein Telegramm von Rudi da. ‐ ‚Mein liebes Kind, du kannst mir glauben, wie leid es mir tut, daß ich dir in deine schönen Ferialwochen‘ ‐ Als wenn ich nicht immer Ferien hätt’, leider ‐ ‚mit einer so unangenehmen Nachricht hineinplatze.‘ ‐ Einen furchtbaren Stil schreibt Mama ‐ ‚Aber nach reiflicher Überlegung bleibt mir wirklich nichts anderes übrig. Also, kurz und gut, die Sache mit Papa ist akut geworden. Ich weiß mir nicht zu raten, noch zu helfen.‘ ‐ Wozu die vielen Worte? ‐ ‚Es handelt sich um eine verhältnismäßig lächerliche Summe — dreißigtausend Gulden,‘ ‐ lächerlich? ‐ ‚die in drei Tagen herbeigeschafft sein müssen, sonst ist alles verloren,‘ Um Gottes willen, was heißt das? ‐ ‚Denk’ dir, mein geliebtes Kind, daß der Baron Höning‘ ‐ wie, der Staatsanwalt? ‐ ‚sich heut’ früh den Papa hat kommen lassen. Du weißt ja, wie der Baron den Papa hochschätzt, ja geradezu liebt. Vor anderthalb Jahren, damals, wie es auch an einem Haar gehangen hat, hat er persönlich mit den Hauptgläubigern gesprochen und die Sache noch im letzten Moment in Ordnung gebracht. Aber diesmal ist absolut nichts zu machen, wenn das Geld nicht beschafft wird. Und abgesehen davon, daß wir alle ruiniert sind, wird es ein Skandal, wie er noch nicht da war. Denk’ dir, ein Advokat, ein berühmter Advokat, — der, — nein, ich kann es gar nicht niederschreiben. Ich kämpfe immer mit den Tränen. Du weißt ja, Kind, du bist ja klug, wir waren ja, Gott sei’s geklagt, schon ein paar Mal in einer ähnlichen Situation und die Familie hat immer herausgeholfen. Zuletzt hat es sich gar um hundertzwanzigtausend gehandelt. Aber damals hat der Papa einen Revers unterschreiben müssen, daß er niemals wieder an die Verwandten, speziell an den Onkel Bernhard, herantreten wird.‘ ‐ Na weiter, weiter, wo will denn das hin? Was kann denn ich dabei tun? ‐ ‚Der Einzige, an den man eventuell noch denken könnte, wäre der Onkel Viktor, der befindet sich aber unglücklicherweise auf einer Reise zum Nordkap oder nach Schottland‘ ‐ Ja, der hat’s gut, der ekelhafte Kerl ‐ ‚und ist absolut unerreichbar, wenigstens für den Moment. An die Kollegen, speziell Dr. Sch., der Papa schon öfter ausgeholfen hat,‘ ‐ Herrgott, wie stehn wir da ‐ ‚ist nicht mehr zu denken, seit er sich wieder verheiratet hat‘ ‐ also was denn, was denn, was wollt ihr denn von mir? ‐ ‚Und da ist nun dein Brief gekommen, mein liebes Kind, wo du unter andern Dorsday erwähnst, der sich auch im Fratazza aufhält, und das ist uns wie ein Schicksalswink erschienen. Du weißt ja, wie oft Dorsday in früheren Jahren zu uns gekommen ist‘ ‐ na, gar so oft ‐ ‚es ist der reine Zufall, daß er sich seit zwei, drei Jahren seltener blicken läßt; er soll in ziemlich festen Banden sein unter uns, nichts sehr Feines‘ ‐ warum ‚unter uns‘? ‐ ‚Im Residenzklub hat Papa jeden Donnerstag noch immer seine Whistpartie mit ihm, und im verflossenen Winter hat er ihm im Prozeß gegen einen andern Kunsthändler ein hübsches Stück Geld gerettet. Im übrigen, warum sollst du es nicht wissen, er ist schon früher einmal dem Papa beigesprungen.‘ ‐ Hab’ ich mir gedacht ‐ ‚Es hat sich damals um eine Bagatelle gehandelt, achttausend Gulden, aber schließlich dreißig bedeuten für Dorsday auch keinen Betrag. Darum hab’ ich mir gedacht, ob du uns nicht die Liebe erweisen und mit Dorsday reden könntest‘ ‐ Was? ‐ ‚Dich hat er ja immer besonders gern gehabt‘ ‐ Hab’ nichts davon gemerkt. Die Wange hat er mir gestreichelt, wie ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war. ‚Schon ein ganzes Fräulein.‘ ‐ ‚Und da Papa seit den achttausend glücklicherweise nicht mehr an ihn herangetreten ist, so wird er ihm diesen Liebesdienst nicht verweigern. Neulich soll er an einem Rubens, den er nach Amerika verkauft hat, allein achtzigtausend verdient haben. Das darfst du selbstverständlich nicht erwähnen.‘ ‐ Hältst du mich für eine Gans, Mama? ‐ ‚Aber im übrigen kannst du ganz aufrichtig zu ihm reden. Auch, daß der Baron Höning sich den Papa hat kommen lassen, kannst du erwähnen, wenn es sich so ergeben sollte. Und daß mit den dreißigtausend tatsächlich das Schlimmste abgewendet ist, nicht nur für den Moment, sondern, so Gott will, für immer.‘ ‐ Glaubst du wirklich, Mama? ‐ ‚Denn der Prozeß Erbesheimer, der glänzend steht, trägt dem Papa sicher hunderttausend, aber selbstverständlich kann er gerade in diesem Stadium von den Erbesheimers nichts verlangen. Also, ich bitte dich, Kind, sprich mit Dorsday. Ich versichere dich, es ist nichts dabei. Papa hätte ihm ja einfach telegraphieren können, wir haben es ernstlich überlegt, aber es ist doch etwas ganz anderes, Kind, wenn man mit einem Menschen persönlich spricht. Am sechsten um zwölf muß das Geld da sein, Doktor F.‘ ‐ Wer ist Doktor F.? Ach ja, Fiala. ‐ ‚ist unerbittlich. Natürlich ist da auch persönliche Rancune dabei. Aber da es sich unglücklicherweise um Mündelgelder handelt,‘ ‐ Um Gottes willen! Papa, was hast du getan? ‐ ‚kann man nichts machen. Und wenn das Geld am fünften um zwölf Uhr mittags nicht in Fialas Händen ist, wird der Haftbefehl erlassen, vielmehr so lange hält der Baron Höning ihn noch zurück. Also Dorsday müßte die Summe telegraphisch durch seine Bank an Doktor F. überweisen lassen. Dann sind wir gerettet. Im andern Fall weiß Gott was geschieht. Glaub’ mir, du vergibst dir nicht das Geringste, mein geliebtes Kind. Papa hatte ja anfangs Bedenken gehabt. Er hat sogar noch Versuche gemacht auf zwei verschiedenen Seiten. Aber er ist ganz verzweifelt nach Hause gekommen.‘ ‐ Kann Papa überhaupt verzweifelt sein? ‐ ‚Vielleicht nicht einmal so sehr wegen des Geldes, als darum, weil die Leute sich so schändlich gegen ihn benehmen. Der eine von ihnen war einmal Papas bester Freund. Du kannst dir denken, wen ich meine.‘ ‐ Ich kann mir gar nichts denken. Papa hat so viel beste Freunde gehabt und in Wirklichkeit keinen. Warnsdorf vielleicht? ‐ ‚Um ein Uhr ist Papa nach Hause gekommen, und jetzt ist es vier Uhr früh. Jetzt schläft er endlich, Gott sei Dank.‘ ‐ Wenn er lieber nicht aufwachte, das wär’ das beste für ihn. ‐ ‚Ich gebe den Brief in aller Früh selbst auf die Post, expreß, da mußt du ihn vormittag am dritten haben.‘ ‐ Wie hat sich Mama das vorgestellt? Sie kennt sich doch in diesen Dingen nie aus. ‐ ‚Also sprich sofort mit Dorsday, ich beschwöre dich, und telegraphiere sofort, wie es ausgefallen ist. Vor Tante Emma laß dir um Gottes willen nichts merken, es ist ja traurig genug, daß man sich in einem solchen Fall an die eigene Schwester nicht wenden kann, aber da könnte man ja ebensogut zu einem Stein reden. Mein liebes, liebes Kind, mir tut es ja so leid, daß du in deinen jungen Jahren solche Dinge mitmachen mußt, aber glaub’ mir, der Papa ist zum geringsten Teil selber daran schuld.‘ ‐ Wer denn, Mama? ‐ ‚Nun, hoffen wir zu Gott, daß der Prozeß Erbesheimer in jeder Hinsicht einen Abschnitt in unserer Existenz bedeutet. Nur über diese paar Wochen müssen wir hinaus sein. Es wäre doch ein wahrer Hohn, wenn wegen der dreißigtausend Gulden ein Unglück geschähe?‘ ‐ Sie meint doch nicht im Ernst, daß Papa sich selber... Aber wäre das andere nicht noch schlimmer? ‐ ‚Nun schließe ich, mein Kind, ich hoffe, du wirst unter allen Umständen‘ ‐ Unter allen Umständen? ‐ ‚noch über die Feiertage, wenigstens bis neunten oder zehnten in San Martino bleiben können. Unseretwegen mußt du keineswegs zurück. Grüße die Tante, sei nur weiter nett mit ihr. Also nochmals, sei uns nicht böse, mein liebes gutes Kind, und sei tausendmal‘ ‐ ja, das weiß ich schon.

Also, ich soll Herrn Dorsday anpumpen... Irrsinnig. Wie stellt sich Mama das vor? Warum hat sich Papa nicht einfach auf die Bahn gesetzt und ist hergefahren? ‐ Wär’ grad’ so geschwind gegangen wie der Expreßbrief. Aber vielleicht hätten sie ihn auf dem Bahnhof wegen Fluchtverdacht ‐ ‐ Furchtbar, furchtbar! Auch mit den dreißigtausend wird uns ja nicht geholfen sein. Immer diese Geschichten! Seit sieben Jahren! Nein länger. Wer möcht’ mir das ansehen? Niemand sieht mir was an, auch dem Papa nicht. Und doch wissen es alle Leute. Rätselhaft, daß wir uns immer noch halten. Wie man alles gewöhnt! Dabei leben wir eigentlich ganz gut. Mama ist wirklich eine Künstlerin. Das Souper am letzten Neujahrstag für vierzehn Personen unbegreiflich. Aber dafür meine zwei Paar Ballhandschuhe, die waren eine Affäre. Und wie der Rudi neulich dreihundert Gulden gebraucht hat, da hat die Mama beinah’ geweint. Und der Papa ist dabei immer gut aufgelegt. Immer? Nein. O nein. In der Oper neulich bei Figaro sein Blick, plötzlich ganz leer ich bin erschrocken. Da war er wie ein ganz anderer Mensch. Aber dann haben wir im Grand Hotel soupiert und er war so glänzend aufgelegt wie nur je.

Und da halte ich den Brief in der Hand. Der Brief ist ja irrsinnig. Ich soll mit Dorsday sprechen? Zu Tod’ würde ich mich schämen. ‐ ‐ Schämen, ich mich? Warum? Ich bin ja nicht schuld. ‐ Wenn ich doch mit Tante Emma spräche? Unsinn. Sie hat wahrscheinlich gar nicht so viel Geld zur Verfügung. Der Onkel ist ja ein Geizkragen. Ach Gott, warum habe ich kein Geld? Warum hab’ ich mir noch nichts verdient? Warum habe ich nichts gelernt? O, ich habe was gelernt! Wer darf sagen, daß ich nichts gelernt habe? Ich spiele Klavier, ich kann Französisch, Englisch, auch ein bißl Italienisch, habe kunstgeschichtliche Vorlesungen besucht ‐ Haha! Und wenn ich schon was Gescheiteres gelernt hätte, was hülfe es mir? Dreißigtausend Gulden hätte ich mir keineswegs erspart. ‐ ‐

Aus ist es mit dem Alpenglühen. Der Abend ist nicht mehr wunderbar. Traurig ist die Gegend. Nein, nicht die Gegend, aber das Leben ist traurig. Und ich sitz’ da ruhig auf dem Fensterbrett. Und der Papa soll eingesperrt werden. Nein. Nie und nimmer. Es darf nicht sein. Ich werde ihn retten. Ja, Papa, ich werde dich retten. Es ist ja ganz einfach. Ein paar Worte ganz nonchalant, das ist ja mein Fall, ‚hochgemut‘, ‐ haha, ich werde Herrn Dorsday behandeln, als wenn es eine Ehre für ihn wäre, uns Geld zu leihen. Es ist ja auch eine. ‐ Herr von Dorsday, haben Sie vielleicht einen Moment Zeit für mich? Ich bekomme da eben einen Brief von Mama, sie ist in augenblicklicher Verlegenheit, vielmehr der Papa ‐ ‐ ‚Aber selbstverständlich, mein Fräulein, mit dem größten Vergnügen. Um wieviel handelt es sich denn?‘ ‐ Wenn er mir nur nicht so unsympathisch wäre. Auch die Art, wie er mich ansieht. Nein, Herr Dorsday, ich glaube Ihnen Ihre Eleganz nicht und nicht Ihr Monokel und nicht Ihre Noblesse. Sie könnten ebensogut mit alten Kleidern handeln wie mit alten Bildern. ‐ Aber Else! Else, was fällt dir denn ein. ‐ O, ich kann mir das erlauben. Mir sieht’s niemand an. Ich bin sogar blond, rötlichblond, und Rudi sieht absolut aus wie ein Aristokrat. Bei der Mama merkt man es freilich gleich, wenigstens im Reden. Beim Papa wieder gar nicht. Übrigens sollen sie es merken. Ich verleugne es durchaus nicht und Rudi erst recht nicht. Im Gegenteil. Was täte der Rudi, wenn der Papa eingesperrt würde? Würde er sich erschießen? Aber Unsinn! Erschießen und Kriminal, all die Sachen gibt’s ja gar nicht, die stehn nur in der Zeitung.

Die Luft ist wie Champagner. In einer Stunde ist das Diner, das ‚Dinner‘. Ich kann die Cissy nicht leiden. Um ihr Mäderl kümmert sie sich überhaupt nicht. Was zieh’ ich an? Das blaue oder das schwarze? Heut’ wär vielleicht das schwarze richtiger. Zu dekolletiert? Toilette de circonstance heißt es in den französischen Romanen. Jedesfalls muß ich berückend aussehen, wenn ich mit Dorsday rede. Nach dem Dinner, nonchalant. Seine Augen werden sich in meinen Ausschnitt bohren. Widerlicher Kerl. Ich hasse ihn. Alle Menschen hasse ich. Muß es gerade Dorsday sein? Gibt es denn wirklich nur diesen Dorsday auf der Welt, der dreißigtausend Gulden hat? Wenn ich mit Paul spräche? Wenn er der Tante sagte, er hat Spielschulden, da würde sie sich das Geld sicher verschaffen können. ‐

Beinah’ schon dunkel. Nacht. Grabesnacht. Am liebsten möcht’ ich tot sein. ‐ Es ist ja gar nicht wahr. Wenn ich jetzt gleich hinunterginge, Dorsday noch vor dem Diner spräche? Ah, wie entsetzlich! ‐ Paul, wenn du mir die dreißigtausend verschaffst, kannst du von mir haben, was du willst. Das ist ja schon wieder aus einem Roman. Die edle Tochter verkauft sich für den geliebten Vater, und hat am End’ noch ein Vergnügen davon. Pfui Teufel! Nein, Paul, auch für dreißigtausend kannst du von mir nichts haben. Niemand. Aber für eine Million? ‐ Für ein Palais? Für eine Perlenschnur? Wenn ich einmal heirate, werde ich es wahrscheinlich billiger tun. Ist es denn gar so schlimm? Die Fanny hat sich am Ende auch verkauft. Sie hat mir selber gesagt, daß sie sich vor ihrem Manne graust. Nun, wie wär’s, Papa, wenn ich mich heute Abend versteigerte? Um dich vor dem Zuchthaus zu retten. Sensation —! Ich habe Fieber, ganz gewiß. Oder bin ich schon unwohl? Nein, Fieber habe ich. Vielleicht von der Luft. Wie Champagner. ‐ Wenn Fred hier wäre, könnte er mir raten? Ich brauche keinen Rat. Es gibt ja auch nichts zu raten. Ich werde mit Herrn Dorsday aus Eperies sprechen, werde ihn anpumpen, ich die Hochgemute, die Aristokratin, die Marchesa, die Bettlerin, die Tochter des Defraudanten. Wie komm’ ich dazu? Wie komm’ ich dazu? Keine klettert so gut wie ich, keine hat so viel Schneid, sporting girl, in England hätte ich auf die Welt kommen sollen, oder als Gräfin.

Da hängen die Kleider im Kasten! Ist das grüne Loden überhaupt schon bezahlt, Mama? Ich glaube nur eine Anzahlung. Das schwarze zieh’ ich an. Sie haben mich gestern alle angestarrt. Auch der blasse kleine Herr mit dem goldenen Zwicker. Schön bin ich eigentlich nicht, aber interessant. Zur Bühne hätte ich gehen sollen. Bertha hat schon drei Liebhaber, keiner nimmt es ihr übel... In Düsseldorf war es der Direktor. Mit einem verheirateten Manne war sie in Hamburg und hat im Atlantic gewohnt, Appartement mit Badezimmer. Ich glaub’ gar, sie ist stolz darauf. Dumm sind sie alle. Ich werde hundert Geliebte haben, tausend, warum nicht? Der Ausschnitt ist nicht tief genug; wenn ich verheiratet wäre, dürfte er tiefer sein. ‐ Gut, daß ich Sie treffe, Herr von Dorsday, ich bekomme da eben einen Brief aus Wien... Den Brief stecke ich für alle Fälle zu mir. Soll ich dem Stubenmädchen läuten? Nein, ich mache mich allein fertig. Zu dem schwarzen Kleid brauche ich niemanden. Wäre ich reich, würde ich nie ohne Kammerjungfer reisen.

Ich muß Licht machen. Kühl wird es. Fenster zu. Vorhang herunter? ‐ Überflüssig. Steht keiner auf dem Berg drüben mit einem Fernrohr. Schade. ‐ Ich bekomme da eben einen Brief, Herr von Dorsday. ‐ Nach dem Dinner wäre es doch vielleicht besser. Man ist in leichterer Stimmung. Auch Dorsday ich könnt’ ja ein Glas Wein vorher trinken. Aber wenn die Sache vor dem Diner abgetan wäre, würde mir das Essen besser schmecken. Pudding à la merveille, fromage et fruits divers. Und wenn Herr von Dorsday Nein sagt? ‐ Oder wenn er gar frech wird? Ah nein, mit mir ist noch keiner frech gewesen. Das heißt, der Marineleutnant Brandl, aber es war nicht bös gemeint. ‐ Ich bin wieder etwas schlanker geworden. Das steht mir gut. ‐ Die Dämmerung starrt herein. Wie ein Gespenst starrt sie herein. Wie hundert Gespenster. Aus meiner Wiese herauf steigen die Gespenster. Wie weit ist Wien? Wie lange bin ich schon fort? Wie allein bin ich da! Ich habe keine Freundin, ich habe auch keinen Freund. Wo sind sie alle? Wen werd’ ich heiraten? Wer heiratet die Tochter eines Defraudanten? ‐ Eben erhalte ich einen Brief, Herr von Dorsday. ‐ ‚Aber es ist doch gar nicht der Rede wert, Fräulein Else, gestern erst habe ich einen Rembrandt verkauft, Sie beschämen mich, Fräulein Else.‘ Und jetzt reißt er ein Blatt aus seinem Scheckbuch und unterschreibt mit seiner goldenen Füllfeder; und morgen früh fahr’ ich mit dem Scheck nach Wien. Jedenfalls; auch ohne Scheck. Ich bleibe nicht mehr hier. Ich könnte ja gar nicht, ich dürfte ja gar nicht. Ich lebe hier als elegante junge Dame und Papa steht mit einem Fuß im Grab nein im Kriminal. Das vorletzte Paar Seidenstrümpfe. Den kleinen Riß grad’ unterm Knie merkt niemand. Niemand? Wer weiß. Nicht frivol sein, Else. ‐ Bertha ist einfach ein Luder. Aber ist die Christine um ein Haar besser? Ihr künftiger Mann kann sich freuen. Mama war gewiß immer eine treue Gattin. Ich werde nicht treu sein. Ich bin hochgemut, aber ich werde nicht treu sein. Die Filous sind mir gefährlich. Die Marchesa hat gewiß einen Filou zum Liebhaber. Wenn Fred mich wirklich kennte, dann wäre es aus mit seiner Verehrung. ‐ ‚Aus Ihnen hätte alles Mögliche werden können, Fräulein, eine Pianistin, eine Buchhalterin, eine Schauspielerin, es stecken so viele Möglichkeiten in Ihnen. Aber es ist Ihnen immer zu gut gegangen.‘ Zu gut gegangen. Haha. Fred überschätzt mich. Ich hab’ ja eigentlich zu nichts Talent. ‐ Wer weiß? So weit wie Bertha hätte ich es auch noch gebracht. Aber mir fehlt es an Energie. Junge Dame aus guter Familie. Ha, gute Familie. Der Vater veruntreut Mündelgelder. Warum tust du mir das an, Papa? Wenn du noch etwas davon hättest! Aber an der Börse verspielt! Ist das der Mühe wert? Und die dreißigtausend werden dir auch nichts helfen. Für ein Vierteljahr vielleicht. Endlich wird er doch durchgehen müssen. Vor anderthalb Jahren war es ja fast schon so weit. Da kam noch Hilfe. Aber einmal wird sie nicht kommen und was geschieht dann mit uns? Rudi wird nach Rotterdam gehen zu Vanderhulst in die Bank. Aber ich? Reiche Partie. O, wenn ich es darauf anlegte! Ich bin heute wirklich schön. Das macht wahrscheinlich die Aufregung. Für wen bin ich schön? Wäre ich froher, wenn Fred hier wäre? Ach Fred ist im Grunde nichts für mich. Kein Filou! Aber ich nähme ihn, wenn er Geld hätte. Und dann käme ein Filou und das Malheur wäre fertig. ‐ Sie möchten wohl gern ein Filou sein, Herr von Dorsday? ‐ Von weitem sehen Sie manchmal auch so aus. Wie ein verlebter Vicomte, wie ein Don Juan mit Ihrem blöden Monocle und Ihrem weißen Flanellanzug. Aber ein Filou sind Sie noch lange nicht. ‐ Habe ich alles? Fertig zum ‚Dinner‘? ‐ Was tue ich aber eine Stunde lang, wenn ich Dorsday nicht treffe? Wenn er mit der unglücklichen Frau Winawer spazieren geht? Ach, sie ist gar nicht unglücklich, sie braucht keine dreißigtausend Gulden. Also ich werde mich in die Halle setzen, großartig in einen Fauteuil, schau mir die Illustrated News an und die Vie parisienne, schlage die Beine übereinander, den Riß unter dem Knie wird man nicht sehen. Vielleicht ist gerade ein Milliardär angekommen. ‐ Sie oder keine. ‐ Ich nehme den weißen Schal, der steht mir gut. Ganz ungezwungen lege ich ihn um meine herrlichen Schultern. Für wen habe ich sie denn, die herrlichen Schultern? Ich könnte einen Mann sehr glücklich machen. Wäre nur der rechte Mann da. Aber Kind will ich keines haben. Ich bin nicht mütterlich. Marie Weil ist mütterlich. Mama ist mütterlich, Tante Irene ist mütterlich. Ich habe eine edle Stirn und eine schöne Figur. ‐ ‚Wenn ich Sie malen dürfte, wie ich wollte, Fräulein Else.‘ ‐ Ja, das möchte Ihnen passen. Ich weiß nicht einmal seinen Namen mehr. Tizian hat er keineswegs geheißen, also war es eine Frechheit. ‐ Eben erhalte ich einen Brief, Herr von Dorsday. ‐ Noch etwas Puder auf den Nacken und Hals, einen Tropfen Verveine ins Taschentuch, Kasten zusperren, Fenster wieder auf, ah, wie wunderbar! Zum Weinen. Ich bin nervös. Ach, soll man nicht unter solchen Umständen nervös sein. Die Schachtel mit dem Veronal hab’ ich bei den Hemden. Auch neue Hemden brauchte ich. Das wird wieder eine Affäre sein. Ach Gott.

Unheimlich, riesig der Cimone, als wenn er auf mich herunterfallen wollte! Noch kein Stern am Himmel. Die Luft ist wie Champagner. Und der Duft von den Wiesen! Ich werde auf dem Land leben. Einen Gutsbesitzer werde ich heiraten und Kinder werde ich haben. Doktor Froriep war vielleicht der Einzige, mit dem ich glücklich geworden wäre. Wie schön waren die beiden Abende hintereinander, der erste bei Kniep, und dann der auf dem Künstlerball. Warum ist er plötzlich verschwunden wenigstens für mich? Wegen Papa vielleicht? Wahrscheinlich. Ich möchte einen Gruß in die Luft hinausrufen, ehe ich wieder hinuntersteige unter das Gesindel. Aber zu wem soll der Gruß gehen? Ich bin ja ganz allein. Ich bin ja so furchtbar allein, wie es sich niemand vorstellen kann. Sei gegrüßt, mein Geliebter. Wer? Sei gegrüßt, mein Bräutigam! Wer? Sei gegrüßt, mein Freund! Wer? ‐ Fred? ‐ Aber keine Spur. So, das Fenster bleibt offen. Wenn’s auch kühl wird. Licht abdrehen. So. ‐ Ja richtig, den Brief. Ich muß ihn zu mir nehmen für alle Fälle. Das Buch aufs Nachtkastel, ich lese heut’ Nacht noch weiter in ‚Notre Coeur‘, unbedingt, was immer geschieht. Guten Abend, schönstes Fräulein im Spiegel, behalten Sie mich in gutem Angedenken, auf Wiedersehen...

Warum sperre ich die Tür zu? Hier wird nichts gestohlen. Ob Cissy in der Nacht ihre Türe offen läßt? Oder sperrt sie ihm erst auf, wenn er klopft? Ist es denn ganz sicher? Aber natürlich. Dann liegen sie zusammen im Bett. Unappetitlich. Ich werde kein gemeinsames Schlafzimmer haben mit meinem Mann und mit meinen tausend Geliebten. ‐ Leer ist das ganze Stiegenhaus! Immer um diese Zeit. Meine Schritte hallen. Drei Wochen bin ich jetzt da. Am zwölften August bin ich von Gmunden abgereist. Gmunden war langweilig. Woher hat der Papa das Geld gehabt, Mama und mich aufs Land zu schicken? Und Rudi war sogar vier Wochen auf Reisen. Weiß Gott wo. Nicht zweimal hat er geschrieben in der Zeit. Nie werde ich unsere Existenz verstehen. Schmuck hat die Mama freilich keinen mehr. ‐ Warum war Fred nur zwei Tage in Gmunden? Hat sicher auch eine Geliebte! Vorstellen kann ich es mir zwar nicht. Ich kann mir überhaupt gar nichts vorstellen. Acht Tage sind es, daß er mir nicht geschrieben hat. Er schreibt schöne Briefe. ‐ Wer sitzt denn dort an dem kleinen Tisch? Nein, Dorsday ist es nicht. Gott sei Dank. Jetzt vor dem Diner wäre es doch unmöglich, ihm etwas zu sagen. ‐ Warum schaut mich der Portier so merkwürdig an? Hat er am Ende den Expreßbrief von der Mama gelesen? Mir scheint, ich bin verrückt. Ich muß ihm nächstens wieder ein Trinkgeld geben. ‐ Die Blonde da ist auch schon zum Diner angezogen. Wie kann man so dick sein! ‐ Ich werde noch vor’s Hotel hinaus und ein bißchen auf und abgehen. Oder ins Musikzimmer? Spielt da nicht wer? Eine Beethovensonate! Wie kann man hier eine Beethovensonate spielen! Ich vernachlässige mein Klavierspiel. In Wien werde ich wieder regelmäßig üben. Überhaupt ein anderes Leben anfangen. Das müssen wir alle. So darf es nicht weitergehen. Ich werde einmal ernsthaft mit Papa sprechen wenn noch Zeit dazu sein sollte. Es wird, es wird. Warum habe ich es noch nie getan? Alles in unserem Haus wird mit Scherzen erledigt, und keinem ist scherzhaft zu Mut. Jeder hat eigentlich Angst vor dem Andern, jeder ist allein. Die Mama ist allein, weil sie nicht gescheit genug ist und von niemandem was weiß, nicht von mir, nicht von Rudi und nicht vom Papa. Aber sie spürt es nicht und Rudi spürt es auch nicht. Er ist ja ein netter eleganter Kerl, aber mit einundzwanzig hat er mehr versprochen. Es wird gut für ihn sein, wenn er nach Holland geht. Aber wo werde ich hingehen? Ich möchte fortreisen und tun können was ich will. Wenn Papa nach Amerika durchgeht, begleite ich ihn. Ich bin schon ganz konfus... Der Portier wird mich für wahnsinnig halten, wie ich da auf der Lehne sitze und in die Luft starre. Ich werde mir eine Zigarette anzünden. Wo ist meine Zigarettendose? Oben. Wo nur? Das Veronal habe ich bei der Wäsche. Aber wo habe ich die Dose? Da kommen Cissy und Paul. Ja, sie muß sich endlich umkleiden zum ‚Dinner‘, sonst hätten sie noch im Dunkeln weitergespielt. ‐ Sie sehen mich nicht. Was sagt er ihr denn? Warum lacht sie so blitzdumm? Wär’ lustig, ihrem Gatten einen anonymen Brief nach Wien zu schreiben. Wäre ich so was imstande? Nie. Wer weiß? Jetzt haben sie mich gesehen. Ich nicke ihnen zu. Sie ärgert sich, daß ich so hübsch aussehe. Wie verlegen sie ist.

„Wie, Else, Sie sind schon fertig zum Diner?“ ‐ Warum sagt sie jetzt Diner und nicht Dinner. Nicht einmal konsequent ist sie. ‐ „Wie Sie sehen, Frau Cissy.“„Du siehst wirklich entzückend aus, Else, ich hätte große Lust, dir den Hof zu machen.“„Erspar’ dir die Mühe, Paul, gib mir lieber eine Zigarette.“„Aber mit Wonne.“„Dank’ schön. Wie ist das Single ausgefallen?“„Frau Cissy hat mich dreimal hintereinander geschlagen.“„Er war nämlich zerstreut. Wissen Sie übrigens, Else, daß morgen der Kronprinz von Griechenland hier ankommt?“ ‐ Was kümmert mich der Kronprinz von Griechenland? „So, wirklich?“ O Gott, Dorsday mit Frau Winawer! Sie grüßen. Sie gehen weiter. Ich habe zu höflich zurückgegrüßt. Ja, ganz anders als sonst. O, was bin ich für eine Person. ‐ „Deine Zigarette brennt ja nicht, Else?“„Also, gib mir noch einmal Feuer. Danke.“„Ihr Schal ist sehr hübsch, Else, zu dem schwarzen Kleid steht er Ihnen fabelhaft. Übrigens muß ich mich jetzt auch umziehen.“ ‐ Sie soll lieber nicht weggehen, ich habe Angst vor Dorsday. ‐ „Und für sieben habe ich mir die Friseurin bestellt, sie ist famos. Im Winter ist sie in Mailand. Also adieu, Else, adieu, Paul.“„Küss’ die Hand, gnädige Frau.“ „Adieu, Frau Cissy.“ ‐ Fort ist sie. Gut, daß Paul wenigstens da bleibt. „Darf ich mich einen Moment zu dir setzen, Else, oder stör’ ich dich in deinen Träumen?“„Warum in meinen Träumen? Vielleicht in meinen Wirklichkeiten.“ Das heißt eigentlich gar nichts. Er soll lieber fortgehen. Ich muß ja doch mit Dorsday sprechen. Dort steht er noch immer mit der unglücklichen Frau Winawer, er langweilt sich, ich seh’ es ihm an, er möchte zu mir herüberkommen. ‐ „Gibt es denn solche Wirklichkeiten, in denen du nicht gestört sein willst?“ ‐ Was sagt er da? Er soll zum Teufel gehen. Warum lächle ich ihn so kokett an? Ich mein’ ihn ja gar nicht. Dorsday schielt herüber. Wo bin ich? Wo bin ich? „Was hast du denn heute, Else?“„Was soll ich denn haben?“„Du bist geheimnisvoll, dämonisch, verführerisch.“„Red’ keinen Unsinn, Paul.“ „Man könnte geradezu toll werden, wenn man dich ansieht.“ Was fällt ihm denn ein? Wie redet er denn zu mir? Hübsch ist er. Der Rauch meiner Zigarette verfängt sich in seinen Haaren. Aber ich kann ihn jetzt nicht brauchen. ‐ „Du siehst so über mich hinweg. Warum denn, Else?“ ‐ Ich antworte gar nichts. Ich kann ihn jetzt nicht brauchen. Ich mache mein unausstehlichstes Gesicht. Nur keine Konversation jetzt. ‐ „Du bist mit deinen Gedanken ganz wo anders.“„Das dürfte stimmen.“ Er ist Luft für mich. Merkt Dorsday, daß ich ihn erwarte? Ich sehe nicht hin, aber ich weiß, daß er hersieht. ‐ „Also, leb’ wohl, Else.“ ‐ Gott sei Dank. Er küßt mir die Hand. Das tut er sonst nie. „Adieu, Paul.“ Wo hab’ ich die schmelzende Stimme her? Er geht, der Schwindler. Wahrscheinlich muß er noch etwas abmachen mit Cissy wegen heute Nacht. Wünsche viel Vergnügen. Ich ziehe den Schal um meine Schulter und stehe auf und geh’ vors Hotel hinaus. Wird freilich schon etwas kühl sein. Schad’, daß ich meinen Mantel Ah, ich habe ihn ja heute früh in die Portierloge hineingehängt. Ich fühle den Blick von Dorsday auf meinem Nacken, durch den Schal. Frau Winawer geht jetzt hinauf in ihr Zimmer. Wieso weiß ich denn das? Telepathie. „Ich bitte Sie, Herr Portier —“ ‐ „Fräulein wünschen den Mantel?“„Ja, bitte.“„Schon etwas kühl die Abende, Fräulein. Das kommt bei uns so plötzlich.“„Danke.“ Soll ich wirklich vors Hotel? Gewiß, was denn? Jedesfalls zur Türe hin. Jetzt kommt einer nach dem andern. Der Herr mit dem goldenen Zwicker. Der lange Blonde mit der grünen Weste. Alle sehen sie mich an. Hübsch ist diese kleine Genferin. Nein, aus Lausanne ist sie. Es ist eigentlich gar nicht so kühl.

„Guten Abend, Fräulein Else.“ ‐ Um Gotteswillen, er ist es. Ich sage nichts von Papa. Kein Wort. Erst nach dem Essen. Oder ich reise morgen nach Wien. Ich gehe persönlich zu Doktor Fiala. Warum ist mir das nicht gleich eingefallen? Ich wende mich um mit einem Gesicht, als wüßte ich nicht, wer hinter mir steht. „Ah, Herr von Dorsday.“„Sie wollen noch einen Spaziergang machen, Fräulein Else?“„Ach, nicht gerade einen Spaziergang, ein bißchen auf und abgehen vor dem Diner.“„Es ist fast noch eine Stunde bis dahin.“„Wirklich?“ Es ist gar nicht so kühl. Blau sind die Berge. Lustig wär’s, wenn er plötzlich um meine Hand anhielte. ‐ „Es gibt doch auf der Welt keinen schöneren Fleck als diesen hier.“„Finden Sie, Herr von Dorsday? Aber bitte, sagen Sie nicht, daß die Luft hier wie Champagner ist.“„Nein, Fräulein Else, das sage ich erst von zweitausend Metern an. Und hier stehen wir kaum sechzehnhundertfünfzig über dem Meeresspiegel.“„Macht das einen solchen Unterschied?“„Aber selbstverständlich. Waren Sie schon einmal im Engadin?“„Nein, noch nie. Also dort ist die Luft wirklich wie Champagner?“„Man könnte es beinah’ sagen. Aber Champagner ist nicht mein Lieblingsgetränk. Ich ziehe diese Gegend vor. Schon wegen der wundervollen Wälder.“ ‐ Wie langweilig er ist. Merkt er das nicht? Er weiß offenbar nicht recht, was er mit mir reden soll. Mit einer verheirateten Frau wäre es einfacher. Man sagt eine kleine Unanständigkeit und die Konversation geht weiter. ‐ „Bleiben Sie noch längere Zeit hier in San Martino, Fräulein Else?“ ‐ Idiotisch. Warum schau’ ich ihn so kokett an? Und schon lächelt er in der gewissen Weise. Nein, wie dumm die Männer sind. „Das hängt zum Teil von den Dispositionen meiner Tante ab.“ Ist ja gar nicht wahr. Ich kann ja allein nach Wien fahren. „Wahrscheinlich bis zum zehnten.“„Die Mama ist wohl noch in Gmunden?“„Nein, Herr von Dorsday. Sie ist schon in Wien. Schon seit drei Wochen. Papa ist auch in Wien. Er hat sich heuer kaum acht Tage Urlaub genommen. Ich glaube, der Prozeß Erbesheimer macht ihm sehr viel Arbeit.“„Das kann ich mir denken. Aber Ihr Papa ist wohl der Einzige, der Erbesheimer herausreißen kann... Es bedeutet ja schon einen Erfolg, daß es überhaupt eine Zivilsache geworden ist.“ ‐ Das ist gut, das ist gut. „Es ist mir angenehm zu hören, daß auch Sie ein so günstiges Vorgefühl haben.“„Vorgefühl? Inwiefern?“„Ja, daß der Papa den Prozeß für Erbesheimer gewinnen wird.“„Das will ich nicht einmal mit Bestimmtheit behauptet haben.“ ‐ Wie, weicht er schon zurück? Das soll ihm nicht gelingen. „O, ich halte etwas von Vorgefühlen und von Ahnungen. Denken Sie, Herr von Dorsday, gerade heute habe ich einen Brief von zu Hause bekommen.“ Das war nicht sehr geschickt. Er macht ein etwas verblüfftes Gesicht. Nur weiter, nicht schlucken. Er ist ein guter alter Freund von Papa. Vorwärts. Vorwärts. Jetzt oder nie. „Herr von Dorsday, Sie haben eben so lieb von Papa gesprochen, es wäre geradezu häßlich von mir, wenn ich nicht ganz aufrichtig zu Ihnen wäre.“ Was macht er denn für Kalbsaugen? O weh, er merkt was. Weiter, weiter. „Nämlich in dem Brief ist auch von Ihnen die Rede, Herr von Dorsday. Es ist nämlich ein Brief von Mama.“„So.“„Eigentlich ein sehr trauriger Brief. Sie kennen ja die Verhältnisse in unserem Haus, Herr von Dorsday.“ Um Himmels willen, ich habe ja Tränen in der Stimme. Vorwärts, vorwärts, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Gott sei Dank. „Kurz und gut, Herr von Dorsday, wir wären wieder einmal so weit.“ Jetzt möchte er am liebsten verschwinden. „Es handelt sich um eine Bagatelle. Wirklich nur um eine Bagatelle, Herr von Dorsday. Und doch, wie Mama schreibt, steht alles auf dem Spiel.“ Ich rede so blöd’ daher wie eine Kuh. ‐ „Aber beruhigen Sie sich doch, Fräulein Else.“ ‐ Das hat er nett gesagt. Aber meinen Arm brauchte er darum nicht zu berühren. ‐ „Also, was gibt’s denn eigentlich, Fräulein Else? Was steht denn in dem traurigen Brief von Mama!“„Herr von Dorsday, der Papa —“ Mir zittern die Knie. „Die Mama schreibt mir, daß der Papa“„Aber um Gottes willen, Else, was ist Ihnen denn? Wollen Sie nicht lieber hier ist eine Bank. Darf ich Ihnen den Mantel umgeben? Es ist etwas kühl.“„Danke, Herr von Dorsday, o, es ist nichts, gar nichts Besonderes.“ So, da sitze ich nun plötzlich auf der Bank. Wer ist die Dame, die da vorüber kommt? Kenn’ ich gar nicht. Wenn ich nur nicht weiterreden müßte. Wie er mich ansieht! Wie konntest du das von mir verlangen, Papa? Das war nicht recht von dir, Papa. Nun ist es einmal geschehen. Ich hätte bis nach dem Diner warten sollen. ‐ „Nun, Fräulein Else?“ ‐ Sein Monokel baumelt. Dumm sieht das aus. Soll ich ihm antworten? Ich muß ja. Also geschwind, damit ich es hinter mir habe. Was kann mir denn passieren? Er ist ein Freund von Papa. „Ach Gott, Herr von Dorsday, Sie sind ja ein alter Freund unseres Hauses.“ Das habe ich sehr gut gesagt. „Und es wird Sie wahrscheinlich nicht wundern, wenn ich Ihnen erzähle, daß Papa sich wieder einmal in einer recht fatalen Situation befindet.“ Wie merkwürdig meine Stimme klingt. Bin das ich, die da redet? Träume ich vielleicht? Ich habe gewiß jetzt auch ein ganz anderes Gesicht als sonst. ‐ „Es wundert mich allerdings nicht übermäßig. Da haben Sie schon recht, liebes Fräulein Else, ‐ wenn ich es auch lebhaft bedauere.“ ‐ Warum sehe ich denn so flehend zu ihm auf? Lächeln, lächeln. Geht schon. ‐ „Ich empfinde für Ihren Papa eine so aufrichtige Freundschaft, für Sie alle.“ ‐ Er soll mich nicht so ansehen, es ist unanständig. Ich will anders zu ihm reden und nicht lächeln. Ich muß mich würdiger benehmen. „Nun, Herr von Dorsday, jetzt hätten Sie Gelegenheit, Ihre Freundschaft für meinen Vater zu beweisen.“ Gott sei Dank, ich habe meine alte Stimme wieder. „Es scheint nämlich, Herr von Dorsday, daß alle unsere Verwandten und Bekannten die Mehrzahl ist noch nicht in Wien sonst wäre Mama wohl nicht auf die Idee gekommen. ‐ Neulich habe ich nämlich zufällig in einem Brief an Mama Ihrer Anwesenheit hier in Martino Erwähnung getan unter anderm natürlich.“ „Ich vermutete gleich, Fräulein Else, daß ich nicht das einzige Thema Ihrer Korrespondenz mit Mama vorstelle.“ ‐ Warum drückt er seine Knie an meine, während er da vor mir steht. Ach, ich lasse es mir gefallen. Was tut’s! Wenn man einmal so tief gesunken ist. „Die Sache verhält sich nämlich so. Doktor Fiala ist es, der diesmal dem Papa besondere Schwierigkeiten zu bereiten scheint.“„Ach, Doktor Fiala.“ ‐ Er weiß offenbar auch, was er von diesem Fiala zu halten hat. „Ja, Doktor Fiala. Und die Summe, um die es sich handelt, soll am fünften, das ist übermorgen um zwölf Uhr Mittag, vielmehr, sie muß in seinen Händen sein, wenn nicht der Baron Höning ja, denken Sie, der Baron hat Papa zu sich bitten lassen, privat, er liebt ihn nämlich sehr.“ Warum red’ ich denn von Höning, das wär’ ja gar nicht notwendig gewesen. ‐ „Sie wollen sagen, Else, daß andernfalls eine Verhaftung unausbleiblich wäre?“ ‐ Warum sagt er das so hart? Ich antworte nicht, ich nicke nur. „Ja.“ Nun habe ich doch Ja gesagt. ‐ „Hm, das ist ja — schlimm, das ist ja wirklich sehr — dieser hochbegabte geniale Mensch. ‐ Und um welchen Betrag handelt es sich denn eigentlich, Fräulein Else?“ ‐ Warum lächelt er denn? Er findet es schlimm und er lächelt. Was meint er mit seinem Lächeln? Daß es gleichgültig ist wieviel? Und wenn er Nein sagt! Ich bring’ mich um, wenn er Nein sagt. Also, ich soll die Summe nennen. „Wie, Herr von Dorsday, ich habe noch nicht gesagt, wieviel? Eine Million.“ Warum sag’ ich das? Es ist doch jetzt nicht der Moment zum Spaßen? Aber wenn ich ihm dann sage, um wieviel weniger es in Wirklichkeit ist, wird er sich freuen. Wie er die Augen aufreißt? Hält er es am Ende wirklich für möglich, daß ihn der Papa um eine Million „Entschuldigen Sie, Herr von Dorsday, daß ich in diesem Augenblick scherze. Es ist mir wahrhaftig nicht scherzhaft zumute.“ Ja, ja, drück’ die Knie nur an, du darfst es dir ja erlauben. „Es handelt sich natürlich nicht um eine Million, es handelt sich im ganzen um dreißigtausend Gulden, Herr von Dorsday, die bis übermorgen Mittag um zwölf Uhr in den Händen des Herrn Doktor Fiala sein müssen. Ja. Mama schreibt mir, daß Papa alle möglichen Versuche gemacht hat, aber wie gesagt, die Verwandten, die in Betracht kämen, befinden sich nicht in Wien.“ O, Gott, wie ich mich erniedrige. „Sonst wäre es dem Papa natürlich nicht eingefallen, sich an Sie zu wenden, Herr von Dorsday, respektive mich zu bitten —“ Warum schweigt er? Warum bewegt er keine Miene? Warum sagt er nicht Ja? Wo ist das Scheckbuch und die Füllfeder? Er wird doch um Himmels willen nicht Nein sagen? Soll ich mich auf die Knie vor ihm werfen? O Gott! O Gott ‐

„Am fünften sagten Sie, Fräulein Else?“ ‐ Gott sei Dank, er spricht. „Jawohl übermorgen, Herr von Dorsday, um zwölf Uhr mittags. Es wäre also nötig ich glaube, brieflich ließe sich das kaum mehr erledigen.“„Natürlich nicht, Fräulein Else, das müßten wir wohl auf telegraphischem Wege“ ‐ ‚Wir‘, das ist gut, das ist sehr gut. ‐ „Nun, das wäre das wenigste. Wieviel sagten Sie, Else?“ ‐ Aber er hat es ja gehört, warum quält er mich denn? „Dreißigtausend, Herr von Dorsday. Eigentlich eine lächerliche Summe.“ Warum habe ich das gesagt? Wie dumm. Aber er lächelt. Dummes Mädel, denkt er. Er lächelt ganz liebenswürdig. Papa ist gerettet. Er hätte ihm auch fünfzigtausend geliehen, und wir hätten uns allerlei anschaffen können. Ich hätte mir neue Hemden gekauft. Wie gemein ich bin. So wird man. ‐ „Nicht ganz so lächerlich, liebes Kind,“ ‐ Warum sagt er ‚liebes Kind‘? Ist das gut oder schlecht? ‐ „wie Sie sich das vorstellen. Auch dreißigtausend Gulden wollen verdient sein.“„Entschuldigen Sie, Herr von Dorsday, nicht so habe ich es gemeint. Ich dachte nur, wie traurig es ist, daß Papa wegen einer solchen Summe, wegen einer solchen Bagatelle —“ Ach Gott, ich verhasple mich ja schon wieder. „Sie können sich gar nicht denken, Herr von Dorsday, wenn Sie auch einen gewissen Einblick in unsere Verhältnisse haben, wie furchtbar es für mich und besonders für Mama ist“ ‐ Er stellt den einen Fuß auf die Bank. Soll das elegant sein oder was? ‐ „O, ich kann mir schon denken, liebe Else.“ ‐ Wie seine Stimme klingt, ganz anders, merkwürdig. ‐ „Und ich habe mir selbst schon manchesmal gedacht: schade, schade um diesen genialen Menschen.“ ‐ Warum sagt er ‚schade‘? Will er das Geld nicht hergeben? Nein, er meint es nur im allgemeinen. Warum sagt er nicht endlich Ja? Oder nimmt er das als selbstverständlich an? Wie er mich ansieht! Warum spricht er nicht weiter? Ah, weil die zwei Ungarinnen vorbeigehen. Nun steht er wenigstens wieder anständig da, nicht mehr mit dem Fuß auf der Bank. Die Krawatte ist zu grell für einen älteren Herrn. Sucht ihm die seine Geliebte aus? Nichts besonders Feines ‚unter uns‘, schreibt Mama. Dreißigtausend Gulden! Aber ich lächle ihn ja an. Warum lächle ich denn? O, ich bin feig. ‐ „Und wenn man wenigstens annehmen dürfte, mein liebes Fräulein Else, daß mit dieser Summe wirklich etwas getan wäre? Aber Sie sind doch ein so kluges Geschöpf, Else, was wären diese dreißigtausend Gulden? Ein Tropfen auf einen heißen Stein.“ ‐ Um Gottes willen, er will das Geld nicht hergeben? Ich darf kein so erschrockenes Gesicht machen. Alles steht auf dem Spiel. Jetzt muß ich etwas Vernünftiges sagen und energisch. „O nein, Herr von Dorsday, diesmal wäre es kein Tropfen auf einen heißen Stein. Der Prozeß Erbesheimer steht bevor, vergessen Sie das nicht, Herr von Dorsday, und der ist schon heute so gut wie gewonnen. Sie hatten ja selbst diese Empfindung, Herr von Dorsday. Und Papa hat auch noch andere Prozesse. Und außerdem habe ich die Absicht, Sie dürfen nicht lachen, Herr von Dorsday, mit Papa zu sprechen, sehr ernsthaft. Er hält etwas auf mich. Ich darf sagen, wenn jemand einen gewissen Einfluß auf ihn zu nehmen imstande ist, so bin es noch am ehesten ich“„Sie sind ja ein rührendes, ein entzückendes Geschöpf, Fräulein Else.“ ‐ Seine Stimme klingt schon wieder. Wie zuwider ist mir das, wenn es so zu klingen anfängt bei den Männern. Auch bei Fred mag ich es nicht. ‐ „Ein entzückendes Geschöpf in der Tat.“ ‐ Warum sagt er ‚in der Tat‘? Das ist abgeschmackt. Das sagt man doch nur im Burgtheater. ‐ „Aber so gern ich Ihren Optimismus teilen möchte wenn der Karren einmal so verfahren ist.“„Das ist er nicht, Herr von Dorsday. Wenn ich an Papa nicht glauben würde, wenn ich nicht ganz überzeugt wäre, daß diese dreißigtausend Gulden —“ Ich weiß nicht, was ich weiter sagen soll. Ich kann ihn doch nicht geradezu anbetteln. Er überlegt. Offenbar. Vielleicht weiß er die Adresse von Fiala nicht? Unsinn. Die Situation ist unmöglich. Ich sitze da wie eine arme Sünderin. Er steht vor mir und bohrt mir das Monokel in die Stirn und schweigt. Ich werde jetzt aufstehen, das ist das beste. Ich lasse mich nicht so behandeln. Papa soll sich umbringen. Ich werde mich auch umbringen. Eine Schande dieses Leben. Am besten wär’s, sich dort von dem Felsen hinunterzustürzen und aus wär’s. Geschähe euch recht, allen. Ich stehe auf. ‐ „Fräulein Else“„Entschuldigen Sie, Herr von Dorsday, daß ich Sie unter diesen Umständen überhaupt bemüht habe. Ich kann Ihr ablehnendes Verhalten natürlich vollkommen verstehen“ ‐ So, aus, ich gehe. ‐ „Bleiben Sie, Fräulein Else.“ ‐ Bleiben Sie, sagt er? Warum soll ich bleiben? Er gibt das Geld her. Ja. Ganz bestimmt. Er muß ja. Aber ich setze mich nicht noch einmal nieder. Ich bleibe stehen, als wär’ es nur für eine halbe Sekunde. Ich bin ein bißchen größer als er. ‐ „Sie haben meine Antwort noch nicht abgewartet, Else. Ich war ja schon einmal, verzeihen Sie, Else, daß ich das in diesem Zusammenhang erwähne, ‐ Er müßte nicht so oft Else sagen ‐ „in der Lage, dem Papa aus einer Verlegenheit zu helfen. Allerdings mit einer noch lächerlicheren Summe als diesmal, und schmeichelte mir keineswegs mit der Hoffnung, diesen Betrag jemals wiedersehen zu dürfen, und so wäre eigentlich kein Grund vorhanden, meine Hilfe diesmal zu verweigern. Und gar wenn ein junges Mädchen wie Sie, Else, wenn Sie selbst als Fürbitterin vor mich hintreten —“ ‐ Worauf will er hinaus? Seine Stimme ‚klingt‘ nicht mehr. Oder anders! Wie sieht er mich denn an? Er soll acht geben!! ‐ „Also, Else, ich bin bereit Doktor Fiala soll übermorgen um zwölf Uhr mittags die dreißigtausend Gulden haben unter einer Bedingung“ ‐ Er soll nicht weiterreden, er soll nicht. „Herr von Dorsday, ich, ich persönlich übernehme die Garantie, daß mein Vater diese Summe zurückerstatten wird, sobald er das Honorar von Erbesheimer erhalten hat. Erbesheimers haben bisher überhaupt noch nichts gezahlt. Noch nicht einmal einen Vorschuß Mama selbst schreibt mir“„Lassen Sie doch, Else, man soll niemals eine Garantie für einen anderen Menschen übernehmen, nicht einmal für sich selbst.“ ‐ Was will er? Seine Stimme klingt schon wieder. Nie hat mich ein Mensch so angeschaut. Ich ahne, wo er hinaus will. Wehe ihm! ‐ „Hätte ich es vor einer Stunde für möglich gehalten, daß ich in einem solchen Falle überhaupt mir jemals einfallen lassen würde, eine Bedingung zu stellen? Und nun tue ich es doch. Ja, Else, man ist eben nur ein Mann, und es ist nicht meine Schuld, daß Sie so schön sind, Else.“ ‐ Was will er? Was will er ? ‐ „Vielleicht hätte ich heute oder morgen das Gleiche von Ihnen erbeten, was ich jetzt erbitten will, auch wenn Sie nicht eine Million, pardon dreißigtausend Gulden von mir gewünscht hätten. Aber freilich, unter anderen Umständen hätten Sie mir wohl kaum Gelegenheit vergönnt, so lange Zeit unter vier Augen mit Ihnen zu reden“„O, ich habe Sie wirklich allzu lange in Anspruch genommen, Herr von Dorsday.“ Das habe ich gut gesagt. Fred wäre zufrieden. Was ist das? Er faßt nach meiner Hand? Was fällt ihm denn ein? ‐ „Wissen Sie es denn nicht schon lange, Else.“ ‐ Er soll meine Hand loslassen! Nun, Gott sei Dank, er läßt sie los. Nicht so nah, nicht so nah. ‐ „Sie müßten keine Frau sein, Else, wenn Sie es nicht gemerkt hätten. Je vous désire.“ ‐ Er hätte es auch deutsch sagen können, der Herr Vicomte. ‐ „Muß ich noch mehr sagen?“„Sie haben schon zu viel gesagt, Herr Dorsday.“ Und ich stehe noch da. Warum denn? Ich gehe, ich gehe ohne Gruß. ‐ „Else! Else!“ ‐ Nun ist er wieder neben mir. ‐ „Verzeihen Sie mir, Else. Auch ich habe nur einen Scherz gemacht, geradeso wie Sie vorher mit der Million. Auch meine Forderung stelle ich nicht so hoch als Sie gefürchtet haben, wie ich leider sagen muß, so daß die geringere Sie vielleicht angenehm überraschen wird. Bitte, bleiben Sie doch stehen, Else.“ ‐ Ich bleibe wirklich stehen. Warum denn? Da stehen wir uns gegenüber. Hätte ich ihm nicht einfach ins Gesicht schlagen sollen? Wäre nicht noch jetzt Zeit dazu? Die zwei Engländer kommen vorbei. Jetzt wäre der Moment. Gerade darum. Warum tu’ ich es denn nicht? Ich bin feig, ich bin zerbrochen, ich bin erniedrigt. Was wird er nun wollen statt der Million? Einen Kuß vielleicht? Darüber ließe sich reden. Eine Million zu dreißigtausend verhält sich wie ‐ ‐ Komische Gleichungen gibt es. ‐ „Wenn Sie wirklich einmal eine Million brauchen sollten, Else, ‐ ich bin zwar kein reicher Mann, dann wollen wir sehen. Aber für diesmal will ich genügsam sein, wie Sie. Und für diesmal will ich nichts anderes, Else, als Sie sehen.“ ‐ Ist er verrückt? Er sieht mich doch. Ah, so meint er das, so! Warum schlage ich ihm nicht ins Gesicht, dem Schuften! Bin ich rot geworden oder blaß? Nackt willst du mich sehen? Das möchte mancher. Ich bin schön, wenn ich nackt bin. Warum schlage ich ihm nicht ins Gesicht? Riesengroß ist sein Gesicht. Warum so nah, du Schuft? Ich will deinen Atem nicht auf meinen Wangen. Warum lasse ich ihn nicht einfach stehen? Bannt mich sein Blick? Wir schauen uns ins Auge wie Todfeinde. Ich möchte ihm Schuft sagen, aber ich kann nicht. Oder will ich nicht? ‐ „Sie sehen mich an, Else, als wenn ich verrückt wäre. Ich bin es vielleicht ein wenig, denn es geht ein Zauber von Ihnen aus, Else, den Sie selbst wohl nicht ahnen. Sie müssen fühlen, Else, daß meine Bitte keine Beleidigung bedeutet. Ja, ‚Bitte‘ sage ich, wenn sie auch einer Erpressung zum Verzweifeln ähnlich sieht. Aber ich bin kein Erpresser, ich bin nur ein Mensch, der mancherlei Erfahrungen gemacht hat, ‐ unter andern die, daß alles auf der Welt seinen Preis hat und daß einer, der sein Geld verschenkt, wenn er in der Lage ist, einen Gegenwert dafür zu bekommen, ein ausgemachter Narr ist. Und was ich mir diesmal kaufen will, Else, so viel es auch ist, Sie werden nicht ärmer dadurch, daß Sie es verkaufen. Und daß es ein Geheimnis bleiben würde zwischen Ihnen und mir, das schwöre ich Ihnen, Else, bei bei all den Reizen, durch deren Enthüllung Sie mich beglücken würden.“ ‐ Wo hat er so reden gelernt? Es klingt wie aus einem Buch. ‐ „Und ich schwöre Ihnen auch, daß ich von der Situation keinen Gebrauch machen werde, der in unserem Vertrag nicht vorgesehen war. Nichts anderes verlange ich von Ihnen, als eine Viertelstunde dastehen dürfen in Andacht vor Ihrer Schönheit. Mein Zimmer liegt im gleichen Stockwerk wie das Ihre, Else, Nummer fünfundsechzig, leicht zu merken. Der schwedische Tennisspieler, von dem Sie heut’ sprachen, war doch gerade fünfundsechzig Jahre alt?“ ‐ Er ist verrückt! Warum lasse ich ihn weiterreden? Ich bin gelähmt. ‐ „Aber wenn es Ihnen aus irgendeinem Grunde nicht paßt, mich auf Zimmer Nummer fünfundsechzig zu besuchen, Else, so schlage ich Ihnen einen kleinen Spaziergang nach dem Diner vor. Es gibt eine Lichtung im Walde, ich habe sie neulich ganz zufällig entdeckt, kaum fünf Minuten weit von unserem Hotel. ‐ Es wird eine wundervolle Sommernacht heute, beinahe warm, und das Sternenlicht wird Sie herrlich kleiden.“ ‐ Wie zu einer Sklavin spricht er. Ich spucke ihm ins Gesicht. ‐ „Sie sollen mir nicht gleich antworten, Else. Überlegen Sie. Nach dem Diner werden Sie mir gütigst Ihre Entscheidung kundtun.“ ‐ Warum sagt er denn ‚kundtun‘. Was für ein blödes Wort: kundtun. ‐ „Überlegen Sie in aller Ruhe. Sie werden vielleicht spüren, daß es nicht einfach ein Handel ist, den ich Ihnen vorschlage.“ ‐ Was denn, du klingender Schuft! ‐ „Sie werden möglicherweise ahnen, daß ein Mann zu Ihnen spricht, der ziemlich einsam und nicht besonders glücklich ist und der vielleicht einige Nachsicht verdient.“ ‐ Affektierter Schuft. Spricht wie ein schlechter Schauspieler. Seine gepflegten Finger sehen aus wie Krallen. Nein, nein, ich will nicht. Warum sag’ ich es denn nicht. Bring’ dich um, Papa! Was will er denn mit meiner Hand? Ganz schlaff ist mein Arm. Er führt meine Hand an seine Lippen. Heiße Lippen. Pfui! Meine Hand ist kalt. Ich hätte Lust, ihm den Hut herunter zu blasen. Ha, wie komisch wär’ das. Bald ausgeküßt, du Schuft? ‐ Die Bogenlampen vor dem Hotel brennen schon. Zwei Fenster stehen offen im dritten Stock. Das, wo sich der Vorhang bewegt, ist meines. Oben auf dem Schrank glänzt etwas. Nichts liegt oben, es ist nur der Messingbeschlag. ‐ „Also auf Wiedersehen, Else.“ ‐ Ich antworte nichts. Regungslos stehe ich da. Er sieht mir ins Auge. Mein Gesicht ist undurchdringlich. Er weiß gar nichts. Er weiß nicht, ob ich kommen werde oder nicht. Ich weiß es auch nicht. Ich weiß nur, daß alles aus ist. Ich bin halbtot. Da geht er. Ein wenig gebückt. Schuft! Er fühlt meinen Blick auf seinem Nacken. Wen grüßt er denn? Zwei Damen. Als wäre er ein Graf, so grüßt er. Paul soll ihn fordern und ihn totschießen. Oder Rudi. Was glaubt er denn eigentlich? Unverschämter Kerl! Nie und nimmer. Es wird dir nichts anderes übrig bleiben, Papa, du mußt dich umbringen. ‐ Die Zwei kommen offenbar von einer Tour. Beide hübsch, er und sie. Haben sie noch Zeit, sich vor dem Diner umzukleiden? Sind gewiß auf der Hochzeitsreise oder vielleicht gar nicht verheiratet. Ich werde nie auf einer Hochzeitsreise sein. Dreißigtausend Gulden. Nein, nein, nein! Gibt es keine dreißigtausend Gulden auf der Welt? Ich fahre zu Fiala. Ich komme noch zurecht. Gnade, Gnade, Herr Doktor Fiala. Mit Vergnügen, mein Fräulein. Bemühen Sie sich in mein Schlafzimmer. ‐ Tu mir doch den Gefallen, Paul, verlange dreißigtausend Gulden von deinem Vater. Sage, du hast Spielschulden, du mußt dich sonst erschießen. Gern, liebe Kusine. Ich habe Zimmer Nummer soundsoviel, um Mitternacht erwarte ich dich. O, Herr von Dorsday, wie bescheiden sind Sie. Vorläufig. Jetzt kleidet er sich um. Smoking. Also entscheiden wir uns. Wiese im Mondenschein oder Zimmer Nummer fünfundsechzig? Wird er mich im Smoking in den Wald begleiten?

Es ist noch Zeit bis zum Diner. Ein bißchen spazierengehen und die Sache in Ruhe überlegen. Ich bin ein einsamer alter Mann, haha. Himmlische Luft, wie Champagner. Gar nicht mehr kühl dreißigtausend... dreißigtausend... Ich muß mich jetzt sehr hübsch ausnehmen in der weiten Landschaft. Schade, daß keine Leute mehr im Freien sind. Dem Herrn dort am Waldesrand gefalle ich offenbar sehr gut. O, mein Herr, nackt bin ich noch viel schöner, und es kostet einen Spottpreis, dreißigtausend Gulden. Vielleicht bringen Sie Ihre Freunde mit, dann kommt es billiger. Hoffentlich haben Sie lauter hübsche Freunde, hübschere und jüngere als Herr von Dorsday? Kennen Sie Herrn von Dorsday? Ein Schuft ist er ein klingender Schuft...

Also überlegen, überlegen... Ein Menschenleben steht auf dem Spiel. Das Leben von Papa. Aber nein, er bringt sich nicht um, er wird sich lieber einsperren lassen. Drei Jahre schwerer Kerker oder fünf. In dieser ewigen Angst lebt er schon fünf oder zehn Jahre... Mündelgelder... Und Mama geradeso. Und ich doch auch. ‐ Vor wem werde ich mich das nächste Mal nackt ausziehen müssen? Oder bleiben wir der Einfachheit wegen bei Herrn Dorsday? Seine jetzige Geliebte ist ja nichts Feines ‚unter uns gesagt‘. Ich wäre ihm gewiß lieber. Es ist gar nicht so ausgemacht, ob ich viel feiner bin. Tun Sie nicht vornehm, Fräulein Else, ich könnte Geschichten von Ihnen erzählen... einen gewissen Traum zum Beispiel, den Sie schon dreimal gehabt haben von dem haben Sie nicht einmal Ihrer Freundin Bertha erzählt. Und die verträgt doch was. Und wie war denn das heuer in Gmunden in der Früh um sechs auf dem Balkon, mein vornehmes Fräulein Else? Haben Sie die zwei jungen Leute im Kahn vielleicht gar nicht bemerkt, die Sie angestarrt haben? Mein Gesicht haben sie vom See aus freilich nicht genau ausnehmen können, aber daß ich im Hemd war, das haben sie schon bemerkt. Und ich hab’ mich gefreut. Ah, mehr als gefreut. Ich war wie berauscht. Mit beiden Händen hab’ ich mich über die Hüften gestrichen und vor mir selber hab’ ich getan, als wüßte ich nicht, daß man mich sieht. Und der Kahn hat sich nicht vom Fleck bewegt. Ja, so bin ich, so bin ich. Ein Luder, ja. Sie spüren es ja alle. Auch Paul spürt es. Natürlich, er ist ja Frauenarzt. Und der Marineleutnant hat es ja auch gespürt und der Maler auch. Nur Fred, der dumme Kerl spürt es nicht. Darum liebt er mich ja. Aber gerade vor ihm möchte ich nicht nackt sein, nie und nimmer. Ich hätte gar keine Freude davon. Ich möchte mich schämen. Aber vor dem Filou mit dem Römerkopf wie gern. Am allerliebsten vor dem. Und wenn ich gleich nachher sterben müßte. Aber es ist ja nicht notwendig gleich nachher zu sterben. Man überlebt es. Die Bertha hat mehr überlebt. Cissy liegt sicher auch nackt da, wenn Paul zu ihr schleicht durch die Hotelgänge, wie ich heute Nacht zu Herrn von Dorsday schleichen werde.

Nein, nein. Ich will nicht. Zu jedem andern aber nicht zu ihm. Zu Paul meinetwegen. Oder ich such’ mir einen aus heute abend beim Diner. Es ist ja alles egal. Aber ich kann doch nicht jedem sagen, daß ich dreißigtausend Gulden dafür haben will! Da wäre ich ja wie ein Frauenzimmer von der Kärntnerstraße. Nein, ich verkaufe mich nicht. Niemals. Nie werde ich mich verkaufen. Ich schenke mich her. Ja, wenn ich einmal den Rechten finde, schenke ich mich her. Aber ich verkaufe mich nicht. Ein Luder will ich sein, aber nicht eine Dirne. Sie haben sich verrechnet, Herr von Dorsday. Und der Papa auch. Ja, verrechnet hat er sich. Er muß es ja vorher gesehen haben. Er kennt ja die Menschen. Er kennt doch den Herrn von Dorsday. Er hat sich doch denken können, daß der Herr Dorsday nicht für nichts und wieder nichts —. Sonst hätte er doch telegraphieren oder selber herreisen können. Aber so war es bequemer und sicherer, nicht wahr, Papa? Wenn man eine so hübsche Tochter hat, wozu braucht man ins Zuchthaus zu spazieren? Und die Mama, dumm wie sie ist, setzt sich hin und schreibt den Brief. Der Papa hat sich nicht getraut. Da hätte ich es ja gleich merken müssen. Aber es soll Euch nicht glücken. Nein, du hast zu sicher auf meine kindliche Zärtlichkeit spekuliert, Papa, zu sicher darauf gerechnet, daß ich lieber jede Gemeinheit erdulden würde als dich die Folgen deines verbrecherischen Leichtsinns tragen zu lassen. Ein Genie bist du ja. Herr von Dorsday sagt es, alle Leute sagen es. Aber was hilft mir das. Fiala ist eine Null, aber er unterschlägt keine Mündelgelder, sogar Waldheim ist nicht in einem Atem mit dir zu nennen... Wer hat das nur gesagt? Der Doktor Froriep. Ein Genie ist Ihr Papa. ‐ Und ich hab’ ihn erst einmal reden gehört! ‐ Im vorigen Jahr im Schwurgerichtssaal ‐ ‐ zum ersten- und letztenmal! Herrlich! Die Tränen sind mir über die Wangen gelaufen. Und der elende Kerl, den er verteidigt hat, ist freigesprochen worden. Er war vielleicht gar kein so elender Kerl. Er hat jedenfalls nur gestohlen, keine Mündelgelder veruntreut, um Bakkarat zu spielen und auf der Börse zu spekulieren. Und jetzt wird der Papa selber vor den Geschworenen stehen. In allen Zeitungen wird man es lesen. Zweiter Verhandlungstag, dritter Verhandlungstag; der Verteidiger erhob sich zu einer Replik. Wer wird denn sein Verteidiger sein? Kein Genie. Nichts wird ihm helfen. Einstimmig schuldig. Verurteilt auf fünf Jahre. Stein, Sträflingskleid, geschorene Haare. Einmal im Monat darf man ihn besuchen. Ich fahre mit Mama hinaus, dritter Klasse. Wir haben ja kein Geld. Keiner leiht uns was. Kleine Wohnung in der Lerchenfelderstraße, so wie die, wo ich die Nähterin besucht habe vor zehn Jahren. Wir bringen ihm etwas zu essen mit. Woher denn? Wir haben ja selber nichts. Onkel Viktor wird uns eine Rente aussetzen. Dreihundert Gulden monatlich. Rudi wird in Holland sein bei Vanderhulst wenn man noch auf ihn reflektiert. Die Kinder des Sträflings! Roman von Temme in drei Bänden. Der Papa empfängt uns im gestreiften Sträflingsanzug. Er schaut nicht bös drein, nur traurig. Er kann ja gar nicht bös dreinschauen. ‐ Else, wenn du mir damals das Geld verschafft hättest, das wird er sich denken, aber er wird nichts sagen. Er wird nicht das Herz haben, mir Vorwürfe zu machen. Er ist ja seelengut, nur leichtsinnig ist er. Sein Verhängnis ist die Spielleidenschaft. Er kann ja nichts dafür, es ist eine Art von Wahnsinn. Vielleicht spricht man ihn frei, weil er wahnsinnig ist. Auch den Brief hat er vorher nicht überlegt. Es ist ihm vielleicht gar nicht eingefallen, daß Dorsday die Gelegenheit benützen könnte, und so eine Gemeinheit von mir verlangen wird. Er ist ein guter Freund unseres Hauses, er hat dem Papa schon einmal achttausend Gulden geliehen. Wie soll man so was von einem Menschen denken. Zuerst hat der Papa sicher alles andere versucht. Was muß er durchgemacht haben, ehe er die Mama veranlaßt hat, diesen Brief zu schreiben? Von einem zum andern ist er gelaufen, von Warsdorf zu Burin, von Burin zu Wertheimstein und weiß Gott noch zu wem. Bei Onkel Karl war er gewiß auch. Und alle haben sie ihn im Stich gelassen. Alle die sogenannten Freunde. Und nun ist Dorsday seine Hoffnung, seine letzte Hoffnung. Und wenn das Geld nicht kommt, so bringt er sich um. Natürlich bringt er sich um. Er wird sich doch nicht einsperren lassen. Untersuchungshaft, Verhandlung, Schwurgericht, Kerker, Sträflingsgewand. Nein, nein! Wenn der Haftbefehl kommt, erschießt er sich oder hängt sich auf. Am Fensterkreuz wird er hängen. Man wird herüberschicken vom Haus vis‐à‐vis, der Schlosser wird aufsperren müssen und ich bin schuld gewesen. Und jetzt sitzt er zusammen mit Mama im selben Zimmer, wo er übermorgen hängen wird, und raucht eine Havannazigarre. Woher hat er immer noch Havannazigarren? Ich höre ihn sprechen, wie er die Mama beruhigt. Verlaß dich drauf, Dorsday weist das Geld an. Bedenke doch, ich habe ihm heuer im Winter eine große Summe durch meine Intervention gerettet. Und dann kommt der Prozeß Erbesheimer... ‐ Wahrhaftig. ‐ Ich höre ihn sprechen. Telepathie! Merkwürdig. Auch Fred seh ich in diesem Moment. Er geht mit einem Mädel im Stadtpark am Kursalon vorbei. Sie hat eine hellblaue Bluse und lichte Schuhe und ein bißl heiser ist sie. Das weiß ich alles ganz bestimmt. Wenn ich nach Wien komme, werde ich Fred fragen, ob er am dritten September zwischen halb acht und acht Uhr abends mit seiner Geliebten im Stadtpark war.

Wohin denn noch? Was ist denn mit mir? Beinahe ganz dunkel. Wie schön und ruhig. Weit und breit kein Mensch. Nun sitzen sie alle schon beim Diner. Telepathie? Nein, das ist noch keine Telepathie. Ich habe ja früher das Tamtam gehört. Wo ist die Else? wird sich Paul denken. Es wird allen auffallen, wenn ich zur Vorspeise noch nicht da bin. Sie werden zu mir heraufschicken. Was ist das mit Else? Sie ist doch sonst so pünktlich? Auch die zwei Herren am Fenster werden denken: Wo ist denn heute das schöne junge Mädel mit dem rötlich blonden Haar? Und Herr von Dorsday wird Angst bekommen. Er ist sicher feig. Beruhigen Sie sich, Herr von Dorsday, es wird Ihnen nichts geschehen. Ich verachte Sie ja so sehr. Wenn ich wollte, morgen abend wären Sie ein toter Mann. ‐ Ich bin überzeugt, Paul würde ihn fordern, wenn ich ihm die Sache erzählte. Ich schenke Ihnen das Leben, Herr von Dorsday.

Wie ungeheuer weit die Wiesen und wie riesig schwarz die Berge. Keine Sterne beinahe. Ja doch, drei, vier, es werden schon mehr. Und so still der Wald hinter mir. Schön hier auf der Bank am Waldesrand zu sitzen. So fern, so fern das Hotel und so märchenhaft leuchtet es her. Und was für Schufte sitzen drin. Ach nein, Menschen, arme Menschen, sie tun mir alle so leid. Auch die Marchesa tut mir leid, ich weiß nicht warum, und die Frau Winawer und die Bonne von Cissys kleinem Mädel. Sie sitzt nicht an der Table d’hôtes, sie hat schon früher mit Fritzi gegessen. Was ist das nur mit Else, fragt Cissy. Wie, auf ihrem Zimmer ist sie auch nicht? Alle haben sie Angst um mich, ganz gewiß. Nur ich habe keine Angst. Ja, da bin ich in Martino di Castrozza, sitze auf einer Bank am Waldesrand und die Luft ist wie Champagner und mir scheint gar, ich weine. Ja, warum weine ich denn? Es ist doch kein Grund zu weinen. Das sind die Nerven. Ich muß mich beherrschen. Ich darf mich nicht so gehen lassen. Aber das Weinen ist gar nicht unangenehm. Das Weinen tut mir immer wohl. Wie ich unsere alte Französin besucht habe im Krankenhaus, die dann gestorben ist, habe ich auch geweint. Und beim Begräbnis von der Großmama, und wie die Bertha nach Nürnberg gereist ist, und wie das Kleine von der Agathe gestorben ist, und im Theater bei der Kameliendame hab’ ich auch geweint. Wer wird weinen, wenn ich tot bin? O, wie schön wäre das tot zu sein. Aufgebahrt liege ich im Salon, die Kerzen brennen. Lange Kerzen. Zwölf lange Kerzen. Unten steht schon der Leichenwagen. Vor dem Haustor stehen Leute. Wie alt war sie denn? Erst neunzehn. Wirklich erst neunzehn? ‐ Denken Sie sich, ihr Papa ist im Zuchthaus. Warum hat sie sich denn umgebracht? Aus unglücklicher Liebe zu einem Filou. Aber was fällt Ihnen denn ein? Sie hätte ein Kind kriegen sollen. Nein, sie ist vom Cimone heruntergestürzt. Es ist ein Unglücksfall. Guten Tag, Herr Dorsday, Sie erweisen der kleinen Else auch die letzte Ehre? Kleine Else, sagt das alte Weib. ‐ Warum denn? Natürlich, ich muß ihr die letzte Ehre erweisen. Ich habe ihr ja auch die erste Schande erwiesen. O, es war der Mühe wert, Frau Winawer, ich habe noch nie einen so schönen Körper gesehen. Es hat mich nur dreißig Millionen gekostet. Ein Rubens kostet dreimal so viel. Mit Haschisch hat sie sich vergiftet. Sie wollte nur schöne Visionen haben, aber sie hat zu viel genommen und ist nicht mehr aufgewacht. Warum hat er denn ein rotes Monokel der Herr Dorsday? Wem winkt er denn mit dem Taschentuch? Die Mama kommt die Treppe herunter und küßt ihm die Hand. Pfui, pfui. Jetzt flüstern sie miteinander. Ich kann nichts verstehen, weil ich aufgebahrt bin. Der Veilchenkranz um meine Stirn ist von Paul. Die Schleifen fallen bis auf den Boden. Kein Mensch traut sich ins Zimmer. Ich stehe lieber auf und schaue zum Fenster hinaus. Was für ein großer blauer See! Hundert Schiffe mit gelben Segeln . Die Wellen glitzern. So viel Sonne. Regatta. Die Herren haben alle Ruderleibchen. Die Damen sind im Schwimmkostüm. Das ist unanständig. Sie bilden sich ein, ich bin nackt. Wie dumm sie sind. Ich habe ja schwarze Trauerkleider an, weil ich tot bin. Ich werde es euch beweisen. Ich lege mich gleich wieder auf die Bahre hin. Wo ist sie denn? Fort ist sie. Man hat sie davongetragen. Man hat sie unterschlagen. Darum ist der Papa im Zuchthaus. Und sie haben ihn doch freigesprochen auf drei Jahre. Die Geschworenen sind alle bestochen von Fiala. Ich werde jetzt zu Fuß auf den Friedhof gehen, da erspart die Mama das Begräbnis. Wir müssen uns einschränken. Ich gehe so schnell, daß mir keiner nachkommt. Ah, wie schnell ich gehen kann. Da bleiben sie alle auf den Straßen stehen und wundern sich. Wie darf man jemanden so anschaun, der tot ist! Das ist zudringlich. Ich gehe lieber übers Feld, das ist ganz blau von Vergißmeinnicht und Veilchen. Die Marineoffiziere stehen Spalier. Guten Morgen, meine Herren. Öffnen Sie das Tor, Herr Matador. Erkennen Sie mich nicht? Ich bin ja die Tote... Sie müssen mir darum nicht die Hand küssen... Wo ist denn meine Gruft? Hat man die auch unterschlagen? Gott sei Dank, es ist gar nicht der Friedhof. Das ist ja der Park in Mentone. Der Papa wird sich freuen, daß ich nicht begraben bin. Vor den Schlangen habe ich keine Angst. Wenn mich nur keine in den Fuß beißt. O weh.

Was ist denn? Wo bin ich denn? Habe ich geschlafen? Ja. Geschlafen habe ich. Ich muß sogar geträumt haben. Mir ist so kalt in den Füßen. Im rechten Fuß ist mir kalt. Wieso denn? Da ist am Knöchel ein kleiner Riß im Strumpf. Warum sitze ich denn noch im Wald? Es muß ja längst geläutet haben zum Diner. Dinner.

O Gott, wo war ich denn? So weit war ich fort. Was hab ich denn geträumt? Ich glaube ich war schon tot. Und keine Sorgen habe ich gehabt und mir nicht den Kopf zerbrechen müssen. Dreißigtausend, dreißigtausend... ich habe sie noch nicht. Ich muß sie mir erst verdienen. Und da sitz’ ich allein am Waldesrand. Das Hotel leuchtet bis her. Ich muß zurück. Es ist schrecklich, daß ich zurück muß. Aber es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Herr von Dorsday erwartet meine Entscheidung. Entscheidung. Entscheidung! Nein. Nein, Herr von Dorsday, kurz und gut, nein. Sie haben gescherzt, Herr von Dorsday, selbstverständlich. Ja, das werde ich ihm sagen. O, das ist ausgezeichnet. Ihr Scherz war nicht sehr vornehm, Herr von Dorsday, aber ich will Ihnen verzeihen. Ich telegraphiere morgen früh an Papa, Herr von Dorsday, daß das Geld pünktlich in Doktor Fialas Händen sein wird. Wunderbar. Das sage ich ihm. Da bleibt ihm nichts übrig, er muß das Geld abschicken. Muß? Muß er? Warum muß er denn? Und wenn er’s täte, so würde er sich dann rächen irgendwie. Er würde es so einrichten, daß das Geld zu spät kommt. Oder er würde das Geld schicken und dann überall erzählen, daß er mich gehabt hat. Aber er schickt ja das Geld gar nicht ab. Nein, Fräulein Else, so haben wir nicht gewettet. Telegraphieren Sie dem Papa, was Ihnen beliebt, ich schicke das Geld nicht ab. Sie sollen nicht glauben, Fräulein Else, daß ich mich von so einem kleinen Mädel übertölpeln lasse, ich der Vicomte von Eperies.

Ich muß vorsichtig gehen. Der Weg ist ganz dunkel. Sonderbar, es ist mir wohler als vorher. Es hat sich doch gar nichts geändert und mir ist wohler. Was habe ich denn nur geträumt? Von einem Matador? Was war denn das für ein Matador? Es ist doch weiter zum Hotel, als ich gedacht habe. Sie sitzen gewiß noch alle beim Diner. Ich werde mich ruhig an den Tisch setzen und sagen, daß ich Migräne gehabt habe und lasse mir nachservieren. Herr von Dorsday wird am Ende selbst zu mir kommen und mir sagen, daß das Ganze nur ein Scherz war. Entschuldigen Sie, Fräulein Else, entschuldigen Sie den schlechten Spaß, ich habe schon an meine Bank telegraphiert. Aber er wird es nicht sagen. Er hat nicht telegraphiert. Es ist alles noch genau so wie früher. Er wartet. Herr von Dorsday wartet. Nein, ich will ihn nicht sehen. Ich kann ihn nicht mehr sehen. Ich will niemanden mehr sehen. Ich will nicht mehr ins Hotel, ich will nicht mehr nach Hause, ich will nicht nach Wien, zu niemandem will ich, zu keinem Menschen, nicht zu Papa und nicht zu Mama, nicht zu Rudi und nicht zu Fred, nicht zu Berta und nicht zu Tante Irene. Die ist noch die beste, die würde alles verstehen. Aber ich habe nichts mehr mit ihr zu tun und mit niemandem mehr. Wenn ich zaubern könnte, wäre ich ganz wo anders in der Welt. Auf irgendeinem herrlichen Schiff im Mittelländischen Meer, aber nicht allein. Mit Paul zum Beispiel. Ja, das könnte ich mir ganz gut vorstellen. Oder ich wohnte in einer Villa am Meer, und wir lägen auf den Marmorstufen, die ins Wasser führen, und er hielte mich fest in seinen Armen und bisse mich in die Lippen, wie es Albert vor zwei Jahren getan hat beim Klavier, der unverschämte Kerl. Nein. Allein möchte ich am Meer liegen auf den Marmorstufen und warten. Und endlich käme Einer oder mehrere, und ich hätte die Wahl und die Andern, die ich verschmähe, die stürzen sich aus Verzweiflung alle ins Meer. Oder sie müßten Geduld haben bis zum nächsten Tag. Ach, was wäre das für ein köstliches Leben. Wozu habe ich denn meine herrlichen Schultern und meine schönen schlanken Beine? Und wozu bin ich denn überhaupt auf der Welt? Und es geschähe ihnen ganz recht, ihnen allen, sie haben mich ja doch nur daraufhin erzogen, daß ich mich verkaufe, so oder so. Vom Theaterspielen haben sie nichts wissen wollen. Da haben sie mich ausgelacht. Und es wäre ihnen ganz recht gewesen im vorigen Jahr, wenn ich den Direktor Wilomitzer geheiratet hätte, der bald fünfzig ist. Nur daß sie mir nicht zugeredet haben. Da hat sich der Papa doch geniert. Aber die Mama hat ganz deutliche Anspielungen gemacht.

Wie riesig es dasteht das Hotel, wie eine ungeheuere beleuchtete Zauberburg. Alles ist so riesig. Die Berge auch. Man könnte sich fürchten. Noch nie waren sie so schwarz. Der Mond ist noch nicht da. Der geht erst zur Vorstellung auf, zur großen Vorstellung auf der Wiese, wenn der Herr von Dorsday seine Sklavin nackt tanzen läßt. Was geht mich denn der Herr Dorsday an? Nun, Mademoiselle Else, was machen Sie denn für Geschichten? Sie waren doch schon bereit auf und davon zu gehen, die Geliebte von fremden Männern zu werden, von einem nach dem andern. Und auf die Kleinigkeit, die Herr von Dorsday von Ihnen verlangt, kommt es Ihnen an? Für einen Perlenschmuck, für schöne Kleider, für eine Villa am Meer sind Sie bereit sich zu verkaufen? Und das Leben Ihres Vaters ist Ihnen nicht so viel wert? Es wäre gerade der richtige Anfang. Es wäre dann gleich die Rechtfertigung für alles andere. Ihr wart es, könnt’ ich sagen, Ihr habt mich dazu gemacht, Ihr alle seid schuld, daß ich so geworden bin, nicht nur Papa und Mama. Auch der Rudi ist schuld und der Fred und alle, alle, weil sich ja niemand um einen kümmert. Ein bißchen Zärtlichkeit, wenn man hübsch aussieht, und ein bißl Besorgtheit, wenn man Fieber hat, und in die Schule schicken sie einen, und zu Hause lernt man Klavier und Französisch, und im Sommer geht man auf’s Land und zum Geburtstag kriegt man Geschenke und bei Tisch reden sie über allerlei. Aber was in mir vorgeht und was in mir wühlt und Angst hat, habt ihr euch darum je gekümmert? Manchmal im Blick von Papa war eine Ahnung davon, aber ganz flüchtig. Und dann war gleich wieder der Beruf da, und die Sorgen und das Börsenspiel und wahrscheinlich irgendein Frauenzimmer ganz im geheimen, ‚nichts sehr Feines unter uns‘, und ich war wieder allein. Nun, was tätst du Papa, was tätst du heute, wenn ich nicht da wäre?

Da stehe ich, ja da stehe ich vor dem Hotel. ‐ Furchtbar da hineingehen zu müssen, alle die Leute sehen, den Herrn von Dorsday, die Tante, Cissy. Wie schön war das früher auf der Bank am Waldesrand, wie ich schon tot war. Matador wenn ich nur drauf käm’, was eine Regatta war es, richtig und ich habe vom Fenster aus zugesehen. Aber wer war der Matador? ‐ Wenn ich nur nicht so müd’ wäre, so furchtbar müde. Und da soll ich bis Mitternacht aufbleiben und mich dann ins Zimmer von Herrn von Dorsday schleichen? Vielleicht begegne ich der Cissy auf dem Gang. Hat sie was an unter dem Schlafrock, wenn sie zu ihm kommt? Es ist schwer, wenn man in solchen Dingen nicht geübt ist. Soll ich sie nicht um Rat fragen, die Cissy? Natürlich würde ich nicht sagen, daß es sich um Dorsday handelt, sondern sie müßte sich denken, ich habe ein nächtliches Rendezvous mit einem von den hübschen jungen Leuten hier im Hotel. Zum Beispiel mit dem langen blonden Menschen, der die leuchtenden Augen hat. Aber der ist ja nicht mehr da. Plötzlich war er verschwunden. Ich habe doch gar nicht an ihn gedacht bis zu diesem Augenblick. Aber es ist leider nicht der lange blonde Mensch mit den leuchtenden Augen, auch der Paul ist es nicht, es ist der Herr von Dorsday. Also wie mach’ ich es denn? Was sage ich ihm? Einfach Ja? Ich kann doch nicht zu Herrn Dorsday ins Zimmer kommen. Er hat sicher lauter elegante Flakons auf dem Waschtisch, und das Zimmer riecht nach französischem Parfüm. Nein, nicht um die Welt zu ihm. Lieber im Freien. Da geht er mich nichts an. Der Himmel ist so hoch und die Wiese ist so groß. Ich muß gar nicht an den Herrn Dorsday denken. Ich muß ihn nicht einmal anschauen. Und wenn er es wagen würde, mich anzurühren, einen Tritt bekäme er mit meinen nackten Füßen. Ach, wenn es doch ein anderer wäre, irgendein anderer. Alles, alles könnte er von mir haben heute Nacht, jeder andere, nur Dorsday nicht. Und gerade der! Gerade der! Wie seine Augen stechen und bohren werden. Mit dem Monokel wird er dastehen und grinsen. Aber nein, er wird nicht grinsen. Er wird ein vornehmes Gesicht schneiden. Elegant. Er ist ja solche Dinge gewohnt. Wie viele hat er schon so gesehen? Hundert oder tausend? Aber war schon eine darunter wie ich? Nein, gewiß nicht. Ich werde ihm sagen, daß er nicht der Erste ist, der mich so sieht. Ich werde ihm sagen, daß ich einen Geliebten habe. Aber erst, wenn die dreißigtausend Gulden an Fiala abgesandt sind. Dann werde ich ihm sagen, daß er ein Narr war, daß er mich auch hätte haben können um dasselbe Geld. ‐ Daß ich schon zehn Liebhaber gehabt habe, zwanzig, hundert. ‐ Aber das wird er mir ja alles nicht glauben. ‐ Und wenn er es mir glaubt, was hilft es mir? ‐ Wenn ich ihm nur irgendwie die Freude verderben könnte. Wenn noch einer dabei wäre? Warum nicht? Er hat ja nicht gesagt, daß er mit mir allein sein muß. Ach, Herr von Dorsday, ich habe solche Angst vor Ihnen. Wollen Sie mir nicht freundlichst gestatten, einen guten Bekannten mitzubringen? O, das ist keineswegs gegen die Abrede, Herr von Dorsday. Wenn es mir beliebte, dürfte ich das ganze Hotel dazu einladen, und Sie wären trotzdem verpflichtet, die dreißigtausend Gulden abzuschicken. Aber ich begnüge mich damit, meinen Vetter Paul mitzubringen. Oder ziehen Sie etwa einen andern vor? Der lange blonde Mensch ist leider nicht mehr da und der Filou mit dem Römerkopf leider auch nicht. Aber ich find’ schon noch wen andern. Sie fürchten Indiskretion? Darauf kommt es ja nicht an. Ich lege keinen Wert auf Diskretion. Wenn man einmal so weit ist wie ich, dann ist alles ganz egal. Das ist heute ja nur der Anfang. Oder denken Sie, aus diesem Abenteuer fahre ich wieder nach Hause als anständiges Mädchen aus guter Familie? Nein, weder gute Familie noch anständiges junges Mädchen. Das wäre erledigt. Ich stelle mich jetzt auf meine eigenen Beine. Ich habe schöne Beine, Herr von Dorsday, wie Sie und die übrigen Teilnehmer des Festes bald zu bemerken Gelegenheit haben werden. Also die Sache ist in Ordnung, Herr von Dorsday. Um zehn Uhr, während alles noch in der Halle sitzt, wandern wir im Mondenschein über die Wiese, durch den Wald nach Ihrer berühmten selbstentdeckten Lichtung. Das Telegramm an die Bank bringen Sie für alle Fälle gleich mit. Denn eine Sicherheit darf ich doch wohl verlangen von einem solchen Spitzbuben wie Sie. Und um Mitternacht können Sie wieder nach Hause gehen, und ich bleibe mit meinem Vetter oder sonst wem auf der Wiese im Mondenschein. Sie haben doch nichts dagegen, Herr von Dorsday? Das dürfen Sie gar nicht. Und wenn ich morgen früh zufällig tot sein sollte, so wundern sie sich weiter nicht. Dann wird eben Paul das Telegramm aufgeben. Dafür wird schon gesorgt sein. Aber bilden Sie sich dann um Gottes willen nicht ein, daß Sie, elender Kerl, mich in den Tod getrieben haben. Ich weiß ja schon lange, daß es so mit mir enden wird. Fragen Sie doch nur meinen Freund Fred, ob ich es ihm nicht schon öfters gesagt habe. Fred, das ist nämlich Herr Friedrich Wenkheim, nebstbei der einzige anständige Mensch, den ich in meinem Leben kennengelernt habe. Der einzige, den ich geliebt hätte, wenn er nicht ein gar so anständiger Mensch wäre. Ja, ein so verworfenes Geschöpf bin ich. Bin nicht geschaffen für eine bürgerliche Existenz, und Talent habe ich auch keines. Für unsere Familie wäre es sowieso das Beste, sie stürbe aus. Mit dem Rudi wird auch schon irgendein Malheur geschehen. Der wird sich in Schulden stürzen für eine holländische Chansonette und bei Vanderhulst defraudieren. Das ist schon so in unserer Familie. Und der jüngste Bruder von meinem Vater, der hat sich erschossen, wie er fünfzehn Jahre alt war. Kein Mensch weiß warum. Ich habe ihn nicht gekannt. Lassen Sie sich die Photographie zeigen, Herr von Dorsday. Wir haben sie in einem Album... Ich soll ihm ähnlich sehen. Kein Mensch weiß, warum er sich umgebracht hat. Und von mir wird es auch keiner wissen. Ihretwegen keinesfalls, Herr von Dorsday. Die Ehre tue ich Ihnen nicht an. Ob mit neunzehn oder einundzwanzig, das ist doch egal. Oder soll ich Bonne werden oder Telephonistin oder einen Herrn Wilomitzer heiraten oder mich von Ihnen aushalten lassen? Es ist alles gleich ekelhaft, und ich komme überhaupt gar nicht mit Ihnen auf die Wiese. Nein, das ist alles viel zu anstrengend und zu dumm und zu widerwärtig. Wenn ich tot bin, werden Sie schon die Güte haben und die paar tausend Gulden für den Papa absenden, denn es wäre doch zu traurig, wenn er gerade an dem Tage verhaftet würde, an dem man meine Leiche nach Wien bringt. Aber ich werde einen Brief hinterlassen mit testamentarischer Verfügung: Herr von Dorsday hat das Recht, meinen Leichnam zu sehen. Meinen schönen nackten Mädchenleichnam. So können Sie sich nicht beklagen, Herr von Dorsday, daß ich Sie übers Ohr gehaut habe. Sie haben doch was für Ihr Geld. Daß ich noch lebendig sein muß, das steht nicht in unserem Kontrakt. O nein. Das steht nirgends geschrieben. Also den Anblick meines Leichnams vermache ich dem Kunsthändler Dorsday, und Herrn Fred Wenkheim vermache ich mein Tagebuch aus meinem siebzehnten Lebensjahr weiter habe ich nicht geschrieben und dem Fräulein bei Cissy vermache ich die fünf Zwanzigfranks‐Stücke, die ich vor Jahren aus der Schweiz mitgebracht habe. Sie liegen im Schreibtisch neben den Briefen. Und Bertha vermache ich das schwarze Abendkleid. Und Agathe meine Bücher. Und meinem Vetter Paul, dem vermache ich einen Kuß auf meine blassen Lippen. Und der Cissy vermache ich mein Rakett, weil ich edel bin. Und man soll mich gleich hier begraben in San Martino di Castrozza auf dem schönen kleinen Friedhof. Ich will nicht mehr zurück nach Hause. Auch als Tote will ich nicht mehr zurück. Und Papa und Mama sollen sich nicht kränken, mir geht es besser als ihnen. Und ich verzeihe ihnen. Es ist nicht schade um mich. ‐ Haha, was für ein komisches Testament. Ich bin wirklich gerührt. Wenn ich denke, daß ich morgen um die Zeit, während die andern beim Diner sitzen, schon tot bin? ‐ Die Tante Emma wird natürlich nicht zum Diner herunterkommen und Paul auch nicht. Sie werden sich auf dem Zimmer servieren lassen. Neugierig bin ich, wie sich Cissy benehmen wird. Nur werde ich es leider nicht erfahren. Gar nichts mehr werde ich erfahren. Oder vielleicht weiß man noch alles, so lange man nicht begraben ist? Und am Ende bin ich nur scheintot. Und wenn der Herr von Dorsday an meinen Leichnam tritt, so erwache ich und schlage die Augen auf, da läßt er vor Schreck das Monokel fallen.

Aber es ist ja leider alles nicht wahr. Ich werde nicht scheintot sein und tot auch nicht. Ich werde mich überhaupt gar nicht umbringen, ich bin ja viel zu feig. Wenn ich auch eine couragierte Kletterin bin, feig bin ich doch. Und vielleicht habe ich nicht einmal genug Veronal. Wieviel Pulver braucht man denn? Sechs glaube ich. Aber zehn ist sicherer. Ich glaube, es sind noch zehn. Ja, das werden genug sein.

Zum wievielten Mal lauf’ ich jetzt eigentlich um das Hotel herum? Also was jetzt? Da steh’ ich vor dem Tor. In der Halle ist noch niemand. Natürlich sie sitzen ja noch alle beim Diner. Seltsam sieht die Halle aus so ganz ohne Menschen. Auf dem Sessel dort liegt ein Hut, ein Touristenhut, ganz fesch. Hübscher Gemsbart. Dort im Fauteuil sitzt ein alter Herr. Hat wahrscheinlich keinen Appetit mehr. Liest Zeitung. Dem geht’s gut. Er hat keine Sorgen. Er liest ruhig Zeitung, und ich muß mir den Kopf zerbrechen, wie ich dem Papa dreißigtausend Gulden verschaffen soll. Aber nein. Ich weiß ja wie. Es ist ja so furchtbar einfach. Was will ich denn? Was will ich denn? Was tu’ ich denn da in der Halle? Gleich werden sie alle kommen vom Diner. Was soll ich denn tun? Herr von Dorsday sitzt gewiß auf Nadeln. Wo bleibt sie, denkt er sich. Hat sie sich am Ende umgebracht? Oder engagiert sie jemanden, daß er mich umbringt? Oder hetzt sie ihren Vetter Paul auf mich? Haben Sie keine Angst, Herr von Dorsday, ich bin keine so gefährliche Person. Ein kleines Luder bin ich, weiter nichts. Für die Angst, die Sie ausgestanden haben, sollen Sie auch Ihren Lohn haben. Zwölf Uhr, Zimmer Nummer fünfundsechzig. Im Freien wäre es mir doch zu kühl. Und von Ihnen aus, Herr von Dorsday, begebe ich mich direkt zu meinem Vetter Paul. Sie haben doch nichts dagegen, Herr von Dorsday?

„Else! Else!“

Wie? Was? Das ist ja Pauls Stimme. Das Diner schon aus? ‐ „Else!“„Ach, Paul, was gibt’s denn, Paul?“ Ich stell’ mich ganz unschuldig. ‐ „Ja, wo steckst du denn, Else?“„Wo soll ich denn stecken? Ich bin spazieren gegangen.“„Jetzt, während des Diners?“„Na, wann denn? Es ist doch die schönste Zeit dazu.“ Ich red’ Blödsinn. ‐ „Die Mama hat sich schon alles Mögliche eingebildet. Ich war an deiner Zimmertür, hab’ geklopft.“„Hab’ nichts gehört.“„Aber im Ernst, Else, wie kannst du uns in eine solche Unruhe versetzen! Du hättest Mama doch wenigstens verständigen können, daß du nicht zum Diner kommst.“„Du hast ja recht, Paul, aber wenn du eine Ahnung hättest, was ich für Kopfschmerzen gehabt habe.“ Ganz schmelzend red’ ich. O, ich Luder. ‐ „Ist dir jetzt wenigstens besser?“„Könnt’ ich eigentlich nicht sagen.“„Ich will vor allem der Mama“„Halt Paul, noch nicht. Entschuldige mich bei der Tante, ich will nur für ein paar Minuten auf mein Zimmer, mich ein bißl herrichten. Dann komme ich gleich herunter und werde mir eine Kleinigkeit nachservieren lassen.“„Du bist so blaß, Else? ‐ Soll ich dir die Mama hinaufschicken?“„Aber mach’ doch keine solchen Geschichten mit mir, Paul, und schau’ mich nicht so an. Hast du noch nie ein weibliches Wesen mit Kopfschmerzen gesehen? Ich komme bestimmt noch herunter. In zehn Minuten spätestens. Grüß dich Gott, Paul.“„Also auf Wiedersehen, Else.“ ‐ Gott sei Dank, daß er geht. Dummer Bub’, aber lieb. Was will denn der Portier von mir? Wie, ein Telegramm? „Danke. Wann ist denn die Depesche gekommen, Herr Portier?“„Vor einer Viertelstunde, Fräulein.“ ‐ Warum schaut er mich denn so an, so — bedauernd. Um Himmels willen, was wird denn da drin stehn? Ich mach’ sie erst oben auf, sonst fall’ ich vielleicht in Ohnmacht. Am Ende hat sich der Papa — Wenn der Papa tot ist, dann ist ja alles in Ordnung, dann muß ich nicht mehr mit Herrn von Dorsday auf die Wiese gehn... O, ich elende Person. Lieber Gott, mach’, daß in der Depesche nichts Böses steht. Lieber Gott, mach’, daß der Papa lebt. Verhaftet meinetwegen, nur nicht tot. Wenn nichts Böses drin steht, dann will ich ein Opfer bringen. Ich werde Bonne, ich nehme eine Stellung in einem Bureau an. Sei nicht tot, Papa. Ich bin ja bereit. Ich tue ja alles, was du willst...

Gott sei Dank, daß ich oben bin. Licht gemacht, Licht gemacht. Kühl ist es geworden. Das Fenster war zu lange offen. Courage, Courage. Ha, vielleicht steht drin, daß die Sache geordnet ist. Vielleicht hat der Onkel Bernhard das Geld hergegeben und sie telegraphieren mir: Nicht mit Dorsday reden. Ich werde es ja gleich sehen. Aber wenn ich auf den Plafond schaue, kann ich natürlich nicht lesen, was in der Depesche steht. Trala, trala, Courage. Es muß ja sein. ‚Wiederhole flehentliche Bitte mit Dorsday reden. Summe nicht dreißig, sondern fünfzig. Sonst alles vergeblich. Adresse bleibt Fiala.‘ ‐ Sondern fünfzig. Sonst alles vergeblich. Trala, trala. Fünfzig. Adresse bleibt Fiala. Aber gewiß, ob fünfzig oder dreißig, darauf kommt es ja nicht an. Auch dem Herrn von Dorsday nicht. Das Veronal liegt unter der Wäsche, für alle Fälle. Warum habe ich nicht gleich gesagt: fünfzig. Ich habe doch daran gedacht! Sonst alles vergeblich. Also hinunter, geschwind, nicht da auf dem Bett sitzen bleiben. Ein kleiner Irrtum, Herr von Dorsday, verzeihen Sie. Nicht dreißig, sondern fünfzig, sonst alles vergeblich. Adresse bleibt Fiala. ‐ ‚Sie halten mich wohl für einen Narren, Fräulein Else?‘ Keineswegs, Herr Vicomte, wie sollte ich. ‚Für fünfzig müßte ich jedesfalls entsprechend mehr fordern, Fräulein.‘ Sonst alles vergeblich, Adresse bleibt Fiala. Wie Sie wünschen, Herr von Dorsday. Bitte, befehlen Sie nur. Vor allem aber, schreiben Sie die Depesche an Ihr Bankhaus, natürlich, sonst habe ich ja keine Sicherheit. ‐

Ja, so mach’ ich es. Ich komme zu ihm ins Zimmer und erst, wenn er vor meinen Augen die Depesche geschrieben ziehe ich mich aus. Und die Depesche behalte ich in der Hand. Ha, wie unappetitlich. Und wo soll ich denn meine Kleider hinlegen? Nein, nein, ich ziehe mich schon hier aus und nehme den großen schwarzen Mantel um, der mich ganz einhüllt. So ist es am bequemsten. Für beide Teile. Adresse bleibt Fiala. Mir klappern die Zähne. Das Fenster ist noch offen. Zugemacht. Im Freien? Den Tod hätte ich davon haben können. Schuft! Fünfzigtausend. Er kann nicht Nein sagen. Zimmer fünfundsechzig. Aber vorher sag’ ich Paul, er soll in seinem Zimmer auf mich warten. Von Dorsday geh’ ich direkt zu Paul und erzähle ihm alles. Und dann soll Paul ihn ohrfeigen. Ja, noch heute Nacht. Ein reichhaltiges Programm. Und dann kommt das Veronal. Nein, wozu denn? Warum denn sterben? Keine Spur. Lustig, lustig, jetzt fängt ja das Leben erst an. Ihr sollt Euere Freude haben. Ihr sollt stolz werden auf Euer Töchterlein. Ein Luder will ich werden, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Adresse bleibt Fiala. Du sollst deine fünfzigtausend Gulden haben, Papa. Aber die nächsten, die ich mir verdiene, um die kaufe ich mir neue Nachthemden mit Spitzen besetzt, ganz durchsichtig und köstliche Seidenstrümpfe. Man lebt nur einmal. Wozu schaut man denn so aus wie ich. Licht gemacht, ‐ die Lampe über dem Spiegel schalt’ ich ein. Wie schön meine blondroten Haare sind, und meine Schultern; meine Augen sind auch nicht übel. Hu, wie groß sie sind. Es wär’ schad’ um mich. Zum Veronal ist immer noch Zeit. ‐ Aber ich muß ja hinunter. Tief hinunter. Herr Dorsday wartet, und er weiß noch nicht einmal, daß es indes fünfzigtausend geworden sind. Ja, ich bin im Preis gestiegen, Herr von Dorsday. Ich muß ihm das Telegramm zeigen, sonst glaubt er mir am Ende nicht und denkt, ich will ein Geschäft bei der Sache machen. Ich werde die Depesche auf sein Zimmer schicken und etwas dazu schreiben. Zu meinem lebhaften Bedauern sind es nun fünfzigtausend geworden, Herr von Dorsday, das kann Ihnen ja ganz egal sein. Und ich bin überzeugt, Ihre Gegenforderung war gar nicht ernst gemeint. Denn Sie sind ein Vicomte und ein Gentleman. Morgen früh werden Sie die fünfzigtausend, an denen das Leben meines Vaters hängt, ohne weiters an Fiala senden. Ich rechne darauf. ‐ ‚Selbstverständlich, mein Fräulein, ich sende für alle Fälle gleich hunderttausend, ohne jede Gegenleistung und verpflichte mich überdies, von heute an für den Lebensunterhalt Ihrer ganzen Familie zu sorgen, die Börsenschulden Ihres Herrn Papas zu zahlen und sämtliche veruntreute Mündelgelder zu ersetzen.‘ Adresse bleibt Fiala. Hahaha! Ja, genau so ist der Vicomte von Eperies. Das ist ja alles Unsinn. Was bleibt mir denn übrig? Es muß ja sein, ich muß es ja tun, alles, alles muß ich tun, was Herr von Dorsday verlangt, damit der Papa morgen das Geld hat, damit er nicht eingesperrt wird, damit er sich nicht umbringt. Und ich werde es auch tun. Ja, ich werde es tun, obzwar doch alles für die Katz’ ist. In einem halben Jahr sind wir wieder gerade so weit wie heute! In vier Wochen! ‐ Aber dann geht es mich nichts mehr an. Das eine Opfer bringe ich und dann keines mehr. Nie, nie, niemals wieder. Ja, das sage ich dem Papa, sobald ich nach Wien komme. Und dann fort aus dem Haus, wo immer hin. Ich werde mich mit Fred beraten. Er ist der einzige, der mich wirklich gern hat. Aber so weit bin ich ja noch nicht. Ich bin nicht in Wien, ich bin noch in Martino di Castrozza. Noch nichts ist geschehen. Also wie, wie, was? Da ist das Telegramm. Was tue ich denn mit dem Telegramm? Ich habe es ja schon gewußt. Ich muß es ihm auf sein Zimmer schicken. Aber was sonst? Ich muß ihm etwas dazu schreiben. Nun ja, was soll ich ihm schreiben? Erwarten Sie mich um zwölf. Nein, nein, nein! Den Triumph soll er nicht haben. Ich will nicht, will nicht, will nicht. Gott sei Dank, daß ich die Pulver da habe. Das ist die einzige Rettung. Wo sind sie denn? Um Gottes willen, man wird sie mir doch nicht gestohlen haben. Aber nein, da sind sie ja. Da in der Schachtel. Sind sie noch alle da? Ja, da sind sie. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Ich will sie ja nur ansehen, die lieben Pulver. Es verpflichtet ja zu nichts. Auch daß ich sie ins Glas schütte, verpflichtet ja zu nichts. Eins, zwei, aber ich bringe mich ja sicher nicht um. Fällt mir gar nicht ein. Drei, vier, fünf davon stirbt man auch noch lange nicht. Es wäre schrecklich, wenn ich das Veronal nicht mit hätte. Da müßte ich mich zum Fenster hinunterstürzen und dazu hätt’ ich doch nicht den Mut. Aber das Veronal, man schläft langsam ein, wacht nicht mehr auf, keine Qual, kein Schmerz. Man legt sich ins Bett; in einem Zuge trinkt man es aus, träumt, und alles ist vorbei. Vorgestern habe ich auch ein Pulver genommen und neulich sogar zwei. Pst, niemandem sagen. Heut’ werden es halt ein bißl mehr sein. Es ist ja nur für alle Fälle. Wenn es mich gar gar zu sehr grausen sollte. Aber warum soll es mich denn grausen? Wenn er mich anrührt, so spucke ich ihm ins Gesicht. Ganz einfach.

Aber wie soll ich ihm denn den Brief zukommen lassen? Ich kann doch nicht dem Herrn von Dorsday durch das Stubenmädchen einen Brief schicken. Das Beste, ich gehe hinunter und rede mit ihm und zeige ihm das Telegramm. Hinunter muß ich ja jedenfalls. Ich kann doch nicht da heroben im Zimmer bleiben. Ich hielte es ja gar nicht aus, drei Stunden lang bis der Moment kommt. Auch wegen der Tante muß ich hinunter. Ha, was geht mich denn die Tante an. Was gehen mich die Leute an? Sehen Sie, meine Herrschaften, da steht das Glas mit dem Veronal. So, jetzt nehme ich es in die Hand. So, jetzt führe ich es an die Lippen. Ja, jeden Moment kann ich drüben sein, wo es keine Tanten gibt und keinen Dorsday und keinen Vater, der Mündelgelder defraudiert...

Aber ich werde mich nicht umbringen. Das habe ich nicht notwendig. Ich werde auch nicht zu Herrn von Dorsday ins Zimmer gehen. Fällt mir gar nicht ein. Ich werde mich doch nicht um fünfzigtausend Gulden nackt hinstellen vor einen alten Lebemann, um einen Lumpen vor dem Kriminal zu retten. Nein, nein, entweder oder. Wie kommt denn der Herr von Dorsday dazu? Gerade der? Wenn einer mich sieht, dann sollen mich auch andere sehen. Ja! ‐ Herrlicher Gedanke! ‐ Alle sollen sie mich sehen. Die ganze Welt soll mich sehen. Und dann kommt das Veronal. Nein, nicht das Veronal, wozu denn?! dann kommt die Villa mit den Marmorstufen und die schönen Jünglinge und die Freiheit und die weite Welt! Guten Abend, Fräulein Else, so gefallen Sie mir. Haha. Da unten werden sie meinen, ich bin verrückt geworden. Aber ich war noch nie so vernünftig. Zum erstenmal in meinem Leben bin ich wirklich vernünftig. Alle, alle sollen sie mich sehen! ‐ Dann gibt es kein Zurück, kein nach Hause zu Papa und Mama, zu den Onkeln und Tanten. Dann bin ich nicht mehr das Fräulein Else, das man an irgendeinen Direktor Wilomitzer verkuppeln möchte; alle hab’ ich sie so zum Narren; den Schuften Dorsday vor allem und komme zum zweitenmal auf die Welt... sonst alles vergeblich Adresse bleibt Fiala. Haha!

Keine Zeit mehr verlieren, nicht wieder feig werden. Herunter das Kleid. Wer wird der Erste sein? Wirst du es sein, Vetter Paul? Dein Glück, daß der Römerkopf nicht mehr da ist. Wirst du diese schönen Brüste küssen heute Nacht? Ah, wie bin ich schön. Bertha hat ein schwarzes Seidenhemd. Raffiniert. Ich werde noch viel raffinierter sein. Herrliches Leben. Fort mit den Strümpfen, das wäre unanständig. Nackt, ganz nackt. Wie wird mich Cissy beneiden! Und andere auch. Aber sie trauen sich nicht. Sie möchten ja alle so gern. Nehmt Euch ein Beispiel. Ich, die Jungfrau, ich traue mich. Ich werde mich ja zu Tod lachen über Dorsday. Da bin ich, Herr von Dorsday. Rasch auf die Post. Fünfzigtausend. So viel ist es doch wert?

Schön, schön bin ich! Schau’ mich an, Nacht! Berge schaut mich an! Himmel schau’ mich an, wie schön ich bin. Aber ihr seid ja blind. Was habe ich von euch. Die da unten haben Augen. Soll ich mir die Haare lösen? Nein. Da säh ich aus wie eine Verrückte. Aber Ihr sollt mich nicht für verrückt halten. Nur für schamlos sollt Ihr mich halten. Für eine Kanaille. Wo ist das Telegramm? Um Gottes willen, wo habe ich denn das Telegramm? Da liegt es ja, friedlich neben dem Veronal. ‚Wiederhole flehentlich ‐ fünfzigtausend ‐ sonst alles vergeblich. Adresse bleibt Fiala.‘ Ja, das ist das Telegramm. Das ist ein Stück Papier und da stehen Worte darauf. Aufgegeben in Wien vier Uhr dreißig. Nein, ich träume nicht, es ist alles wahr. Und zu Hause warten sie auf die fünfzigtausend Gulden. Und Herr von Dorsday wartet auch. Er soll nur warten. Wir haben ja Zeit. Ah, wie hübsch ist es, so nackt im Zimmer auf und abzuspazieren. Bin ich wirklich so schön wie im Spiegel? Ach, kommen Sie doch näher, schönes Fräulein. Ich will Ihre blutroten Lippen küssen. Ich will Ihre Brüste an meine Brüste pressen. Wie schade, daß das Glas zwischen uns ist, das kalte Glas. Wie gut würden wir uns miteinander vertragen. Nicht wahr? Wir brauchten gar niemanden andern. Es gibt vielleicht gar keine andern Menschen. Es gibt Telegramme und Hotels und Berge und Bahnhöfe und Wälder, aber Menschen gibt es nicht. Die träumen wir nur. Nur der Doktor Fiala existiert mit der Adresse. Es bleibt immer dieselbe. O, ich bin keineswegs verrückt. Ich bin nur ein wenig erregt. Das ist doch ganz selbstverständlich, bevor man zum zweitenmal auf die Welt kommt. Denn die frühere Else ist schon gestorben. Ja, ganz bestimmt bin ich tot. Da braucht man kein Veronal dazu. Soll ich es nicht weggießen? Das Stubenmädel könnte es aus Versehen trinken. Ich werde einen Zettel hinlegen und darauf schreiben: Gift; nein, lieber: Medizin, damit dem Stubenmädel nichts geschieht. So edel bin ich. So. Medizin, zweimal unterstrichen und drei Ausrufungszeichen. Jetzt kann nichts passieren. Und wenn ich dann heraufkomme und keine Lust habe mich umzubringen und nur schlafen will, dann trinke ich eben nicht das ganze Glas aus, sondern nur ein Viertel davon oder noch weniger. Ganz einfach. Alles habe ich in meiner Hand. Am einfachsten wäre, ich liefe hinunter so wie ich bin über Gang und Stiegen. Aber nein, da könnte ich aufgehalten werden, ehe ich unten bin und ich muß doch die Sicherheit haben, daß der Herr von Dorsday dabei ist! Sonst schickt er natürlich das Geld nicht ab, der Schmutzian. ‐ Aber ich muß ihm ja noch schreiben. Das ist doch das Wichtigste. O, kalt ist die Sessellehne, aber angenehm. Wenn ich meine Villa am italienischen See haben werde, dann werde ich in meinem Park immer nackt herumspazieren... Die Füllfeder vermache ich Fred, wenn ich einmal sterbe. Aber vorläufig habe ich etwas Gescheiteres zu tun als zu sterben. ‚Hochverehrter Herr Vicomte‘ ‐ also vernünftig Else, keine Aufschrift, weder hochverehrt, noch hochverachtet. ‚Ihre Bedingung, Herr von Dorsday, ist erfüllt‘ ‐ ‐ ‐ ‚In dem Augenblick, da Sie diese Zeilen lesen, Herr von Dorsday, ist ihre Bedingung erfüllt, wenn auch nicht ganz in der von Ihnen vorgesehenen Weise.‘ ‐ ‚Nein, wie gut das Mädel schreibt‘, möcht’ der Papa sagen. ‐ ‚Und so rechne ich darauf, daß Sie Ihrerseits Ihr Wort halten und die fünfzigtausend Gulden telegraphisch an die bekannte Adresse unverzüglich anweisen lassen werden, Else.‘ Nein, nicht Else. Gar keine Unterschrift. So. Mein schönes gelbes Briefpapier! Hab’ ich zu Weihnachten bekommen. Schad’ drum. So — und jetzt Telegramm und Brief ins Kuvert. ‐ ‚Herrn von Dorsday‘, Zimmer Nummer fünfundsechzig. Wozu die Nummer? Ich lege ihm den Brief einfach vor die Tür im Vorbeigehen. Aber ich muß nicht. Ich muß überhaupt gar nichts. Wenn es mir beliebt, kann ich mich jetzt auch ins Bett legen und schlafen und mich um nichts mehr kümmern. Nicht um den Herrn von Dorsday und nicht um den Papa. Ein gestreifter Sträflingsanzug ist auch ganz elegant. Und erschossen haben sich schon viele. Und sterben müssen wir alle.

Aber du hast ja das alles vorläufig nicht nötig, Papa. Du hast ja deine herrlich gewachsene Tochter, und Adresse bleibt Fiala. Ich werde eine Sammlung einleiten. Mit dem Teller werde ich herumgehen. Warum sollte nur Herr von Dorsday zahlen? Das wäre ein Unrecht. Jeder nach seinen Verhältnissen. Wieviel wird Paul auf den Teller legen? Und wieviel der Herr mit dem goldenen Zwicker? Aber bildet Euch nur ja nicht ein, daß das Vergnügen lange dauern wird. Gleich hülle ich mich wieder ein, laufe die Treppen hinauf in mein Zimmer, sperre mich ein und, wenn es mir beliebt, trinke ich das ganze Glas auf einen Zug. Aber es wird mir nicht belieben. Es wäre nur eine Feigheit. Sie verdienen gar nicht so viel Respekt, die Schufte. Schämen vor Euch? Ich mich schämen vor irgend wem? Das habe ich wirklich nicht nötig. Laß dir noch einmal in die Augen sehen, schöne Else. Was du für Riesenaugen hast, wenn man näher kommt. Ich wollte, es küßte mich einer auf meine Augen, auf meinen blutroten Mund. Kaum über die Knöchel reicht mein Mantel. Man wird sehen, daß meine Füße nackt sind. Was tut’s, man wird noch mehr sehen! Aber ich bin nicht verpflichtet. Ich kann gleich wieder umkehren, noch bevor ich unten bin. Im ersten Stock kann ich umkehren. Ich muß überhaupt nicht hinuntergehen. Aber ich will ja. Ich freue mich drauf. Hab’ ich mir nicht mein ganzes Leben lang so was gewünscht?

Worauf warte ich denn noch? Ich bin ja bereit. Die Vorstellung kann beginnen. Den Brief nicht vergessen. Eine aristokratische Schrift behauptet Fred. Auf Wiedersehen, Else. Du bist schön mit dem Mantel. Florentinerinnen haben sich so malen lassen. In den Galerien hängen ihre Bilder und es ist eine Ehre für sie. ‐ Man muß gar nichts bemerken, wenn ich den Mantel um habe. Nur die Füße, nur die Füße. Ich nehme die schwarzen Lackschuhe, dann denkt man, es sind fleischfarbene Strümpfe. So werde ich durch die Halle gehen, und kein Mensch wird ahnen, daß unter dem Mantel nichts ist, als ich, ich selber. Und dann kann ich immer noch herauf... ‐ Wer spielt denn da unten so schön Klavier? Chopin? ‐ Herr von Dorsday wird etwas nervös sein. Vielleicht hat er Angst vor Paul. Nur Geduld, Geduld, wird sich alles finden. Ich weiß noch gar nichts, Herr von Dorsday, ich bin selber schrecklich gespannt. Licht ausschalten! Ist alles in Ordnung in meinem Zimmer? Leb’ wohl, Veronal, auf Wiedersehen. Leb’ wohl, mein heißgeliebtes Spiegelbild. Wie du im Dunkel leuchtest. Ich bin schon ganz gewohnt, unter dem Mantel nackt zu sein. Ganz angenehm. Wer weiß, ob nicht manche so in der Halle sitzen und keiner weiß es? Ob nicht manche Dame so ins Theater geht und so in ihrer Loge sitzt zum Spaß oder aus anderen Gründen.

Soll ich zusperren? Wozu? Hier wird ja nichts gestohlen. Und wenn auch ‐ ich brauche ja nichts mehr. Schluß... Wo ist denn Nummer fünfundsechzig? Niemand ist auf dem Gang. Alles noch unten beim Diner. Einundsechzig... zweiundsechzig... das sind ja riesige Bergschuhe, die da vor der Türe stehen. Da hängt eine Hose am Haken. Wie unanständig. Vierundsechzig, fünfundsechzig. So. Da wohnt er, der Vicomte... Da unten lehn’ ich den Brief hin, an die Tür. Da muß er ihn gleich sehen. Es wird ihn doch keiner stehlen? So, da liegt er... Macht nichts... Ich kann noch immer tun, was ich will. Hab’ ich ihn halt zum Narrn gehalten... Wenn ich ihm nur jetzt nicht auf der Treppe begegne. Da kommt ja... nein, das ist er nicht!... Der ist viel hübscher als der Herr von Dorsday, sehr elegant, mit dem kleinen schwarzen Schnurrbart. Wann ist denn der angekommen? Ich könnte eine kleine Probe veranstalten ein ganz klein wenig den Mantel lüften. Ich habe große Lust dazu. Schauen Sie mich nur an, mein Herr. Sie ahnen nicht, an wem Sie da vorübergehen. Schade, daß Sie gerade jetzt sich heraufbemühen. Warum bleiben Sie nicht in der Halle? Sie versäumen etwas. Große Vorstellung. Warum halten Sie mich nicht auf? Mein Schicksal liegt in Ihrer Hand. Wenn Sie mich grüßen, so kehre ich wieder um. So grüßen Sie mich doch. Ich sehe Sie doch so liebenswürdig an... Er grüßt nicht. Vorbei ist er. Er wendet sich um, ich spüre es. Rufen Sie, grüßen Sie! Retten Sie mich! Vielleicht sind Sie an meinem Tode schuld, mein Herr! Aber Sie werden es nie erfahren. Adresse bleibt Fiala...

Wo bin ich? Schon in der Halle? Wie bin ich daher gekommen? So wenig Leute und so viele Unbekannte. Oder sehe ich so schlecht? Wo ist Dorsday? Er ist nicht da. Ist es ein Wink des Schicksals? Ich will zurück. Ich will einen andern Brief an Dorsday schreiben. Ich erwarte Sie in meinem Zimmer um Mitternacht. Bringen Sie die Depesche an Ihre Bank mit. Nein. Er könnte es für eine Falle halten. Könnte auch eine sein. Ich könnte Paul bei mir versteckt haben, und er könnte ihn mit dem Revolver zwingen, uns die Depesche auszuliefern. Erpressung. Ein Verbrecherpaar. Wo ist Dorsday? Dorsday, wo bist du? Hat er sich vielleicht umgebracht aus Reue über meinen Tod? Im Spielzimmer wird er sein. Gewiß. An einem Kartentisch wird er sitzen. Dann will ich ihm von der Tür aus mit den Augen ein Zeichen geben. Er wird sofort aufstehen. ‚Hier bin ich, mein Fräulein.‘ Seine Stimme wird klingen. ‚Wollen wir ein wenig promenieren, Herr Dorsday?‘ ‚Wie es beliebt, Fräulein Else.‘ Wir gehen über den Marienweg zum Walde hin. Wir sind allein. Ich schlage den Mantel auseinander. Die fünfzigtausend sind fällig. Die Luft ist kalt, ich bekomme eine Lungenentzündung und sterbe... Warum sehen mich die zwei Damen an? Merken sie was? Warum bin ich denn da? Bin ich verrückt? Ich werde zurückgehen in mein Zimmer, mich geschwind ankleiden, das blaue, drüber den Mantel wie jetzt, aber offen, da kann niemand glauben, daß ich vorher nichts angehabt habe... Ich kann nicht zurück. Ich will auch nicht zurück. Wo ist Paul? Wo ist Tante Emma? Wo ist Cissy? Wo sind sie denn alle? Keiner wird es merken... Man kann es ja gar nicht merken. Wer spielt so schön? Chopin? Nein, Schumann.

Ich irre in der Halle umher wie eine Fledermaus. Fünfzigtausend! Die Zeit vergeht. Ich muß diesen verfluchten Herrn von Dorsday finden. Nein, ich muß in mein Zimmer zurück... Ich werde Veronal trinken. Nur einen kleinen Schluck, dann werde ich gut schlafen... Nach getaner Arbeit ist gut ruhen... Aber die Arbeit ist noch nicht getan... Wenn der Kellner den schwarzen Kaffee dem alten Herrn dort serviert, so geht alles gut aus. Und wenn er ihn dem jungen Ehepaar in der Ecke bringt, so ist alles verloren. Wieso? Was heißt das? Zu dem alten Herrn bringt er den Kaffee. Triumph! Alles geht gut aus. Ha, Cissy und Paul! Da draußen vor dem Hotel gehen sie auf und ab. Sie reden ganz vergnügt miteinander. Er regt sich nicht sonderlich auf wegen meiner Kopfschmerzen. Schwindler!... Cissy hat keine so schönen Brüste wie ich. Freilich, sie hat ja ein Kind... Was reden die Zwei? Wenn man es hören könnte! Was geht es mich an, was sie reden? Aber ich könnte auch vors Hotel gehen, ihnen guten Abend wünschen und dann weiter, weiterflattern über die Wiese, in den Wald, hinaufsteigen, klettern, immer höher, bis auf den Cimone hinauf, mich hinlegen, einschlafen, erfrieren. Geheimnisvoller Selbstmord einer jungen Dame der Wiener Gesellschaft. Nur mit einem schwarzen Abendmantel bekleidet, wurde das schöne Mädchen an einer unzugänglichen Stelle des Cimone della Pala tot aufgefunden... Aber vielleicht findet man mich nicht... Oder erst im nächsten Jahr. Oder noch später. Verwest. Als Skelett. Doch besser, hier in der geheizten Halle sein und nicht erfrieren. Nun, Herr von Dorsday, wo stecken Sie denn eigentlich? Bin ich verpflichtet zu warten? Sie haben mich zu suchen, nicht ich Sie. Ich will noch im Spielsaal nachschauen. Wenn er dort nicht ist, hat er sein Recht verwirkt. Und ich schreibe ihm: Sie waren nicht zu finden, Herr von Dorsday, Sie haben freiwillig verzichtet; das entbindet Sie nicht von der Verpflichtung, das Geld sofort abzuschicken. Das Geld. Was für ein Geld denn? Was kümmert mich das? Es ist mir doch ganz gleichgültig, ob er das Geld abschickt oder nicht. Ich habe nicht das geringste Mitleid mehr mit Papa. Mit keinem Menschen habe ich Mitleid. Auch mit mir selber nicht. Mein Herz ist tot. Ich glaube, es schlägt gar nicht mehr. Vielleicht habe ich das Veronal schon getrunken... Warum schaut mich die holländische Familie so an? Man kann doch unmöglich was merken. Der Portier sieht mich auch so verdächtig an. Ist vielleicht noch eine Depesche gekommen? Achtzigtausend? Hunderttausend? Adresse bleibt Fiala. Wenn eine Depesche da wäre, würde er es mir sagen. Er sieht mich hochachtungsvoll an. Er weiß nicht, daß ich unter dem Mantel nichts an habe. Niemand weiß es. Ich gehe zurück in mein Zimmer. Zurück, zurück, zurück! Wenn ich über die Stufen stolperte, das wäre eine nette Geschichte. Vor drei Jahren auf dem Wörthersee ist eine Dame ganz nackt hinausgeschwommen. Aber noch am selben Nachmittag ist sie abgereist. Die Mama hat gesagt, es ist eine Operettensängerin aus Berlin. Schumann? Ja, Karneval. Die oder der spielt ganz schön. Das Kartenzimmer ist aber rechts. Letzte Möglichkeit, Herr von Dorsday. Wenn er dort ist, winke ich ihn mit den Augen zu mir her und sage ihm, um Mitternacht werde ich bei Ihnen sein, Sie Schuft. ‐ Nein, Schuft sage ich ihm nicht. Aber nachher sage ich es ihm... Irgendwer geht mir nach. Ich wende mich nicht um. Nein, nein. ‐

„Else!“ ‐ Um Gottes willen die Tante. Weiter, weiter! „Else!“ ‐ Ich muß mich umdrehen, es hilft mir nichts. „O, guten Abend, Tante.“„Ja, Else, was ist denn mit dir? Grad’ wollte ich zu dir hinaufschauen. Paul hat mir gesagt ‐ ‐ Ja, wie schaust du denn aus?“„Wie schau ich denn aus, Tante? Es geht mir schon ganz gut. Ich habe auch eine Kleinigkeit gegessen.“ Sie merkt was, sie merkt was. ‐ „Else — du hast ja — keine Strümpfe an!“„Was sagst du da, Tante? Meiner Seel, ich habe keine Strümpfe an. Nein —!“„Ist dir nicht wohl, Else? Deine Augen du hast Fieber.“„Fieber? Ich glaub’ nicht. Ich hab’ nur so furchtbare Kopfschmerzen gehabt, wie nie in meinem Leben noch.“„Du mußt sofort zu Bett, Kind, du bist totenblaß.“„Das kommt von der Beleuchtung, Tante. Alle Leute sehen hier blaß aus in der Halle.“ Sie schaut so sonderbar an mir herab. Sie kann doch nichts merken? Jetzt nur die Fassung bewahren. Papa ist verloren, wenn ich nicht die Fassung bewahre. Ich muß etwas reden. „Weißt du, Tante, was mir heuer in Wien passiert ist? Da bin ich einmal mit einem gelben und einem schwarzen Schuh auf die Straße gegangen.“ Kein Wort ist wahr. Ich muß weiterreden. Was sag’ ich nur? „Weißt du, Tante, nach Migräneanfällen habe ich manchmal solche Anfälle von Zerstreutheit. Die Mama hat das auch früher gehabt.“ Nicht ein Wort ist wahr. ‐ „Ich werde jedenfalls um den Doktor schicken.“„Aber ich bitte dich, Tante, es ist ja gar keiner im Hotel. Man müßt’ einen aus einer anderen Ortschaft holen. Der würde schön lachen, daß man ihn holen läßt, weil ich keine Strümpfe anhabe. Haha.“ Ich sollte nicht so laut lachen. Das Gesicht von der Tante ist angstverzerrt. Die Sache ist ihr unheimlich. Die Augen fallen ihr heraus. ‐ „Sag’, Else, hast du nicht zufällig Paul gesehen?“ ‐ Ah, sie will sich Sukkurs verschaffen. Fassung, alles steht auf dem Spiel. „Ich glaube, er geht auf und ab vor dem Hotel mit Cissy Mohr, wenn ich nicht irre.“„Vor dem Hotel? Ich werde sie beide hereinholen. Wir wollen noch alle einen Tee trinken, nicht wahr?“„Gern.“ Was für ein dummes Gesicht sie macht. Ich nicke ihr ganz freundlich und harmlos zu. Fort ist sie. Ich werde jetzt in mein Zimmer gehen. Nein, was soll ich denn in meinem Zimmer tun? Es ist höchste Zeit, höchste Zeit. Fünfzigtausend, fünfzigtausend. Warum laufe ich denn so? Nur langsam, langsam... Was will ich denn? Wie heißt der Mann? Herr von Dorsday. Komischer Name... Da ist ja das Spielzimmer. Grüner Vorhang vor der Tür. Man sieht nichts. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen. Die Whistpartie. Die spielen jeden Abend. Dort spielen zwei Herren Schach. Herr von Dorsday ist nicht da. Viktoria. Gerettet! Wieso denn? Ich muß weiter suchen. Ich bin verdammt, Herrn von Dorsday zu suchen bis an mein Lebensende. Er sucht mich gewiß auch. Wir verfehlen uns immerfort. Vielleicht sucht er mich oben. Wir werden uns auf der Stiege treffen. Die Holländer sehen mich wieder an. Ganz hübsch die Tochter. Der alte Herr hat eine Brille, eine Brille, eine Brille... Fünfzigtausend. Es ist ja nicht so viel. Fünfzigtausend, Herr von Dorsday. Schumann? Ja, Karneval... Hab’ ich auch einmal studiert. Schön spielt sie. TODO Warum denn sie? Vielleicht ist es ein Er? Vielleicht ist es eine Virtuosin? Ich will einen Blick in den Musiksalon tun.

Da ist ja die Tür. ‐ ‐ Dorsday! Ich falle um. Dorsday! Dort steht er am Fenster und hört zu. Wie ist das möglich? Ich verzehre mich ich werde verrückt ich bin tot und er hört einer fremden Dame Klavier spielen zu. Dort auf dem Divan sitzen zwei Herren. Der Blonde ist erst heute angekommen. Ich hab’ ihn aus dem Wagen steigen sehen. Die Dame ist gar nicht mehr jung. Sie ist schon ein paar Tage lang hier. Ich habe nicht gewußt, daß sie so schön Klavier spielt. Sie hat es gut. Alle Menschen TODO haben es gut... nur ich bin verdammt... Dorsday! Dorsday! Ist er das wirklich? Er sieht mich nicht. Jetzt schaut er aus wie ein anständiger Mensch. Er hört zu. Fünfzigtausend! Jetzt oder nie. Leise die Tür aufgemacht. Da bin ich, Herr von Dorsday! Er sieht mich nicht. Ich will ihm nur ein Zeichen mit den Augen geben, dann werde ich den Mantel ein wenig lüften, das ist genug. Ich bin ja ein junges Mädchen. Bin ein anständiges junges Mädchen aus guter Familie. Bin ja keine Dirne... Ich will fort. Ich will Veronal nehmen und schlafen. Sie haben sich geirrt, Herr von Dorsday, ich bin keine Dirne. Adieu, adieu!... Ha, er schaut auf. Da bin ich, Herr von Dorsday. Was für Augen er macht. Seine Lippen zittern. Er bohrt seine Augen in meine Stirn. Er ahnt nicht, daß ich nackt bin unter dem Mantel. Lassen Sie mich fort, lassen Sie mich fort! Seine Augen glühen. Seine Augen drohen. Was wollen Sie von mir? Sie sind ein Schuft. Keiner sieht mich als er. Sie hören zu. So kommen Sie doch, Herr von Dorsday! Merken Sie nichts? Dort im Fauteuil Herrgott, im Fauteuil das ist ja der Filou! Himmel, ich danke dir. Er ist wieder da, er ist wieder da! Er war nur auf einer Tour! Jetzt ist er wieder da. Der Römerkopf ist wieder da. Mein Bräutigam, mein Geliebter. Aber er sieht mich nicht. Er soll mich auch nicht sehen. Was wollen Sie, Herr von Dorsday? Sie schauen mich an, als wenn ich Ihre Sklavin wäre. Ich bin nicht Ihre Sklavin. Fünfzigtausend! Bleibt es bei unserer Abmachung, Herr von Dorsday? Ich bin bereit. Da bin ich. Ich bin ganz ruhig. Ich lächle. Verstehen Sie meinen Blick? Sein Auge spricht zu mir: komm! Sein Auge spricht: ich will dich nackt sehen. Nun, du Schuft, ich bin ja nackt. Was willst du denn noch? Schick die Depesche ab... Sofort... Es rieselt durch meine Haut. Die Dame spielt weiter. TODO Köstlich rieselt es durch meine Haut. Wie wundervoll ist es nackt zu sein. Die Dame spielt weiter, sie weiß nicht, was hier geschieht. Niemand weiß es. Keiner noch sieht mich. Filou, Filou! Nackt stehe ich da. Dorsday reißt die Augen auf. Jetzt endlich glaubt er es. Der Filou steht auf. Seine Augen leuchten. Du verstehst mich, schöner Jüngling. „Haha!“ Die Dame spielt nicht mehr. Der Papa ist gerettet. Fünfzigtausend! Adresse bleibt Fiala! „Ha, ha, ha!“ Wer lacht denn da? Ich selber? „Ha, ha, ha!“ Was sind denn das für Gesichter um mich? „Ha, ha, ha!“ Zu dumm, daß ich lache. Ich will nicht lachen, ich will nicht. „Haha!“„Else!“ ‐ Wer ruft Else? Das ist Paul. Er muß hinter mir sein. Ich spüre einen Luftzug über meinen nackten Rücken. Es saust in meinen Ohren. Vielleicht bin ich schon tot? Was wollen Sie, Herr von Dorsday? Warum sind Sie so groß und stürzen über mich her? „Ha, ha, ha!“

Was habe ich denn getan? Was habe ich getan? Was habe ich getan? Ich falle um. Alles ist vorbei. Warum ist denn keine Musik mehr? Ein Arm schlingt sich um meinen Nacken. Das ist Paul. Wo ist denn der Filou? Da lieg ich. „Ha, ha, ha!“ Der Mantel fliegt auf mich herab. Und ich liege da. Die Leute halten mich für ohnmächtig. Nein, ich bin nicht ohnmächtig. Ich bin bei vollem Bewußtsein. Ich bin hundertmal wach, ich bin tausendmal wach. Ich muß nur immer lachen. „Ha, ha, ha!“ Jetzt haben Sie Ihren Willen, Herr von Dorsday, Sie müssen das Geld für Papa schicken. Sofort. „Haaaah!“ Ich will nicht schreien, und ich muß immer schreien. Warum muß ich denn schreien. ‐ Meine Augen sind zu. Niemand kann mich sehen. Papa ist gerettet. ‐ „Else!“ ‐ Das ist die Tante. ‐ „Else! Else!“ „Ein Arzt, ein Arzt!“„Geschwind zum Portier!“„Was ist denn passiert?“„Das ist ja nicht möglich.“„Das arme Kind.“ ‐ Was reden sie denn da? Was murmeln sie denn da? Ich bin kein armes Kind. Ich bin glücklich. Der Filou hat mich nackt gesehen. O, ich schäme mich so. Was habe ich getan? Nie wieder werde ich die Augen öffnen. ‐ „Bitte, die Türe schließen.“ ‐ Warum soll man die Türe schließen? Was für Gemurmel. Tausend Leute sind um mich. Sie halten mich alle für ohnmächtig. Ich bin nicht ohnmächtig. Ich träume nur. ‐ „Beruhigen Sie sich doch, gnädige Frau.“„Ist schon um den Arzt geschickt?“„Es ist ein Ohnmachtsanfall.“ ‐ Wie weit sie alle weg sind. Sie sprechen alle vom Cimone herunter. ‐ „Man kann sie doch nicht auf dem Boden liegen lassen.“„Hier ist ein Plaid.“„Eine Decke.“„Decke oder Plaid, das ist ja gleichgültig.“ „Bitte doch um Ruhe.“„Auf den Diwan.“„Bitte doch endlich die Türe zu schließen.“„Nicht so nervös sein, sie ist ja geschlossen.“„Else! Else!“ ‐ Wenn die Tante nur endlich still wär! ‐ „Hörst du mich Else?“„Du siehst doch, Mama, daß sie ohnmächtig ist.“ ‐ Ja, Gott sei Dank, für Euch bin ich ohnmächtig. Und ich bleibe auch ohnmächtig. ‐ „Wir müssen sie auf ihr Zimmer bringen.“„Was ist denn da geschehen? Um Gottes willen!“ ‐ Cissy. Wie kommt denn Cissy auf die Wiese. Ach, es ist ja nicht die Wiese. ‐ „Else!“„Bitte um Ruhe.“„Bitte ein wenig zurückzutreten.“ ‐ Hände, Hände unter mir. Was wollen sie denn? Wie schwer ich bin. Pauls Hände. Fort, fort. Der Filou ist in meiner Nähe, ich spüre es. Und Dorsday ist fort. Man muß ihn suchen. Er darf sich nicht umbringen, ehe er die fünfzigtausend abgeschickt hat. Meine Herrschaften, er ist mir Geld schuldig. Verhaften Sie ihn. „Hast du eine Ahnung, von wem die Depesche war, Paul?“ „Guten Abend, meine Herrschaften.“„Else, hörst du mich?“ „Lassen Sie sie doch, Frau Cissy.“ „Ach Paul.“ „Der Direktor sagt, es kann vier Stunden dauern, bis der Doktor da ist.“„Sie sieht aus, als wenn sie schliefe.“ ‐ Ich liege auf dem Diwan, Paul hält meine Hand, er fühlt mir den Puls. Richtig, er ist ja Arzt. ‐ „Von Gefahr ist keine Rede, Mama. Ein Anfall.“„Keinen Tag länger bleibe ich im Hotel.“„Bitte dich, Mama.“„Morgen früh reisen wir ab.“„Aber einfach über die Dienerschaftsstiege. Die Tragbahre wird sofort hier sein.“ ‐ Bahre? Bin ich nicht heute schon auf einer Bahre gelegen? War ich nicht schon tot? Muß ich denn noch einmal sterben? ‐ „Wollen Sie nicht dafür sorgen, Herr Direktor, daß die Leute sich endlich von der Türe entfernen.“„Rege dich doch nicht auf, Mama.“„Es ist eine Rücksichtslosigkeit von den Leuten.“ ‐ Warum flüstern sie denn alle? Wie in einem Sterbezimmer. Gleich wird die Bahre da sein. Mach’ auf das Tor, Herr Matador! ‐ „Der Gang ist frei.“„Die Leute könnten doch wenigstens so viel Rücksicht haben.“„Ich bitte dich, Mama, beruhige dich doch.“„Bitte, gnädige Frau.“„Wollen Sie sich nicht ein wenig meiner Mutter annehmen, Frau Cissy?“ ‐ Sie ist seine Geliebte, aber sie ist nicht so schön wie ich. Was ist denn schon wieder? Was geschieht denn da? Sie bringen die Bahre. Ich sehe es mit geschlossenen Augen. Das ist die Bahre, auf der sie die Verunglückten tragen. Auf der ist auch der Doktor Zigmondi gelegen, der vom Cimone abgestürzt ist. Und jetzt werde ich auf der Bahre liegen. Ich bin auch abgestürzt. „Ha!“ Nein, ich will nicht noch einmal schreien. Sie flüstern. Wer beugt sich über meinen Kopf? Es riecht gut nach Zigaretten. Seine Hand ist unter meinem Kopf. Hände unter meinem Rücken, Hände unter meinen Beinen. Fort, fort, rührt mich nicht an. Ich bin ja nackt. Pfui, pfui. Was wollt Ihr denn? Laßt mich in Ruhe. Es war nur für Papa. ‐ „Bitte vorsichtig, so, langsam.“„Der Plaid?“„Ja, danke, Frau Cissy.“ ‐ Warum dankt er ihr? Was hat sie denn getan? Was geschieht mit mir? Ah, wie gut, wie gut. Ich schwebe. Ich schwebe. Ich schwebe hinüber. Man trägt mich, man trägt mich, man trägt mich zu Grabe. ‐ „Aber mir sein das g’wohnt, Herr Doktor. Da sind schon Schwerere darauf gelegen. Im vorigen Herbst einmal zwei zugleich.“„Pst, pst.“„Vielleicht sind Sie so gut, vorauszugehen, Frau Cissy und sehen, ob in Elses Zimmer alles in Ordnung ist.“ ‐ Was hat Cissy in meinem Zimmer zu tun? Das Veronal, das Veronal! Wenn sie es nur nicht weggießen. Dann müßte ich mich doch zum Fenster hinunterstürzen. ‐ „Danke sehr, Herr Direktor, bemühen Sie sich nicht weiter.“„Ich werde mir erlauben, später wieder nachzufragen.“ ‐ Die Treppe knarrt, die Träger haben schwere Bergstiefel. Wo sind meine Lackschuhe? Im Musikzimmer geblieben. Man wird sie stehlen. Ich habe sie der Agathe vermachen wollen. Fred kriegt meine Füllfeder. Sie tragen mich, sie tragen mich. Trauerzug. Wo ist Dorsday, der Mörder? Fort ist er. Auch der Filou ist fort. Er ist gleich wieder auf die Wanderschaft gegangen. Er ist nur zurückgekommen, um einmal meine weißen Brüste zu sehen. Und jetzt ist er wieder fort. Er geht einen schwindligen Weg zwischen Felsen und Abgrund; ‐ leb’ wohl, leb’ wohl. ‐ Ich schwebe, ich schwebe. Sie sollen mich nur hinauftragen, immer weiter, bis zum Dach, bis zum Himmel. Das wäre so bequem. ‐ „Ich habe es ja kommen gesehen, Paul.“ ‐ Was hat die Tante kommen gesehen? ‐ „Schon die ganzen letzten Tage habe ich so etwas kommen gesehen. Sie ist überhaupt nicht normal. Sie muß natürlich in eine Anstalt.“„Aber Mama, jetzt ist doch nicht der Moment davon zu reden.“ ‐ Anstalt —? Anstalt —?! „Du denkst doch nicht, Paul, daß ich in ein und demselben Coupé mit dieser Person nach Wien fahren werde. Da könnte man schöne Sachen erleben.“„Es wird nicht das Geringste passieren, Mama. Ich garantiere dir, daß du keinerlei Ungelegenheiten haben wirst.“ „Wie kannst du das garantieren?“ ‐ Nein, Tante, du sollst keine Ungelegenheiten haben. Niemand wird Ungelegenheiten haben. Nicht einmal Herr von Dorsday. Wo sind wir denn? Wir bleiben stehen. Wir sind im zweiten Stock. Ich werde blinzeln. Cissy steht in der Tür und spricht mit Paul. ‐ „Hieher bitte. So. So. Hier. Danke. Rücken Sie die Bahre ganz nah ans Bett heran.“ ‐ Sie heben die Bahre. Sie tragen mich. Wie gut. Nun bin ich wieder zu Hause. Ah! ‐ „Danke. So, es ist schon recht. Bitte die Türe zu schließen. ‐ Wenn Sie so gut sein wollten mir zu helfen, Cissy.“„O, mit Vergnügen, Herr Doktor.“„Langsam, bitte. Hier, bitte, Cissy, fassen Sie sie an. Hier an den Beinen. Vorsichtig. Und dann — — Else — —? Hörst du mich, Else?“ ‐ Aber natürlich höre ich dich, Paul. Ich höre alles. Aber was geht Euch das an. Es ist ja so schön, ohnmächtig zu sein. Ach, macht, was Ihr wollt. ‐ „Paul!“„Gnädige Frau?“„Glaubst du wirklich, daß sie bewußtlos ist, Paul?“ ‐ Du? Sie sagt ihm du. Hab’ ich Euch erwischt! Du sagt sie ihm! ‐ „Ja, sie ist vollkommen bewußtlos. Das kommt nach solchen Anfällen gewöhnlich vor.“„Nein, Paul, du bist zum Kranklachen, wenn du dich so erwachsen als Doktor benimmst.“ ‐ Hab’ ich Euch, Schwindelbande! Hab’ ich Euch? ‐ „Still, Cissy.“„Warum denn, wenn sie nichts hört?!“ ‐ Was ist denn geschehen? Nackt liege ich im Bett unter der Decke. Wie haben sie das gemacht? ‐ „Nun, wie geht’s? Besser?“ ‐ Das ist ja die Tante. Was will sie denn da? ‐ „Noch immer ohnmächtig?“ ‐ Auf den Zehenspitzen schleicht sie heran. Sie soll zum Teufel gehen. Ich laß mich in keine Anstalt bringen. Ich bin nicht irrsinnig. ‐ „Kann man sie nicht zum Bewußtsein erwecken?“„Sie wird bald wieder zu sich kommen, Mama. Jetzt braucht sie nichts als Ruhe. Übrigens du auch, Mama. Möchtest du nicht schlafen gehen? Es besteht absolut keine Gefahr. Ich werde zusammen mit Frau Cissy bei Else Nachtwache halten.“„Jawohl, gnädige Frau, ich bin die Gardedame. Oder Else, wie man’s nimmt.“ ‐ Elendes Frauenzimmer. Ich liege hier ohnmächtig und sie macht Späße. ‐ „Und ich kann mich darauf verlassen, Paul, daß du mich wecken läßt, sobald der Arzt kommt?“„Aber Mama, der kommt nicht vor morgen früh.“„Sie sieht aus, als wenn sie schliefe. Ihr Atem geht ganz ruhig.“„Es ist ja auch eine Art von Schlaf, Mama.“„Ich kann mich noch immer nicht fassen, Paul, ein solcher Skandal! ‐ Du wirst sehen, es kommt in die Zeitung!“„Mama!“„Aber sie kann doch nichts hören, wenn sie ohnmächtig ist. Wir reden doch ganz leise.“ „In diesem Zustand sind die Sinne manchmal unheimlich geschärft.“„Sie haben einen so gelehrten Sohn, gnädige Frau.“„Bitte dich, Mama, geh’ zu Bette.“„Morgen reisen wir ab unter jeder Bedingung. Und in Bozen nehmen wir eine Wärterin für Else.“ ‐ Was? Eine Wärterin? Da werdet Ihr Euch aber täuschen. ‐ „Über all’ das reden wir morgen, Mama. Gute Nacht, Mama.“„Ich will mir einen Tee aufs Zimmer bringen lassen und in einer Viertelstunde schau ich noch einmal her.“„Das ist doch absolut nicht notwendig, Mama.“ ‐ Nein, notwendig ist es nicht. Du sollst überhaupt zum Teufel gehen. Wo ist das Veronal? Ich muß noch warten. Sie begleiten die Tante zur Türe. Jetzt sieht mich niemand. Auf dem Nachttisch muß es ja stehen, das Glas mit dem Veronal. Wenn ich es austrinke ist alles vorbei. Gleich werde ich es trinken. Die Tante ist fort. Paul und Cissy stehen noch an der Tür. Ha. Sie küßt ihn. Sie küßt ihn. Und ich liege nackt unter der Decke. Schämt Ihr Euch denn gar nicht? Sie küßt ihn wieder. Schämt Ihr Euch nicht? ‐ „Siehst du, Paul, jetzt weiß ich, daß sie ohnmächtig ist. Sonst wäre sie mir unbedingt an die Kehle gesprungen.“ „Möchtest du mir nicht den Gefallen tun und schweigen, Cissy?“„Aber was willst du denn, Paul? Entweder ist sie wirklich bewußtlos. Dann hört und sieht sie nichts. Oder sie hält uns zum Narren. Dann geschieht ihr ganz recht.“„Es hat geklopft, Cissy.“„Mir kam es auch so vor.“„Ich will leise aufmachen und sehen wer es ist. ‐ Guten Abend Herr von Dorsday.“„Verzeihen Sie, ich wollte nur fragen, wie sich die Kranke“ ‐ Dorsday! Dorsday! Wagt er es wirklich? Alle Bestien sind losgelassen. Wo ist er denn? Ich höre sie flüstern vor der Tür. Paul und Dorsday. Cissy stellt sich vor den Spiegel hin. Was machen Sie vor dem Spiegel dort? Mein Spiegel ist es. Ist nicht mein Bild noch drin? Was reden sie draußen vor der Tür, Paul und Dorsday? Ich fühle Cissys Blick. Vom Spiegel aus sieht sie zu mir her. Was will sie denn? Warum kommt sie denn näher? Hilfe! Hilfe! Ich schreie doch, und keiner hört mich. Was wollen Sie an meinem Bett, Cissy?! Warum beugen Sie sich herab? wollen Sie mich erwürgen? Ich kann mich nicht rühren. ‐ „Else!“ ‐ Was will sie denn? ‐ „Else! Hören Sie mich, Else?“ ‐ Ich höre, aber ich schweige. Ich bin ohnmächtig, ich muß schweigen. ‐ „Else, Sie haben uns in einen schönen Schreck versetzt.“ ‐ Sie spricht zu mir. Sie spricht zu mir, als wenn ich wach wäre. Was will sie denn? ‐ „Wissen Sie, was Sie getan haben, Else? Denken Sie, nur mit dem Mantel bekleidet sind Sie ins Musikzimmer getreten, sind plötzlich nackt dagestanden vor allen Leuten und dann sind Sie ohnmächtig hingefallen. Ein hysterischer Anfall wird behauptet. Ich glaube kein Wort davon. Ich glaube auch nicht, daß Sie bewußtlos sind. Ich wette, Sie hören jedes Wort, das ich rede.“ ‐ Ja, ich höre, ja, ja, ja. Aber sie hört mein Ja nicht. Warum denn nicht? Ich kann meine Lippen nicht bewegen. Darum hört sie mich nicht. Ich kann mich nicht rühren. Was ist denn mit mir? Bin ich tot? Bin ich scheintot? Träume ich? Wo ist das Veronal? Ich möchte mein Veronal trinken. Aber ich kann den Arm nicht ausstrecken. Gehen Sie fort, Cissy. Warum sind Sie über mich gebeugt? Fort, fort! Nie wird sie wissen, daß ich sie gehört habe. Niemand wird es je wissen. Nie wieder werde ich zu einem Menschen sprechen. Nie wache ich wieder auf. Sie geht zur Türe. Sie wendet sich noch einmal nach mir um. Sie öffnet die Türe. Dorsday! Dort steht er. Ich habe ihn gesehen mit geschlossenen Augen. Nein, ich sehe ihn wirklich. Ich habe ja die Augen offen. Die Türe ist angelehnt. Cissy ist auch draußen. Nun flüstern sie alle. Ich bin allein. Wenn ich mich jetzt rühren könnte.

Ha, ich kann ja, kann ja. Ich bewege die Hand, ich rege die Finger, ich strecke den Arm, ich sperre die Augen weit auf. Ich sehe, ich sehe. Da steht mein Glas. Geschwind, ehe sie wieder ins Zimmer kommen. Sind es nur Pulver genug?! Nie wieder darf ich erwachen. Was ich zu tun hatte auf der Welt, habe ich getan. Der Papa ist gerettet. Niemals könnte ich wieder unter Menschen gehen. Paul guckt durch die Türspalte herein. Er denkt, ich bin noch ohnmächtig. Er sieht nicht, daß ich den Arm beinahe schon ausgestreckt habe. Nun stehen sie wieder alle drei draußen vor der Tür, die Mörder! ‐ Alle sind sie Mörder. Dorsday und Cissy und Paul, auch Fred ist ein Mörder und die Mama ist eine Mörderin. Alle haben sie mich gemordet und machen sich nichts wissen. Sie hat sich selber umgebracht, werden sie sagen. Ihr habt mich umgebracht, Ihr Alle, Ihr Alle! Hab’ ich es endlich? Geschwind, geschwind! Ich muß. Keinen Tropfen verschütten. So. Geschwind. Es schmeckt gut. Weiter, weiter. Es ist gar kein Gift. Nie hat mir was so gut geschmeckt. Wenn Ihr wüßtet, wie gut der Tod schmeckt! Gute Nacht, mein Glas. Klirr, klirr! Was ist denn das? Auf dem Boden liegt das Glas. Unten liegt es. Gute Nacht. ‐ „Else! Else!“ ‐ Was wollt Ihr denn? ‐ „Else!“ ‐ Seid Ihr wieder da? Guten Morgen. Da lieg’ ich bewußtlos mit geschlossenen Augen. Nie wieder sollt Ihr meine Augen sehen. ‐ „Sie muß sich bewegt haben, Paul, wie hätte es sonst herunterfallen können?“„Eine unwillkürliche Bewegung, das wäre schon möglich.“„Wenn sie nicht wach ist.“„Was fällt dir ein, Cissy. Sieh sie doch nur an.“ ‐ Ich habe Veronal getrunken. Ich werde sterben. Aber es ist geradeso wie vorher. Vielleicht war es nicht genug... Paul faßt meine Hand. ‐ „Der Puls geht ruhig. Lach’ doch nicht, Cissy. Das arme Kind.“„Ob du mich auch ein armes Kind nennen würdest, wenn ich mich im Musikzimmer nackt hingestellt hätte?“„Schweig’ doch, Cissy.“„Ganz nach Belieben, mein Herr. Vielleicht soll ich mich entfernen, dich mit dem nackten Fräulein allein lassen. Ach bitte, geniere dich nicht. Tu’, als ob ich nicht da wäre.“ ‐ Ich habe Veronal getrunken. Es ist gut. Ich werde sterben. Gott sei Dank. ‐ „Übrigens weißt du, was mir vorkommt. Daß dieser Herr von Dorsday in das nackte Fräulein verliebt ist. Er war so erregt, als ginge ihn die Sache persönlich an.“ ‐ Dorsday, Dorsday! Das ist ja der — Fünfzigtausend! Wird er sie abschicken? Um Gottes willen, wenn er sie nicht abschickt? Ich muß es ihnen sagen. Sie müssen ihn zwingen. Um Gottes willen, wenn alles umsonst gewesen ist? Aber jetzt kann man mich noch retten. Paul! Cissy! Warum hört Ihr mich denn nicht? Wißt Ihr denn nicht, daß ich sterbe? Aber ich spüre nichts. Nur müde bin ich. Paul! Ich bin müde. Hörst du mich denn nicht? Ich bin müde, Paul. Ich kann die Lippen nicht öffnen. Ich kann die Zunge nicht bewegen, aber ich bin noch nicht tot. Das ist das Veronal. Wo seid Ihr denn? Gleich schlafe ich ein. Dann wird es zu spät sein! Ich höre sie gar nicht reden. Sie reden und ich weiß nicht was. Ihre Stimmen brausen so. So hilf mir doch, Paul! die Zunge ist mir so schwer. ‐ „Ich glaube, Cissy, daß sie bald erwachen wird. Es ist, als wenn sie sich schon mühte, die Augen zu öffnen. Aber Cissy, was tust du denn?“„Nun, ich umarme dich. Warum denn nicht? Sie hat sich auch nicht geniert.“ ‐ Nein, ich habe mich nicht geniert. Nackt bin ich dagestanden vor allen Leuten. Wenn ich nur reden könnte, so würdet Ihr verstehen warum. Paul! Paul! Ich will, daß Ihr mich hört. Ich habe Veronal getrunken, Paul, zehn Pulver, hundert. Ich hab’ es nicht tun wollen. Ich war verrückt. Ich will nicht sterben. Du sollst mich retten, Paul. Du bist ja Doktor. Rette mich! ‐ „Jetzt scheint sie wieder ganz ruhig geworden. Der Puls der Puls ist ziemlich regelmäßig.“ ‐ Rette mich, Paul. Ich beschwöre dich. Laß mich doch nicht sterben. Jetzt ist’s noch Zeit. Aber dann werde ich einschlafen und Ihr werdet es nicht wissen. Ich will nicht sterben. So rette mich doch. Es war nur wegen Papa. Dorsday hat es verlangt. Paul! Paul! ‐ „Schau mal her Cissy, scheint dir nicht, daß sie lächelt?“„Wie sollte sie nicht lächeln, Paul, wenn du immerfort zärtlich ihre Hand hältst.“ ‐ Cissy, Cissy, was habe ich dir denn getan, daß du so böse zu mir bist. Behalte deinen Paul aber laßt mich nicht sterben. Ich bin noch so jung. Die Mama wird sich kränken. Ich will noch auf viele Berge klettern. Ich will noch tanzen. Ich will auch einmal heiraten. Ich will noch reisen. Morgen machen wir die Partie auf den Cimone. Morgen wird ein wunderschöner Tag sein. Der Filou soll mitkommen. Ich lade ihn ergebenst ein. Lauf’ ihm doch nach, Paul, er geht einen so schwindligen Weg. Er wird dem Papa begegnen. Adresse bleibt Fiala, vergiß nicht. Es sind nur fünfzigtausend, und dann ist alles in Ordnung. Da marschieren sie alle im Sträflingsgewand und singen. Mach’ auf das Tor, Herr Matador! Das ist ja alles nur ein Traum. Da geht auch Fred mit dem heiseren Fräulein und unter dem freien Himmel steht das Klavier. Der Klavierstimmer wohnt in der Bartensteinstraße, Mama! Warum hast du ihm denn nicht geschrieben, Kind? Du vergißt aber alles. Sie sollten mehr Skalen üben, Else. Ein Mädel mit dreizehn Jahren sollte fleißiger sein. ‐ Rudi war auf dem Maskenball und ist erst um acht Uhr früh nach Hause gekommen. Was hast du mir mitgebracht, Papa? Dreißigtausend Puppen. Da brauch ich ein eigenes Haus dazu. Aber sie können auch im Garten spazierengehen. Oder auf den Maskenball mit Rudi. Grüß dich Gott, Else. Ach Bertha, bist du wieder aus Neapel zurück? Ja, aus Sizilien. Erlaube, daß ich dir meinen Mann vorstelle, Else. Enchanté, Monsieur. ‐ „Else, hörst du mich, Else? Ich bin es, Paul.“ ‐ Haha, Paul. Warum sitzest du denn auf der Giraffe im Ringelspiel? ‐ „Else, Else!“ ‐ So reit’ mir doch nicht davon. Du kannst mich doch nicht hören, wenn du so schnell durch die Hauptallee reitest. Du sollst mich ja retten. Ich habe Veronalica genommen. Das läuft mir über die Beine, rechts und links, wie Ameisen. Ja, fang’ ihn nur, den Herrn von Dorsday. Dort läuft er. Siehst du ihn denn nicht? Da springt er über den Teich. Er hat ja den Papa umgebracht. So lauf’ ihm doch nach. Ich laufe mit. Sie haben mir die Bahre auf den Rücken geschnallt, aber ich laufe mit. Meine Brüste zittern so. Aber ich laufe mit. Wo bist du denn, Paul? Fred, wo bist du? Mama, wo bist Du? Cissy? Warum laßt Ihr mich denn allein durch die Wüste laufen? Ich habe ja Angst so allein. Ich werde lieber fliegen. Ich habe ja gewußt, daß ich fliegen kann.

„Else!“...

„Else!“...

Wo seid Ihr denn? Ich höre Euch, aber ich sehe Euch nicht.

„Else!“...

„Else!“...

„Else!“...

Was ist denn das? Ein ganzer Chor? Und Orgel auch? Ich singe mit. Was ist es denn für ein Lied? Alle singen mit. Die Wälder auch und die Berge und die Sterne. Nie habe ich etwas so Schönes gehört. Noch nie habe ich eine so helle Nacht gesehen. Gib mir die Hand, Papa. Wir fliegen zusammen. So schön ist die Welt, wenn man fliegen kann. Küss’ mir doch nicht die Hand. Ich bin ja dein Kind, Papa.

„Else! Else!“

Sie rufen von so weit! Was wollt Ihr denn? Nicht wecken. Ich schlafe ja so gut. Morgen früh. Ich träume und fliege. Ich fliege... fliege... fliege... schlafe und träume... und fliege... nicht wecken... morgen früh...

„El...“

Ich fliege... ich träume... ich schlafe... ich träu... träu — ich flie......





Ende

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Seite 7

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1012—] ‐ D
1113Beinah’] Beinah D
1122Else.] Else.“ D
1123Frau.“] Frau. D
1127‚Fräulein Else‘?] ‚Fräulein Else?‘ D
1218Dorsday.“] Dorsday“. D
1224—] ‐ D
138Bonsoir] Bon soir D
1315bientôt] bientot D
1315Bonsoir] Bon soir D
1317In D mit Einzug
146wär’] wär D
1419—] ‐ D
1618—] ‐ D
181—] ‐ D
1815,‘ ‐] ‘, D
1817‐] D
1818Denk’] Denk D
1819Höning‘] Höning‘, D
1926hat,‘] hat‘ D
2011—] ‐ D
2012–13‚unter uns‘?] ‚unter uns?‘ D
2023—] ‐ D
2024—] ‐ D
2122–23gerade] gegerade D
228handelt,‘] handelt‘ D
239Früh] früh D
2314dich,] dich D
245—] ‐ D
2427—] ‐ D
257—] ‐ D
2513—] ‐ D
2514—] ‐ D
264Französisch] französisch D
264Englisch] englisch D
264–5Italienisch] italienisch D
2627—] ‐ D
2812—] ‐ D
2815Beinah’] Beinah D
2920—] ‐ D
3028—] ‐ D
3028könnt’] könnt D
3123‐] D
324—] ‐ D
325grad’] grad D
3221‐] D
339—] ‐ D
3318—] ‐ D
3323—] ‐ D
347—] ‐ D
3519—] ‐ D
366heut’] heut‘ D
3727—] ‐ D
3921—] ‐ D
407‐] D
409‐] D
4024‐] D
4028‐] D
411‐] — D
4125—] ‐ D
423„Ich bitte Sie, Herr Portier —“ ‐] „Ich bitte Sie, Herr Portier ‐“ D
4514] ‐ D
4519] ‐ D
4521—] ‐ D
463–4„Herr von Dorsday, der Papa —“ Mir zittern die Knie.] „Herr von Dorsday, der Papa“ ‐ Mir zittern die Knie. D
467—] ‐ D
4611Besonderes] besonderes D
4721—] ‐ D
4722—] ‐ D
4726—] ‐ D
4727‐] D
485] ‐ D
4814—] ‐ D
4815—] ‐ D
499Spaßen] Spassen D
4914—] ‐ D
4917] ‐ D
4928] ‐ D
501] ‐ D
504] ‐ D
5013—] ‐ D
512Kind,“] Kind“ D
5110Bagatelle —“] Bagatelle“ D
5110] ‐ D
5112—] ‐ D
5117—] ‐ D
5212—] ‐ D
5314—] ‐ D
5319Gulden —“] Gulden“ ‐ D
5420,] D
5423—] ‐ D
5427—] ‐ D
557—] ‐ D
559—] ‐ D
5517—] ‐ D
5520—] ‐ D
563—] ‐ D
567—] ‐ D
574—] ‐ D
575—] ‐ D
5725—] ‐ D
5726—] ‐ D
5826—] ‐ D
593—] ‐ D
597—] ‐ D
6220—] ‐ D
635—] ‐ D
6325—] ‐ D
6424—] ‐ D
656—] ‐ D
6524–25nichts —. Sonst] nichts. ‐ Sonst D
6720—] ‐ D
697schuld] Schuld D
7027—] ‐ D
7312—] ‐ D
7912könnt’] könnt D
7914schuld] Schuld D
803—] ‐ D
805—] ‐ D
8013—] ‐ D
8014—] ‐ D
8017müd’] müd D
8617—] ‐ D
8618—] ‐ D
8810—] ‐ D
8916] ‐ D
901recht] Recht D
9216–18‚Für fünfzig müßte ich jedesfalls entsprechend mehr fordern, Fräulein.‘] Für fünfzig müßte ich jedesfalls entsprechend mehr fordern, Fräulein. D
9228—] ‐ D
9511—] ‐ D
9518—] ‐ D
9618—] ‐ D
9620—] ‐ D
9625—] ‐ D
9718—] ‐ D
9815—] ‐ D
992—] ‐ D
993—] ‐ D
994—] ‐ D
10019auf und abzuspazieren] auf‐ und abzuspazieren D
10115—] ‐ D
10126—] ‐ D
10128—] ‐ D
10526—] ‐ D
10622—] ‐ D
11126‐] D
1121Grad’] Grad D
11210—] ‐ D
11211glaub’] glaub D
1135müßt’] müßt D
1153—] ‐ D
1153—] ‐ D
1153—] ‐ D
1154–5Klavier spielen] Klavierspielen D
11514aus wie] aus, wie D
11615—] ‐ D
11615—] ‐ D
11924‐] — D
12019‐] — D
12021‐] — D
12022‐] — D
12022‐] — D
12028—] ‐ D
12327‐] — D
12527Späße. ‐] Spässe. D
12711‐] D
13227—] ‐ D
13312—] ‐ D

Editorische Notiz

Zur Erstellung der Textgrundlage wurde der Erstdruck von Zsolnay aus dem Jahre 1924 (D) mit der OCR-Einlesung der Fischerausgabe aus dem Jahre 1960 kollationiert. Im Zuge dessen wurden Einlesefehler der OCR-Ausgabe stillschweigend emendiert. Druckfehler des Erstdruckes werden hingegen durch einen positiv lemmatisierten Einzelstellenapparat kenntlich gemacht.

Schnitzlers zweite Monolognovelle ist in Bezug auf ihre textinterne Kommunikationssituation wesentlich komplexer gestaltet als Lieutenant Gustl: eigene und fremde Rede, gedachte, gesprochene und geschriebene Rede wechseln einander ab. Zur Orientierung des Lesers hat Schnitzler mit dem Verlag für die Buchausgabe ein differenziertes typografisches Auszeichnungssystem geschaffen, das mittels Schriftschnitt (recte vs. kursiv) und Anführungszeichen (doppelte vs. einfache vs. keine) den jeweiligen Redetyp markiert. So wird recte für alle über Elses Bewusstsein vermittelten Reden – ihre eigene (sei es gedachte, gesprochene oder geschriebene) Rede, aber auch die von ihr erinnerten Reden anderer – eingesetzt, kursiv hingegen für die unmittelbar produzierte (in diesem Fall: ausschließlich gesprochene) fremde Rede. Anführungsloser Text markiert den ‚ Normaltyp‘, Elses gedachte Monologrede. Doppelte Anführung bedeutet die in der dargestellten Gegenwart gesprochene mündliche Rede, einfache Anführung steht zum einen für Elses eigene geschriebene Rede, zum anderen für vergangene bzw. potentielle zukünftige gesprochene oder erinnerte Fremdrede, die von Else erinnert bzw. imaginiert wird. Zudem kommen zwei verschiedene Typen von horizontalen Strichen zum Einsatz: Bindestriche trennen verschiedene Redetypen voneinander ab, während der Gedankenstrich (Geviertstrich) die gedankliche Pause bzw. Lücke markiert (s. hierzu W. Lukas / U. v. Keitz: „‚Stimme‘ und ‚Partitur‘. Zu Arthur Schnitzlers ‚Fräulein Else‘“. In: Textschicksale. Arthur Schnitzler im Kontext der Moderne. Hg. von W. Lukas und M. Scheffel. Berlin: De Gruyter 2017, S. 185–209).

Bei der Erstellung der Textgrundlage wurden Zeilen-, Absatz- sowie Seitenumbruch des Erstdruckes übernommen. Die Differenzierung der beiden Stricharten (Binde- vs. Geviertstrich) wird im Erstdruck nicht konsequent typografisch umgesetzt. An diesen Stellen wurde daher gemäß der genannten Semantik emendiert. Ebenfalls uneinheitlich wird im Erstdruck die Markierung süddeutscher Apokopierungen mit Apostrophen gehandhabt. Da der Erstdruck mehrheitlich markiert, wird nach diesem Prinzip vereinheitlicht.

Der nachfolgende Apparat listet sämtliche Texteingriffe auf.

Texteingriffe

1012—] ‐ D
1113Beinah’] Beinah D
1122Else.] Else.“ D
1123Frau.“] Frau. D
1127‚Fräulein Else‘?] ‚Fräulein Else?‘ D
1218Dorsday.“] Dorsday“. D
1224—] ‐ D
138Bonsoir] Bon soir D
1315bientôt] bientot D
1315Bonsoir] Bon soir D
1317In D mit Einzug
146wär’] wär D
1419—] ‐ D
1618—] ‐ D
181—] ‐ D
1815,‘ ‐] ‘, D
1817‐] D
1818Denk’] Denk D
1819Höning‘] Höning‘, D
1926hat,‘] hat‘ D
2011—] ‐ D
2012–13‚unter uns‘?] ‚unter uns?‘ D
2023—] ‐ D
2024—] ‐ D
2122–23gerade] gegerade D
228handelt,‘] handelt‘ D
239Früh] früh D
2314dich,] dich D
245—] ‐ D
2427—] ‐ D
257—] ‐ D
2513—] ‐ D
2514—] ‐ D
264Französisch] französisch D
264Englisch] englisch D
264–5Italienisch] italienisch D
2627—] ‐ D
2812—] ‐ D
2815Beinah’] Beinah D
2920—] ‐ D
3028—] ‐ D
3028könnt’] könnt D
3123‐] D
324—] ‐ D
325grad’] grad D
3221‐] D
339—] ‐ D
3318—] ‐ D
3323—] ‐ D
347—] ‐ D
3519—] ‐ D
366heut’] heut‘ D
3727—] ‐ D
3921—] ‐ D
407‐] D
409‐] D
4024‐] D
4028‐] D
411‐] — D
4125—] ‐ D
423„Ich bitte Sie, Herr Portier —“ ‐] „Ich bitte Sie, Herr Portier ‐“ D
4514] ‐ D
4519] ‐ D
4521—] ‐ D
463–4„Herr von Dorsday, der Papa —“ Mir zittern die Knie.] „Herr von Dorsday, der Papa“ ‐ Mir zittern die Knie. D
467—] ‐ D
4611Besonderes] besonderes D
4721—] ‐ D
4722—] ‐ D
4726—] ‐ D
4727‐] D
485] ‐ D
4814—] ‐ D
4815—] ‐ D
499Spaßen] Spassen D
4914—] ‐ D
4917] ‐ D
4928] ‐ D
501] ‐ D
504] ‐ D
5013—] ‐ D
512Kind,“] Kind“ D
5110Bagatelle —“] Bagatelle“ D
5110] ‐ D
5112—] ‐ D
5117—] ‐ D
5212—] ‐ D
5314—] ‐ D
5319Gulden —“] Gulden“ ‐ D
5420,] D
5423—] ‐ D
5427—] ‐ D
557—] ‐ D
559—] ‐ D
5517—] ‐ D
5520—] ‐ D
563—] ‐ D
567—] ‐ D
574—] ‐ D
575—] ‐ D
5725—] ‐ D
5726—] ‐ D
5826—] ‐ D
593—] ‐ D
597—] ‐ D
6220—] ‐ D
635—] ‐ D
6325—] ‐ D
6424—] ‐ D
656—] ‐ D
6524–25nichts —. Sonst] nichts. ‐ Sonst D
6720—] ‐ D
697schuld] Schuld D
7027—] ‐ D
7312—] ‐ D
7912könnt’] könnt D
7914schuld] Schuld D
803—] ‐ D
805—] ‐ D
8013—] ‐ D
8014—] ‐ D
8017müd’] müd D
8617—] ‐ D
8618—] ‐ D
8810—] ‐ D
8916] ‐ D
901recht] Recht D
9216–18‚Für fünfzig müßte ich jedesfalls entsprechend mehr fordern, Fräulein.‘] Für fünfzig müßte ich jedesfalls entsprechend mehr fordern, Fräulein. D
9228—] ‐ D
9511—] ‐ D
9518—] ‐ D
9618—] ‐ D
9620—] ‐ D
9625—] ‐ D
9718—] ‐ D
9815—] ‐ D
992—] ‐ D
993—] ‐ D
994—] ‐ D
10019auf und abzuspazieren] auf‐ und abzuspazieren D
10115—] ‐ D
10126—] ‐ D
10128—] ‐ D
10526—] ‐ D
10622—] ‐ D
11126‐] D
1121Grad’] Grad D
11210—] ‐ D
11211glaub’] glaub D
1135müßt’] müßt D
1153—] ‐ D
1153—] ‐ D
1153—] ‐ D
1154–5Klavier spielen] Klavierspielen D
11514aus wie] aus, wie D
11615—] ‐ D
11615—] ‐ D
11924‐] — D
12019‐] — D
12021‐] — D
12022‐] — D
12022‐] — D
12028—] ‐ D
12327‐] — D
12527Späße. ‐] Spässe. D
12711‐] D
13227—] ‐ D
13312—] ‐ D